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Unter Freunden

In der Politik wird der Begriff der Freundschaft oft bemüht. Aber lässt sich die Semantik der Freundschaft sinnvoll auf Kollektive übertragen?

Eher im Sinne einer echten Freundschaft wäre vielleicht so etwas wie die gern behauptete „gefühlte Verbundenheit“

Von Robert Matthies

Ein „kulturelles Freundschaftsjahr“ feiern Deutschland und Dänemark 2020. Ausgehend „von den tiefen historischen Verbindungen“ beider Nachbarn soll es „die bereits hervorragende Zusammenarbeit unserer Länder weiterentwickeln und vertiefen“, so steht es in der Presseerklärung des dänischen Außenministeriums. Aber was bedeutet Freundschaft in solch einem Zusammenhang? Lässt sich die Semantik der Freundschaft auf Staaten oder zumindest auf die Beziehungen ihrer Bevölkerungen untereinander übertragen?

Auf der Ebene der Individuen scheint zunächst alles klar: Freundschaft ist ein Verhältnis zwischen einander in Vertrauen und Sympathie zugeneigten Menschen. Ein Verhältnis mit herausragender Bedeutung für die Einzelnen – und damit auch für die Gesellschaft, in der sie leben. Für Aristoteles war die Sorge des Staates um die Freundschaft für das Funktionieren des Gemeinwesens wichtiger als die Sorge etwa um die Gerechtigkeit. Die Freundschaft knüpfte die politischen Bande, wer etwas erreichen wollte, war im antiken Athen auf das Wohlwollen anderer angewiesen.

Drei Formen der Freundschaft unterschied Aristoteles: Nutzenfreunde kommen zu einem Zweck zusammen, Lustfreundschaften sind rein affektiv begründet – beides zufällige und labile Verbindungen. Stabil war für Aristoteles nur die Tugendfreundschaft, der es rein um die Freundschaft des anderen geht. Die Voraussetzung für solch eine wahrhaftige, echte, vollkommene Freundschaft: Beide Seiten sind sich in ihrer Tugendhaftigkeit ähnlich.

Kann es aber „tiefe Freundschaften“, „freundschaftliche Beziehungen“, „Völkerfreundschaften“ zwischen Staaten geben? Nein, Staaten haben keine Freunde, sie haben Interessen, lautet eine prominente knappe Antwort des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, der sich übrigens auch zeitgenössische Philosophen der Freundschaft wie Wolfgang Schmid noch im Großen und Ganzen anschließen.

In diesem Sinne können Staaten nur Verbündete und also „unechte“ Zweckfreunde sein. Die viel bemühte Freundschaft zwischen Staaten wäre dann zunächst nur eine symbolträchtige Geste des Vertrauens, dass eine vertragliche Grundlage wie zum Beispiel ein Friedensschluss von beiden Partnern auch im guten Willen umgesetzt wird.

Dass aus den „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich „Freunde“ werden sollen, wurde 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 22. Januar 1963 etwa schlicht durch Regierungshandeln im „Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ festgelegt: Regelmäßige Treffen von Regierungsvertretern fordert der Vertrag, Absprachen für eine gemeinsame Außen-, Verteidigungs- und Europapolitik – und Sprachunterricht, damit die Menschen beiderseits der Grenze miteinander in Kontakt kommen können. Damit aus einem Vertrag wirkliche Freundschaft entsteht, muss die Geste auf individueller Ebene untermauert werden.

Auch in der DDR war die Freundschaft zur Sowjetunion schlicht Staatsdoktrin. Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft war die zweitgrößte Massenorganisation des Landes, rund sechs Millionen Menschen klebten monatlich 10-Pfennig-Marken ins Freundschaftsheftchen. Die Übersetzung allerdings hat nicht funktioniert: Dem Land und den Menschen, mit denen man da offiziell befreundet war, kam auf der persönlichen Ebene kaum jemand wirklich näher.

Freundschaft zwischen Staaten wäre in diesen Fällen zunächst eine Regierungsgeste, ein Signal, dass beide Seiten bewusst am praktizierten Willen zum Frieden festhalten – Ergebnis einer politischen Gestaltung. „Kulturell“ würde diese Freundschaft erst dann, wenn die Absichtserklärung konkret unterfüttert wird mit Städtepartnerschaften, Jugendwerken, Freundschaftsgesellschaften oder anderen Netzwerken, die persönliche Begegnungen auf der individuellen Ebene ermöglichen.

Eher im Sinne einer echten Freundschaft wäre vielleicht so etwas wie die gern behauptete „gefühlte Verbundenheit“ – zwischen Hamburger*innen und Brit*innen zum Beispiel. „Hamburg ist vielleicht die Stadt, in der die Verbundenheit zwischen Deutschland und Großbritannien am stärksten zu spüren ist“, sagte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede im Rahmen des Großen Übersee-Tags 2017. Eine Verbundenheit, die nicht nur in den traditionell starken wirtschaftlichen Banden zum Ausdruck kommt, sondern auch im Temperament: Zum Beispiel komme die Trockenheit des Hamburger Humors dem berühmten britischen schon sehr nah und die hanseatische Zurückhaltung dem britischen Understatement.

Auch im Fall der Beziehungen von Deutschen zu Dän*innen gibt es eine gefühlte Nähe, jedenfalls im Norden. Laut einer repräsentativen YouGov-Studie aus dem Jahr 2016 ist den meisten Deutschen insgesamt zwar auf persönlicher Ebene Österreich am nächsten. In den einzelnen Bundesländern ist erwartbar aber jeweils der geographische Nächste auch der gefühlte Nächste: Menschen in Nordrhein-Westfalen fühlen sich den Niederlanden am verbundensten. Und die Schleswig-Holsteiner*innen eben zu den Dän*innen.

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