: Im Kasinomit Keynes
Der legendäre Ökonom John Maynard Keynes war auch erfolgreicher Börsenspekulant. Deshalb wusste er: Der Kapitalismus muss repariert werden. Dazu wollte er auch die Reichen besteuern. Was man von Keynes über die Zukunft des Kapitalismus lernen kann
Von Ulrike Herrmann
Wie funktioniert Geld? Die wichtigsten Erkenntnisse stammen von John Maynard Keynes, denn der Brite kombinierte Theorie und Praxis: Er war nicht nur ein herausragender Ökonom, sondern auch professioneller Spekulant. Keynes wettete auf Währungen, Rohstoffe und Aktien, nutzte Derivate und Kredite. Als er 1946 im Alter von 62 Jahren starb, hinterließ er ein Vermögen von umgerechnet 22 Millionen Euro.
Keynes konnte nur so ausgedehnt spekulieren, weil sich die Weltordnung nach dem Ersten Weltkrieg dramatisch verändert hatte. Der Goldstandard war zusammengebrochen, so dass die Währungskurse plötzlich wild schwankten. Dieses Chaos wollte Keynes ausnutzen – und sammelte Erkenntnisse, die auch hundert Jahre später aktuell sind.
Heute wie damals konzentriert sich die Spekulation vor allem auf die Devisenmärkte. Heute wie damals dominieren Finanzmärkte und Banken. In die Realwirtschaft wird kaum investiert, sondern vor allem mit Derivaten und anderen Finanzprodukten hantiert. Keynes beschrieb schon vor hundert Jahren unsere Gegenwart und Zukunft: Er analysierte, wie die Finanzmärkte den Kapitalismus zerstören können.
Keynes gilt heute oft als „links“ oder gar als radikal. Dies ist ein Missverständnis. Keynes war ein Konservativer und gehörte der britischen Elite an. Sein Vater war ein angesehener Ökonom, seine Mutter die erste weibliche Bürgermeisterin von Cambridge. Er besuchte die elitäre Privatschule Eton, studierte an der Universität in Cambridge, war später Dozent am King’s College, beriet Premierminister, spielte mit Gräfinnen Bridge – und war Mitglied der „Bloomsbury“-Künstlergruppe.
Allerdings verdiente er als Dozent in Cambridge zu wenig, um seinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren. Keynes begann daher zu spekulieren.
Anfangs lief es bestens. Im August 1919 stieg Keynes ins Devisengeschäft ein, und um seine Gewinne zu erhöhen, schloss er mithilfe von Derivaten „Termingeschäfte“ ab. Er kaufte nicht Währungen, sondern wettete auf ihren Kursverlauf. Keynes wollte von dem „Hebeleffekt“ profitieren, den Derivate bieten: Es wird nur eine kleine Gebühr fällig, so dass sich mit minimalem Kapitaleinsatz maximale Gewinne einfahren lassen.
Keynes kaufte Dollar, norwegische und dänische Kronen sowie indische Rupien, denn er nahm an, dass die Kurse dieser Währungen steigen würden. Gleichzeitig verkaufte er französische Francs, niederländische Gulden, italienische Lire und deutsche Mark. Am 2. Januar 1920 hatte Keynes bereits Profite von 6.154 Pfund erzielt – was rund 150.000 Euro entspricht.
Keynes’Erfolg reizte Verwandte, Freunde und Kollegen, es ebenfalls mit der Spekulation zu versuchen. Sie gründeten ein „Syndikat“, das bereits Ende April 1920 einen Gewinn von fast 9.000 Pfund eingefahren hatte. Doch im Mai wendete sich das Blatt.
Entgegen aller Erwartungen erholte sich die Mark, während der Dollar nachgab. Das „Syndikat“ musste mit einem gigantischen Verlust von 22.573 Pfund schließen. Langfristig behielt Keynes zwar recht, und die Mark fiel bis 1923 ins Bodenlose. Aber kurzfristig war er ruiniert. Keynes musste erkennen, was bis heute stimmt: „Der Markt kann sich länger irrational verhalten, als man selbst zahlungsfähig bleibt.“
Keynes spekulierte jedoch unverdrossen weiter und investierte auch in Rohstoffe wie Baumwolle, Blei, Zinn, Zink, Kupfer, Gummi, Weizen, Zucker, Jute und Leinöl. Nach nur zwei Jahren waren alle Schulden zurückgezahlt, die Verwandten entschädigt – und das eigene Vermögen auf mehr als 21.000 Pfund angewachsen.
