: Jung und ohne Zukunft
Mina Salehpour hat „Im Westen nichts Neues“ am Staatsschauspiel Dresden inszeniert
Von Katrin Bettina Müller
Es ist dunkel. In der Dunkelheit klingen die Stimmen jung, so jung. Man ahnt die Anwesenheit von Körpern auf der Bühne mehr, als dass man sie sieht. Ab und zu nur ist das Profil eines Gesichts im Schein einer Feuerzeugflamme sichtbar.
So beginnt „Im Westen nichts Neues“, ein Theaterabend, den die Regisseurin Mina Salehpour am Staatsschauspiel Dresden nach dem 1929 erschienenen Roman von Erich Maria Remarque inszeniert hat. Dunkel bleibt es lange, man hört die Füße durch Wasser marschieren, bevor man die Erzählenden sieht. Manchmal werden sie zu Schatten vor einer grauen Dämmerung, gegen Ende senkt sich die Bühnendecke auf sie herab. Jedes Bild stellt einprägsam die Reduzierung ihres Erfahrungsraumes, das Verstellen des Horizontes, das Zurückgeworfensein auf das Überleben aus.
Remarques Roman erzählt von jungen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Auf der Bühne übernehmen fünf Stimmen von zwei Schauspielerinnen und drei Schauspielern Ausschnitte der Texte. Vom Hunger, der Körper und Geist besetzt. Vom abrupten Ende der Schulzeit. Von den Schreien der verwundeten Pferde. Doch obwohl der Theatertext so nah an der Prosa des Romans ist, illustriert er ihn nicht. So wie die Sprache Remarques an den Rändern des nicht Aussprechbaren balanciert, bewegt sich die Inszenierung an den Rändern des nicht Darstellbaren. Die Sprechenden hasten durch die Sätze, sie klammern sich an das Banale, als könnten sie sich so die große Tragik, in der sie stecken, noch eine kleine Zeit vom Leib halten.
Es geht für die jungen Soldaten nicht um Politik oder Ideologie, das ist Sache derer, die sie in den Krieg geschickt haben. Sie kämpfen mit der Scham, das Töten gelernt zu haben. Da liegt einer in einer Grube mit einem fremden Soldaten, den er umgebracht hat, um nicht von ihm getötet zu werden. Und alles in ihm rebelliert gegen das, was er getan hat, Mitgefühl, Moral. Er kennt sich selbst nicht mehr mit der Tat auf dem Gewissen.
Zukunft, Erinnerung, Fronturlaub – wann immer die Gedanken wenigstens versuchen, aus dem Stellungskrieg und den nassen Gräben zu fliehen, sie erreichen den Horizont nicht mehr, jedes früher vertraute Gelände ist jetzt unterminiert durch den Krieg. Diese tiefe Zerstörung des Einzelnen im Krieg, zu Recht steht dafür bis heute Remarques Roman.
Schmal, knabenhaft, blass, fast Kinder noch: So nimmt einer der Soldaten seinen Schulfreund wahr, dem er beim Sterben im Lazarett zuschaut. Und so sieht man auch die Konturen der nackten Schauspieler in dem wenigen Licht, in dem sie sich bei dieser Textpassage gegenüberstehen. Es ist die Verletzlichkeit des Menschen, die Mina Salehpour in ihrer knappen Inszenierung hervorhebt. Dass auch zwei junge Schauspielerinnen (Henriette Hölzel und Lisa Natalie Arnold) die Soldaten spielen, erhöht diesen Aspekt und unterstreicht die Gewalt, die in dem zum Mann-gemacht-Werden des militärischen Drills liegt.
Am Ende übernimmt ein Saxofonquartett, Schüler eines Musikgymnasiums spielen ein Requiem. So jung wie die Protagonisten des Romans, als sie in den Krieg mussten.
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