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In der bleichblassen Hyggehölle

Vor sieben Jahren ist unsere Autorin von Hamburg auf die dänische Insel Møn gezogen. Heute schätzt sie die selbst gebackenen Brötchen ihrer Freundinnen

Einfach den Fischen beim Schwimmen zusehen: Dän*innen schätzen die kleinen Freuden des Alltags Foto: Marcus Brandt/dpa

Von Rebecca Clare Sanger

„Egal wo Du bist, Du wirst immer Dich selber mitnehmen“, sagte meine Freundin einmal. Aber ich hatte mich selber nicht mitgenommen, ich war in die bleichblasse Hyggehölle gezogen, suchte einsam auf Autobahnraststätten nach Essbarem wie ein räudiger Hund, Wurst, Wurst und noch mal Lakritz.

Meine Freundin hatte gut reden, sie war nach Italien gezogen, welches durch Essen, Wetter und manchmal Architektur besticht. Die entvölkerte Ostseeküste Dänemarks musste man nehmen, wie sie kam – und auch das nur in kleinen Dosen.

Der Rückzug auf mein Mobiltelefon kam für mich in derselben Zeit wie mein Umzug nach Dänemark. Nie zuvor wäre ich darauf gekommen, mich zur Müttergruppe über Facebook zu verabreden, meine Kinderkleidungs- und Tieraussteuerkäufe über DBA (Den Blåe Avis, Dänemarks größter Anzeigenmarkt) oder mein entlaufenes Kaninchen auf der lokalen Internetseite suchen zu lassen.

Mit meiner unmittelbaren Nachbarin kommuniziere ich bis zum heutigen Tag herzlich, ehrlich und fast ausschließlich über Facebook. Nicht mal der Gartenzaun ist tief genug – nur für das entlaufene Kaninchen war er es … Und meine Nachbarin und ihr Mann: großartig, wie sie selbstverständlich und ohne viele Worte der Beschwerde das Tier im Kescher zu uns zurücktrugen.

Anfangs wunderte es mich, von meiner Freundin aufgefordert zu werden, nach Hause zu gehen, weil sie und ihr Mann jetzt in Ruhe Mittagessen wollten. Rasend war ich, als zur Müttergruppe jedes einzelne Lebensmittel bis hin zum löslichen Kaffee und der Margarine mitgebracht werden sollte. Und mit meiner heutigen besten Freundin habe ich mich erst anfreunden können, als meine Kinder – wie ihr Sohn schon längst – in die Kita kamen. Vorher grüßten wir uns monatelang nur scheu in Eiseskälte auf Fahrrädern mit Kinderanhängern.

Die Umarmungen, mit denen wir uns auf der Insel Møn begrüßen, sind dezenter als deutsche und konkreter als die in Italien

Wo ich wohne, auf der Insel Møn, brauchten die Leute vielleicht ein bisschen länger, um sich zu öffnen, als ich es bisher gekannt hatte. Und als sie sich geöffnet hatten, brauchte ich vielleicht ein bisschen länger, um es wahrzunehmen; der dezente Selbstschutz, die professionelle Freundlichkeit standen immer dazwischen.

Oder aber sie brauchten ein bisschen länger, um mich wahrzunehmen – vielleicht war ich eigentlich noch in Hamburg geblieben. Und was man in mir sah – die ewige Unsicherheit, das komplette Unverständnis – musste phönixartig sich erneuern, um die Andersartigkeit meines neuen Wohnsitzes zu schätzen.

Heute liebe ich den Gedanken an die zahlreichen selbst gebackenen Brötchen, die mich nun, nach sieben Jahren, in all den wunderbaren Heimen meiner Freundinnen erwarten. Majas sind besonders lecker, Lines besonders schön angerichtet, Hannahs gesund und glutenfrei – und die Umarmungen, mit denen wir uns begrüßen, sind dezenter als deutsche und konkreter als die in Italien. Kram oder Knus heißt das, und ich benutze diese Worte viel beim schriftlichen Verabschieden auf dem Mobiltelefon. Und finde „Umarmung“ fast ein bisschen erdrückend, wenn ich versuche, für meine deutschen Freunde ein geeignetes sprachliches Pendant zu finden.

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