Coming-out in Istanbul: Eine helfende Hand
In der verletzlichsten Phase meines Leben hatte ich Unterstützung von einem guten Freund. Seinen Namen habe ich vergessen, seine Hilfe nie.
H eute erzähle ich Ihnen von der Zeit nach meinem Coming-out. Es war eine aufwühlende Zeit. Einerseits war da die Aufregung, die man am Anfang eines neuen Lebens spürt, auf der anderen Seite die Enttäuschung, dass meine Job-Bewerbungen wegen meiner trans Identität abgelehnt wurden. Ich war gerade mit einer Freundin zusammengezogen, die in Etiler lebte, einem Stadtviertel, das damals als Istanbuler West Beverly Hills galt, weil hier viele Prominente wohnten.
Eines Abends gingen wir in eine kleine Bar in unserer Straße. Auf der Bühne stand eine junge Frau, die türkische Popsongs sang. Sie wurde später als Hande Yener berühmt. An diesem Abend gingen einige Champagnerflaschen über den Tisch. Die Bar war voller Männer, einer attraktiver als der andere. Sie müssen wissen, die Männer, die man in Istanbul in Bars trifft, sind meistens sehr schick und sexy, und sie tragen Markenkleidung.
An diesem Abend lernte ich einen Basketballspieler kennen, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere. Ein unglaublich sexy afroamerikanischer Mann aus Chicago. Unter normalen Umständen hätte ich ihn gleich mit nach Hause genommen, aber zwischen uns entstand schnell eine eigenartige Nähe. Er behandelte mich wie seine kleine Schwester.
Die Tage vergingen, und wir verbrachten viel Zeit miteinander. Eines Tages setzte mich meine Freundin mit einer kruden Erklärung vor die Tür. Sie erzählte irgendetwas von einem alten weißbärtigen Mann, der ihr im Traum gesagt haben soll, dass ich ausziehen muss. Es traf mich völlig unvorbereitet, denn ich hatte keinerlei Probleme mit meiner Freundin gehabt.
Nichts fürchten
Als ich mich wieder einigermaßen gesammelt hatte, rief ich den Basketballer an. Wir hatten uns in letzter Zeit viel getroffen, wahrscheinlich dachte ich deshalb zuerst an ihn. Genau eine Stunde nach meinem Anruf kam er mich abholen. Mit einem schwarzen Porsche, neuestes Modell, im weißen Hemd, das nur mit einen Knopf zugeknöpft war, und einem Parfüm, das „Hey, komm, schlaf mit mir“ rief. Der Typ war superheiß, ayol.
Ich blieb einen Monat bei ihm in der Wohnung. Zwischen uns entstand eine enge Freundschaft. Er sagte mir, dass ich mich vor nichts fürchten dürfe und bis zuletzt kämpfen müsse. Es gab auch interessante Momente in dieser Wohnung. Mein Freund benutzte zum Beispiel nie ein Handtuch, wenn er aus der Dusche kam. Das waren für mich echt schwierige Momente und eine sehr aufregende Erfahrung.
Irgendwann fand ich eine neue Wohnung und zog aus. Danach brach der Kontakt in all dem Umzugsstress ab. Später las ich in der Zeitung, dass er nach Chicago zurückgekehrt war. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Auch wenn mir sein Name nicht mehr einfällt, werde ich nie diesen Freund vergessen, der mir in der schwersten Zeit meines Lebens so sehr geholfen hat. Im Leben eines Menschen gibt es ja diese Konjunktive, man denkt sich: „Wenn ich doch nur …“. Mein größter Konjunktiv ist er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!