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Haushalten als heiliger Akt

In ihrer Ausstellung „tanzen anders“ im Kunstmuseum Bochum verbildlicht Evelina Cajacob mittels hypnotischer Videoinstallationen den Begriff der zyklischen Zeit

Alltägliches in skulpturaler Anmut: die Installation „Il paun da mintgadi“ („Das tägliche Brot“) Foto: Kunstmuseum Bochum

Von Max Florian Kühlem

Wie es eigentlich dazu kam, dass Evelina Cajacob, geboren 1961 im schweizerischen Graubünden, ihre erste große Überblicks­ausstellung mit allen Videoarbeiten, vielen Zeichnungen und Rauminstallationen ausgerechnet im Kunstmuseum der Ruhrgebietsstadt Bochum erhielt – diese Frage sollte man noch einen Moment zurückstellen. Zu profan erscheinen selbst interessanteste Verästelungen des Kunstbetriebs im Angesicht eines Werks, das wie kaum ein anderes einen überzeitlichen Raum eröffnet.

Dabei haben es Videoarbeiten im Museum normalerweise schwer. Selten geben sich Besucher*innen Bildschirmbildern im selben Maße hin wie einem Gemälde oder einer Skulptur; sie nehmen sie nicht selbstverständlich als originäre, auratische Kunstwerke wahr. Überschreiten Videos eine bestimmte Länge, passen sie außerdem oft nicht in die Zeitökonomie des Museumsbesuchs. Anders ist das bei Evelina Cajacob: Sie verbildlicht mit dem vergleichsweise jungen Medium den Begriff der zyklischen Zeit, der dem Menschen spätestens im beginnenden Industriezeitalter zugunsten einer Vorstellung von Zeit als linearem Fortschritt verloren ging.

Immer wieder sind es in ihren Videos weibliche Hände, oft die der Künstlerin selbst, die traditionelle, alltägliche Tätigkeiten vollführen – die Grundlagen eines Haushalts, eines Lebens: Sie kneten Brot. Sie zerreißen Stoff und nähen ihn neu zusammen. Sie waschen Salat und Gartenkräuter. Sie rollen Wolle zu einem Knäul, wunderbare 80 Minuten lang. Und sie falten Handtücher. Wen die Ausstellung „tanzen anders“ im Kunstmuseum Bochum bis dorthin noch nicht gekriegt hat, der wird spätestens am Küchentuchstapel an einer Wand im Durchgang hängen bleiben.

„HandArbeit 2“ heißt das rund 13 Minuten lange, im Loop laufende Video von 2012, das ein Projektor von der Decke auf den Tücherstapel projiziert. Frauenhände aus drei Generationen – Großmutter, Mutter und Tochter – falten Küchentücher, die weiß sind oder farbige Muster tragen. Alle Hände falten nach derselben Technik: Sie dritteln die Tücher zweimal und legen sie so zu einem kleinen Rechteck zusammen. Die alten Hände tun es mit der größten Sorgfalt und Zärtlichkeit – Haushalten erscheint bei ihnen als heiliger Akt, die Urzelle des Tätigseins in der Welt. Die mittleren Hände (der Künstlerin selbst) falten routiniert und sicher. Die jungen Hände bewegen sich noch suchend, wirken manchmal ­fahrig.

Bald ist man versunken in kontemplativer Betrachtung der sich ständig verändernden Formen und Farben im Außen – und in der eigenen Geschichte im Innen. Wie hat die eigene Großmutter die Küchentücher gefaltet? In der Wäscherei im Altenheim, ihrem Arbeitsplatz, saßen manchmal Bewohnerinnen und halfen beim Falten der unzähligen Handtücher, Kopftücher, Küchentücher, Schnupftücher – und jede hatte eine mindestens graduell andere Technik. „Bei uns hat immer Papa die Tücher gefaltet“, murmelt eine Besucherin wie im Traum, vom Sog des Videos ergriffen.

Die Tonspuren von Evelina Cajacobs Video-Loops verbinden sich im Kunstmuseum Bochum zu einer Arbeit ganz eigener Kategorie. Das Reißen der Stoffbahnen, das Summen beim Zusammennähen, das Wasserplätschern beim Salatwaschen. Die teigknetenden Hände sind in eine runde Schale projiziert, was ein Werk von skulpturaler Anmut ergibt. Man blickt hinein wie in das Gedächtnis der Zeit oder die Unendlichkeit des Alls. Diese Transzendierung der Handarbeit heißt „Il paun da mintgadi“ („Das tägliche Brot“). Die meisten von Evelina Cajacobs Werken tragen Titel auf Rätoromanisch, der aussterbenden Sprache ihrer Heimat, in die die Künstlerin nach dem Studium in Barcelona, ihrer Kostprobe des Lebens in einer großen Weltmetropole, zurückgekehrt ist.

Heimat ist für sie auch ein Mikro-Mikrokosmos. An den Wänden des Bochumer Museums hängen unglaublich detailverliebte Bleistiftzeichnungen, die „Landschaften“ heißen, obwohl sie eine Versenkung in die feinen Verästelungen eines Buschs oder Strauchs im Negativ zeigen. Ein Tritt näher heran kann hier einen Schritt hinein ins Heilige bedeuten. Die Landschaft wird zum Geflecht aus einzelnen, mit Bedacht gewählten zeichnerischen Gesten. Es gibt keine eindeutigen Hinweise darauf, aber diese Ausstellung hat auch eine zenbuddhistische Anmutung.

Immer wieder sind es weibliche Hände, die traditionelle Tätigkeiten vollführen – die Grundlagen eines Lebens

Einige Brombeeräste und -blätter hat Evelina Cajacob wie Schatten einer verblassten historischen Malerei direkt auf die Wand aufgetragen. Sie fungieren als Verbindung zum Außen, zum Museumsgarten, in dem gerade jemand bedachtsam harkt und neue Sträucher pflanzt. Es ist – der Zufall will es so – Susanne Breidenbach, die die Galerie m führt, Bochums einzige Galerie mit internationalem Renommee, vertreten unter anderem auf der Art Basel. Ihrer Vermittlung ist zu verdanken, dass die Schweizer Künstlerin ins Ruhrgebiet gefunden hat. Eine Ausstellung mit Fotos von Evelyn Hofer hat sie vor rund zehn Jahren nach Graubünden geführt, wo sie im Hotel Bregaglia Werke von Cajacob entdeckte, die sie nicht mehr losließen.

Die Galerie m besteht jetzt 50 Jahre, und zum Jubiläum zieht Susanne Breidenbach auch eine besondere Zwischenbilanz: Ihre Künstlerliste sei geschlechterparitätisch aufgestellt. „Garantiert nicht wegen einer Quote. Aber wir sind möglicherweise weiblichen Positionen offener gegenüber“, sagt die Galeristin, die begeistert die Arbeit der feministischen Aktivisten von „Soup du Jour“ in Berlin verfolgt.

Auch wenn ihr Weg nach Bochum vielleicht einem Frauennetzwerk zu verdanken ist, haben Evelina Cajacobs Arbeiten keinen vordergründig feministischen Anspruch. Sie sind von aktuellen Diskursen losgelöste Meditationen über Heimat und Identität, Zu-Hause-Sein, Geborgenheit. Sie fragen: Warum sollte das, was alltäglich passiert, weniger Relevanz haben als vermeintlich spektakuläre, singuläre Ereignisse? Und: Gibt es einen genuin weiblichen Bereich?

Evelina Cajacob: „tanzen anders“. Bis 23. Februar, Kunstmuseum Bochum

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