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zwischen den rillenWellness vom brennenden Piano

Kann Musik aus Rap resultieren, aber eben kein Rap im klassischen Sinne sein? Sie kann, man höre das Noise-Hardcore-Rap-Projekt Death Grips oder aktuell das kalifornische Trio clipping. Dessen neues Album „There Existed an Addiction to Blood“ beantwortet die Frage, ziemlich überzeugend. Der Brachial-Sound von clipping. setzt den charakteristischen Sprechstil von Rap zwar als tragendes Stilmittel ein, aber nicht mehr zwangsläufig im musikalischen HipHop-Kosmos um.

clipping. kommen aus Los Angeles, Rapper Daveed Diggs und die Produzenten William Hutson und Jonathan Snipes sind im Noisesound, in der Performance-Kunst und als Autoren beim britischen Musik-Magazin The Wire tätig, mit konventioneller Black Music haben sie wenig am Hut. Seit 2009 produzieren sie ihre schroffe, schwer zugängliche Musik. Ihr Label Sub Pop, früher eine Bastion von Grunge und Noise Rock, setzt schon seit einiger Zeit auf unkonventionellen HipHop wie Shabazz Palaces und clipping. vereinen nun das Beste aus beiden Welten.

Am Anfang des Albums bietet der Song „La Mama Ordina“ eine Aneinanderreihung richtig brutaler Filmszenen. Popreferenzen, vor allem aus Horrortrashfilmen, vermischen sich mit der aggressiven Diktion von Battlerap. Die Stimmen von Daveed Diggs und einigen Gästen sind verzerrt, immer wieder mit Effekten belegt. Wenn jemand rappt, dann rauscht es auch im Hintergrund. In „La Mama Ordina“ verzerren sich die Stimmen so weit, bis irgendwann über eine quälend lange Minute hinweg nur noch Rauschen zu hören ist. Die Reime mutieren zu Lärm. Den Groove muss man sich zwischen den Störgeräuschen irgendwie selbst konstruieren.

„There Existed an Addiction to Blood“ ­enthält 15 maximal überfordernde Songs, aber sie klingen dennoch erfrischend. Man kann sich clipping. über die Sounds erschließen. Denn sie wirken ein bisschen wie Special Effects im Kino und erzählen für sich schon viel, haben ihre eigenen Narrative. All das mechanische Rauschen wirkt, als komme es direkt aus einem Maschinenraum. Zwischendurch bellen Hunde, atmet jemand und klingt dabei, als hätte er eine Panikattacke. Das alles wird aber nicht aufgelöst und bleibt absichtlich unklar.

Die tiefe Stimme von Daveed Diggs klingt dazwischen zwar stets bedrohlich, sie ist der einzige menschliche Aspekt zwischen der von Hutson und Snipes kreierten feindseligen Klangkulisse. Interessant sind auch alle jene kurzen Momente, in denen sich der Sound aufhellt, in denen Diggs plötzlich singt, in denen es ganz kurz nur harmonisch wird, fast ruhig. An diese Momente muss man sich klammern, um „There Existed an Addiction to Blood“ auf Dauer aushalten zu können.

Die zweite Möglichkeit ist es, sich das Album über die teils gebrüllten, manchmal gesäuselten Sprechtexte zu erschließen. Denn während aktueller Rap in Richtung maximale Verknappung der Lyrics geht, sind Diggs’wortgewaltige Texte maximal dicht. An sich sind die Songs kurze, nicht unmittelbar zusammenhängende Erzählungen. Eine Art von Horror-Prosagedichten.

Die Figuren rennen weg, zerstören etwas, schießen, sind paranoid, tragen Angst und Wut in sich und bringen das zum Ausdruck

Die Figuren rennen weg, zerstören etwas, schießen, sind paranoid, tragen Angst und Wut in sich und bringen das zum Ausdruck. Oft spielen die Szenen in einem Los Angeles, das dem Untergang geweiht zu sein scheint, ohne Glamour. „The brain is flippin’the language, the lungs are probably toast / But everybody who ever stopped runnin’is now a ghost“, rappt Diggs auf „Run For Your Life“. Durch das Zucken und Ruckeln im Hintergrund laufen Sound und Text hier schließlich wieder zusammen und kreieren Paranoia. Zum Finale erklingt schließlich die 18-minütige Aufnahme eines brennenden Pianos. Im Vergleich zum vorangegangenen Gemetzel klingt das schon fast wieder nach Wellness. Krasses Album!

Johann Voigt

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