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Perfider Plan mit Erfolgsgarantie

Um ins Gefängnis zu kommen, hat ein Obdachloser mit seinem Auto einen Mordversuch begangen

Von Lotta Drügemöller

Strafen sollen Menschen sanktionieren oder abschrecken. Keine dieser Funktionen kann bei dem Fall zur Geltung kommen, der gerade vor dem Oldenburger Landgericht verhandelt wird: Soweit bekannt, hat hier ein Mann einen Mordversuch verübt, gerade um dadurch ins Gefängnis zu kommen.

Am 11. Juni hat Eberhard B., 62 Jahre alt, bei 80 Stundenkilometern mit dem Auto einen Radfahrer von hinten angefahren. Der 48-jährige Torsten F. flog durch die Luft, beim Aufprall brachen Schädeldecke, Schulter und Schlüsselbein. B. hat, so sagte er gegenüber der Polizei, den Radler absichtlich angefahren und dessen Tod billigend in Kauf genommen. Er wolle ins Gefängnis kommen, um dort versorgt zu werden. B. war zum Tatzeitpunkt seit zwei Jahren obdachlos und lebte in seinem Auto. Im Prozess zeigt sich B. mit ruhigem Lächeln; sein Blick geht auch zu seinem Opfer.

Rückblick: Am 11. Juni nimmt sich der Friedhofsgärtner F. früher frei – es ist sein Geburtstag. Gegen 13 Uhr fährt er mit dem Rad nach Hause, auf dem Radweg entlang der Kirchhatter Straße. B. kommt mit seinem Kombi ebenfalls über die Landstraße. Der ehemalige Chemiefacharbeiter wurde 2015 entlassen und lebt seit 2017 in seinem Dacia Logan. Krankenversichert ist er nicht; seine Medikamente gegen Bluthochdruck und Diabetes hat B. schon einige Tagen nicht genommen. Mit dem Plan, ein Verbrechen zu begehen, um ins Gefängnis zu kommen, habe er schon länger gespielt, erzählt er später der Polizei.

ZeugInnen sehen an jenem 11. Juni, wie sein Wagen nach links ausschert, weiter auf den Grünstreifen und schließlich auf den Fahrradweg fährt. Der Dacia hält laut den ZeugInnen diese Spur und wird schneller. F. auf seinem Rad sieht den Wagen von hinten nicht kommen. B. guckt, so gibt er später an, bei der Kollision auf seinen Tacho: 79 Stundenkilometer habe er drauf gehabt.

F. fliegt übers Auto. „Dann habe ich irgendwo gelegen. Ersthelfer haben versucht, mich wach zu halten“, erinnert er sich. Seinen linken Arm kann er bis heute kaum anheben, manchmal trifft ihn aus dem Nichts ein Zittern der Beine. F. hat Albträume und Angst, nicht wieder arbeiten zu können. „Das wäre das Schlimmste“, sagt er.

B. ergreift am Prozesstag nicht das Wort – er hat zuvor schon vieles gesagt. „Angegrinst“ habe B. sie am Unfallort, erinnert sich Polizeikommissarin Christin S. Als sie ihn über die Folgen von fahrlässiger Körperverletzung belehrt, soll er sie unterbrochen haben: „Nein, hier liegt eine Straftat vor.“ Gelassen, geradezu erleichtert habe B. gewirkt. Er hoffe, jetzt im Gefängnis versorgt zu sein, ließ er einen der Polizisten wissen. Betont habe er auch, dass er keinen Einfluss darauf hatte, ob sein Opfer getötet oder verletzt würde. Tatsächlich, so stellt ein Gutachter fest, sei bei der hohen Geschwindigkeit ein tödlicher Ausgang die wahrscheinlichere Option gewesen.

Auf die Frage, was er sich wünscht, antwortet F.: „Dass der Mensch nicht bekommt, was er möchte.“ Doch B. wird sein Ziel wohl erreichen. Schon Dienstag wird mit einem Urteil gerechnet. Richter Sebastian Bührmann lässt schon jetzt wissen, das Gericht prüfe, „inwieweit von Strafmilderung abgesehen werden kann“.

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