: Böses Lachen über die Schöpfung
Blicke in die Abgründe der österreichischen Seele: Das Karikaturenmuseum in Hannover zeigt Karikaturen von Manfred Deix, darunter bislang unbekannte Blätter aus dem Besitz seiner Witwe
Von Bettina Maria Brosowsky
Das Fette, an dem ich würge: Österreich“, vermerkte Peter Handke im Dezember 1975 in seinem Journal „Das Gewicht der Welt“. Der Literat sollte mittlerweile an ganz anderem zu würgen haben, zeitlebens äußerst produktiv an Österreich gewürgt hat jedoch der Wiener, besser: niederösterreichische Karikaturist, Grafiker, Musiker und auch kabarettistische Dichter Manfred Deix.
1949 als Sohn eines Gastwirtspaares nahe Wien geboren, sah er von Kindesbeinen an in die Abgründe der österreichischen Seelen: die stets verdrängte NS-Geschichte, ihre verklemmten Existenzen, die sich im Rausch und zu viel und zu ungesundem Essen einen Ausgleich suchten, mitsamt zwischenmenschlicher Probleme, die sich nur „ungustiös“ bis obszön entladen konnten.
Bereits als Erstklässler verkaufte der begnadete Zeichner Deix seine „Nackerten“ in der Schule, mit elf konnte er seinen ersten wöchentlichen Comic-Strip platzieren, sinnigerweise in der Niederösterreichischen Kirchenzeitung. Abgebrochene Kunststudien in Wien folgten, so nach immerhin 14-semestriger Immatrikulation an der Akademie der Bildenden Künste.
Zu dem Zeitpunkt, um 1975, war Deix aber längst ein gefragter Karikaturist, häufig für die nicht-österreichische Presse: Stern, Titanic, Pardon. Er steuerte auch Titelbilder für den Playboy bei. Ins seriöse Fach des Deix'schen Schaffens gehören Bühnenbilder fürs Wiener Burgtheater, André Hellers Spektakel oder, 1999, eine Baustellenverhüllung des Grazer Rathauses mit einer 1.600 Quadratmeter großen Plane aus 14 monumentalen Karikaturen.
Deix'Tatendrang war enorm und ließ ihn folglich Ende der 1980er-Jahre eine von der FH Hamburg angetragene Professur ausschlagen – wegen Arbeitsüberlastung. Deix lebte so exzessiv, wie er arbeitete: bekennender Trinker und Kettenraucher, rastlos, gemeinsam mit seiner Ehefrau und zeitweilig wohl an die hundert Katzen in einem Haus nahe Wiens ansässig, er starb 2016.
Zu seinem 70. Geburtstag widmet ihm nun das Museum Wilhelm Busch für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover eine große Ausstellung mit über 200, teils unbekannten Blättern aus dem Besitz seiner Witwe. Der beißende Spott des Manfred Deix galt dem verkommenen und bigotten Kleinbürger: körperlich aus dem Leim gegangen, von ungesund blassrosa Hautfarbe, mit pickeligem Gesicht, Glubschaugen oder deformierter Nase, der es sich, gern halbnackt in schmuddeliger Feinrippunterwäsche, gut gehen lässt. Diesen Typus, als den sich natürlich niemand selber wahrnimmt, prägt großer Wiedererkennungswert, er schaffte es als „Deixfigur“ bis in den Duden, „die ins Lächerliche verzerrte Darstellung eines Menschen“.
Deix'Karikaturen machten aber nie Witze auf Kosten der Schwachen, seine auch politisch spitze Feder entblößte die vermeintlich Mächtigen, die kirchlichen Würdenträger, die Politiker, besonders aus dem rechten Spektrum. Jörg Haider, von 1986 bis 2000 „Parteiobmann“, als Vorsitzender der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), stellte er als Kampfhund dar oder, 1997 und nun in Hannover zu bewundern, als deviante Domina in knappem blauem Leder, der Farbe der Partei. Es hagelte Klagen Haiders.
In einem seiner Nach-Nachfolger, dem im Frühjahr so unrühmlich demissionierten Heinz-Christian Strache, sah Deix 2010 nur den skrupellosen Opportunisten, der zum Judentum konvertieren würde, so er mit den Nazis keine Fortune mehr habe.
Deix'Karikaturen leben von dem pointierten, kurzen oder auch etwas längeren Text zum Bild, der in Hannover als wortschöpferisches, eigenes Werk dargestellt wird. Ganz im Geist des Hausherren reimte er 2005 zum 60-jährigen Kriegsende über Hitlers letzte Stunden, in trauriger Seelengemeinschaft mit seiner Schäferhündin: „Nix wird mit GERMANIA, Russ und Neger sind schon da.“ Und schlug folglich die Perspektive einer Flucht aus: „Ach was, ich bleibe einfach hier, mit Blondie, meinem treuen Tier.“
Deix'Karikaturen mag man als geschmacklos, obszön, unter Me-Too-Gesichtspunkten als nicht ganz koscher empfinden. Deix aber war, bis heute ungemein erfrischend, nichts heilig, er kannte keine Tabus, keine anbiedernde Parteinahme, sah ungeschönt die Erbärmlichkeit, auch der eigenen Existenz. Sein Studienkollege, der nicht minder abgründige Gottfried Helnwein, brachte es einst auf den Punkt: „Es war Deix, der uns zu der bedeutenden philosophischen Erkenntnis verholfen hat, dass die Schöpfung lächerlich und Gott der größte Humorist ist.“
Deix. Zum 70. Geburtstag des Künstlers: bis 22. 3. 20, Hannover, Wilhelm Busch – Museum für Karikatur und Zeichenkunst
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen