Politologin über Gleichberechtigung: „Von selbst bewegt sich nichts“
Der Anteil von Frauen in Deutschlands Parlamenten ist rückläufig. Politologin Helga Lukoschat schlägt als Gegenmaßnahme ein Parité-Gesetz vor.
taz: Frau Lukoschat, sollte Bremen wie Thüringen und Brandenburg ein Parité-Gesetz verabschieden?
Helga Lukoschat: Ja, gerade Bremen, als Land mit verhältnismäßig hohem Frauenanteil im Landtag sollte sich dafür einsetzen. Denn es gibt keine Gewähr, dass der Anteil auch so bleibt. Wenn Bremen also nochmal in die Bütt steigen und sich für gute Lösungen stark machen würde, dann wäre das ein wichtiges Signal.
… weil sich der Frauenanteil in Deutschlands Parlamenten gerade schlecht entwickelt?
Es ist ja breit durch die Öffentlichkeit gegangen, dass wir im Bundestag auf den Stand von 1998 zurückgefallen sind, bei einem Frauenanteil von 31 Prozent. Der Höchststand lag in der Legislaturperiode davor bei 37 Prozent.
Ist dieser negative Trend auch in den Länderparlamenten sichtbar?
Durchaus: Bis auf Bremen, Hamburg und Hessen, wo der Anteil stagniert, ist er in allen anderen Länderparlamenten gefallen. Insgesamt liegen wir auch in den Ländern bei knapp über 30 Prozent. Jenseits der Zahlen ist dabei die Erkenntnis wichtig, dass es keinen Automatismus dafür gibt, dass es beim Thema Gleichberechtigung voran geht.
62, Politikwissenschaftlerin und Vorstandsvorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) Berlin.
Welche Ursachen machen Sie dafür aus?
Ein zentraler Punkt ist der Einzug der AfD im Bund und in den Ländern, weil sie schlicht sehr männerdominiert ist. Auch wenn es einige prominente Frontfrauen gibt, liegt der Männeranteil bei rund 90 Prozent. Eine andere Ursache ist, dass nur drei Parteien eine interne Quotenregelung haben: die SPD, die Linke und die Grünen. Die CDU kennt zwar auch ein Quorum, das hatte aber keinen Effekt auf die Direktmandate: Weltweit kann man erkennen, dass je mehr über Direktmandate läuft, desto geringer der Frauenanteil ausfällt. Deswegen lautet eine Forderung, auf die Listenwahl umzuschwenken. Bremen ist hierfür ein gutes Beispiel: Hier wird über Listen gewählt und es ist das Land mit einem der höchsten Frauenanteile.
Inwieweit ist ein Paritätsgesetz dazu geeignet, das Problem zu lösen?
Gesetze, die in die Wahllisten eingreifen und eine alternierende Besetzung von Frauen und Männern festlegen, sind sehr effektiv. Das zeigt auch die Erfahrung in Frankreich. In Bremen gibt es ja die Besonderheit, dass man kumulieren und panaschieren kann. Das ließe sich auch erweitern, etwa, indem man vorschreibt, die fünf zu vergebenden Stimmen auf mindestens zwei Frauen und Männer zu verteilen. Es wäre sehr interessant zu wissen, wie sich die Variante des Kumulierens und Panaschierens bisher auf den Frauenanteil ausgewirkt hat. Leider gibt es dazu sehr wenig Forschung. Erste Erkenntnisse zeigen aber, dass der Effekt in urbanen Regionen zu Gunsten, in ländlichen Regionen hingegen zu Ungunsten des Frauenanteils ausfällt.
Parité-Gesetze sollen für geschlechtergerechte Wahlen sorgen. Brandenburg und Thüringen sind in Deutschland Vorreiter, das Modell ist das französische Parité-Gesetz von 2000
Der Koalitionsvertrag legt fest, dass Bremens prüft, inwiefern diese Regeln übernommen werden können. Deshalb gibt es am Donnerstag, 19. 12., ab 14 Uhr eine Anhörung im Gleichstellungsausschuss mit den Sachverständigen Helga Lukoschat und Jura-Professorin Silke Ruth Laskowski (Uni Kassel) auf.
Sie haben das Beispiel Frankreichs erwähnt. War es hier nicht vielmehr die Partei „En Marche“ von Macron, die jüngst den Frauenanteil angehoben hat, statt das Parité-Gesetz?
Beides wirkt zusammen. Das Gesetz aus dem Jahr 2000 war auf kommunaler Ebene schnell sehr effektiv und hat zu einem Frauenanteil von fast 50 Prozent geführt. Denn nicht paritätisch besetzte Wahllisten werden zurückgewiesen. Auch die Gesetze in Brandenburg und Thüringen sehen entsprechende Sanktionen vor. Auf nationaler Ebene, wo Direktmandate vergeben werden, war der Effekt in Frankreich weniger deutlich, da die Parteien eher Strafzahlungen in Millionenhöhe in Kauf genommen haben als die Direktmandate paritätisch zu besetzen. Daher brauchte es in Frankreich auch eine Partei wie „En Marche“, die offen mit der Gleichstellung wirbt, um einen merklichen Effekt zu erzielen. Eine wichtige Lektion aus Frankreich ist zudem, dass es des öffentlichen Drucks und einer breiten Debatte bedarf, damit sich etwas bewegt.
Was erhoffen Sie sich von einem Paritätsgesetz in Deutschland?
Es sichert vor allem die Repräsentation der Hälfte der Bevölkerung. Für mich ist dies zwingende Grundlage einer zeitgemäßen Demokratie. Dadurch erhoffe ich mir zweierlei: Erstens, dass alle Parteien aufgefordert sind, nach guten Kandidatinnen zu suchen und diese aufzubauen – das geschieht bisher noch nicht systematisch. Und zweitens, dass das Thema Gleichstellung ressortübergreifend ernster genommen wird. Die Erfahrungen der skandinavischen Länder, die die höchsten Frauenanteile haben, sind hierfür ein positives Beispiel.
Gegen das brandenburgische Parité-Gesetz wurden allerdings bereits Klagen eingereicht …
Interessant ist, wer in Brandenburg geklagt hat: die NPD und die Piraten. In Thüringen hat die AfD angekündigt, zu klagen.
Aber auch die müssen Klagen begründen!
Der Umstand allein, dass es Klagen gibt und immer wieder die Frage nach der Verfassungskonformität aufgeworfen wird, sollte die Parlamente jedoch auch nicht daran hindern, die Gesetze zu verabschieden und voranzugehen. Die Debatte selbst ist allerdings wirklich sehr spannend. Im Mittelpunkt steht dabei, welche Relevanz dem Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes und dem darin enthaltenen Gleichstellungsgrundsatz zugesprochen wird. Dem werden zwei Rechte entgegengehalten: die Parteien- und Wahlfreiheit. Denn ein Paritätsgesetz greift natürlich dabei ein, ob ein Mann oder eine Frau einen Sitz kriegen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat hohe Hürden für das Wahlrecht gesetzt, dennoch sehen wir den gerichtlichen Auseinandersetzungen gelassen entgegen.
Oft wird der Einwand laut, ein Paritätsgesetz könnte zur Festschreibung einer binären Geschlechterordnung beitragen. Was ist mit den Menschen, die unberücksichtigt bleiben?
Das ist eine berechtigte Frage – die Rechte diverser Menschen müssen geschützt sein und es ist wichtig, deren Einbeziehung abzusichern. Sowohl Brandenburg als auch Thüringen haben dafür Lösungen gefunden. Im Gesetz, dass Brandenburg verabschiedet hat, können sich Diverse auf jedem Platz bewerben. Wenn dann am vorherigen Platz ein Mann steht, muss der nächste wieder von einer Frau belegt werden. Der Gesetzgeber kann diese Frage also relativ einfach lösen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“