Keynes glaubte damals noch, dass er den Konjunkturverlauf vorhersehen könnte – und investierte daher kurzfristig. Doch diese Ad-hoc-Strategie war nicht erfolgreich. Er machte zwar Gewinne, aber sein Aktiendepot schnitt trotzdem schlechter ab als der repräsentative Börsenindex. Zudem leerte sich sein Depot bald wieder.
Keynes hatte die Weltwirtschaftskrise nicht kommen sehen, und 1929 war er erneut ruiniert. Nachdem er in sieben Jahren zweimal sein Vermögen verloren hatte, änderte Keynes seine Anlagestrategie: Fortan investierte er nicht mehr kurzfristig und konzentrierte sich auf wenige Aktien.
Er beteiligte sich nur noch an Firmen, denen er vertraute: Autounternehmen, Goldminen, Flugzeugbauer. Bis 1945 stieg sein Aktienvermögen um das 23-fache, obwohl die Kurse an der New Yorker Wall Street nur um das Dreifache zulegten und die Londoner Börse sogar stagnierte.
Da Keynes professioneller Spekulant war, warnte er vor der Gefahr, dass Börsenwetten zum Selbstzweck werden. Nicht die erwartete Profitabilität von Firmen zählte, sondern allein das Herdenverhalten der Finanzanleger. Er schrieb: „Spekulanten mögen so lange keinen Schaden anrichten, wie sie Blasen auf dem steten Strom des Unternehmertums gleichen. Die Lage wird jedoch heikel, wenn das Unternehmertum nur noch eine Blase im Strudel der Spekulation ist. Wenn die Kapitalbildung eines Landes zum Nebenprodukt eines Spielkasinos wird, droht die Aufgabe zu misslingen.“
Keynes hatte damit eine Metapher geprägt: Noch heute ist es gängig, vom „Kasinokapitalismus“ zu sprechen, wenn die Finanzmärkte gemeint sind.
Um die Spekulation mit Aktien und Derivaten einzudämmen, schlug Keynes vor, eine Umsatzsteuer auf alle Finanzgeschäfte zu erheben: „Es herrscht gewöhnlich Einigkeit, dass es im öffentlichen Interesse liegt, dass Kasinos schwer zugänglich und teuer sein sollten.“ Diese Idee ist nicht nur bei Globalisierungskritikern wie Attac beliebt, sondern wird neuerdings sogar von den EU-Finanzministern diskutiert.
Keynes schreckte nie vor radikalen Einfällen zurück und überlegte auch, ob man die Börsen nicht einfach abschaffen sollte, um die grassierende Spekulation zu beenden. Aktien und Anleihen könnten doch „wie Ehen“ sein: Die Finanzanleger müssten sich dauerhaft an diese Papiere binden und dürften sie nicht mehr abstoßen. „Die Investoren wären gezwungen, sich auf die langfristigen Perspektiven zu konzentrieren.“
Allerdings sah er ein „Dilemma“: Finanzanleger würden die Flucht ergreifen, wenn sie ihre Wertpapiere nicht jederzeit verkaufen könnten. „Nur weil sich jeder einzelne Anleger einbilden kann, dass sein Engagement,liquide' sei […], beruhigt dies seine Nerven und macht ihn viel bereitwilliger, ein Risiko einzugehen. Wären Wertpapiere illiquide, könnte dies neue Investitionen deutlich erschweren.“
Um die Finanzmärkte zumindest ein wenig auszutrocknen, wollte Keynes die großen Vermögen besteuern. Vor allem Erben sollten stark belastet werden. Was revolutionär klingt, hielt Keynes für „moderat konservativ“. Er wollte den Kapitalismus reparieren, nicht abschaffen.
Keynes’Ideen haben sich nicht durchgesetzt. Leider. Derzeit kreisen täglich etwa vier Billionen Dollar um den Erdball, um mit Währungen zu spekulieren. Es ist exakt eingetreten, was Keynes theoretisch beschrieben hat. Der Kapitalismus wird von den Finanzmärkten dominiert – und verwandelt sich in ein globales Kasino.
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