piwik no script img

Freuen sich Außerirdische über Ukrainerinnen?

SAISONAUFTAKT Nora Bossong, Daniela Dröscher, Michael Maar, Claude Sulzer und Norbert Zähringer lasen im LCB aus neuen Romanen

Das Lebensende scheint hier auf einmal sehr viel Anfangspotenzial zu bieten

Karrieren, Beziehungen, das Leben. Zum Auftakt der neuen Buchsaison konnte das Publikum am Wochenende im LCB von fünf Autoren, die aus ihren neuen Büchern vorlasen, lernen, wie man Dinge beendet. Aber um enden zu können, müssen Dinge erst einmal anfangen. Der Roman „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ der 30-jährigen Nora Bossong beginnt mit dem Satz: „Essen lag 6.000 Kilometer entfernt, gefühlt neun Stunden, zwei Lufthansamenüs, drei Tageszeitungen.“

Der Titel ist Programm, Bossong beschreibt Aufstieg und Fall eines Familienunternehmens, das sich der Herstellung von Frotteehandtüchern widmet. Luise Tietjen, die junge Erbin, landet gerade in New York. Hier lebt ihr Vater, er ist vor der Verantwortung als Firmenchef geflohen. Trotz der Distanz scheint der untergetauchte Patriarch die Familie noch gut im Griff zu haben, denn Luise gehorcht sofort, wenn der Vater sie auf die andere Seite des Atlantiks beordert. Aber das Verhältnis zur Tochter bleibt ambivalent, schließlich hat Kurt Tietjen es sich zum Prinzip gemacht, „zu zerstören, was nach ihm kam, um loszuwerden, was vor ihm gewesen war“.

Den Abend eröffneten die AutorInnen Michael Maar und Daniela Dröscher. Letztere stellte ihren Roman „Pola“ ebenfalls vor, indem sie die Passage einer Ankunft vorlas. Die Stummfilmdiva Pola Negri kehrt 1935 freiwillig in das nationalsozialistische Deutschland zurück, weil sie hier ihr großes Comeback wittert. Der Niedergang nimmt seinen Lauf.

Auch bei Maar geht es um einen verglühenden Star. „Die Betrogenen“ handelt von einem berühmten Schriftsteller und seinem Biografen. Der auf einen Titel von Thomas Mann anspielende Roman ist Maars belletristisches Debüt. Bisher hatte der 52-Jährige vor allem als Kritiker und Essayist gearbeitet. Seine Belesenheit zeigt sich nicht nur an dem abstrakten Gespräch seiner Figuren, auch wenn er frei spricht, zitiert er Nietzsche und Nabokov, als gehörten sie zum festen Wortschatz.

Nach der Pause ist der große Saal der LCB-Villa immer noch voll besetzt. Zu Recht, denn nach den eher ernsten Niedergängen des Unternehmens, der Diva und des fiktiven Schriftstellers folgt nun das humorvoll beschriebene Ende einer Musikerkarriere. Oder deren Umwandlung in einen Mythos. In dem Roman „Aus den Fugen“ von Alain Claude Sulzer beschließt der Pianist mitten in Beethovens Hammersonate, mit dem Klavierspielen aufzuhören. Er klappt den Klavierdeckel zu und verlässt die Bühne mit den Worten: „Das war’s.“ Die Textpassage ist der Angelpunkt für alle weiteren Geschichten des Romans. Trotz ihrer Kürze zeugt sie von Sulzers virtuosem Umgang mit Synonymen und Metaphern, die der Text immer auch ironisch mitthematisiert.

In dem Roman „Bis zum Ende der Welt“ von Norbert Zähringer geht es dann um echte Sternschnuppen und eine weitere seltsame Konstellation: Anna und Laska. Anna ist eine junge Ukrainerin, die den pragmatischen Berliner Laska über eine Partnervermittlung ausfindig gemacht hat, um ihrem daueralkoholisierten Vater zu entkommen. Da Laska nur noch ein halbes Jahr zu leben hat, entscheidet er, die verbleibende Zeit in Portugal zu verbringen. Und Anna soll mit. Gegen Geld. In ihrem russischen Akzent stellt sie auf der Reise alle wichtigen Fragen zum Jenseits: Freuen sich Außerirdische über Fotos von Ukrainerinnen? Warum wünscht sich Laska nichts, wenn er eine Sternschnuppe sieht? Und wie wird er ihr eigentlich das Geld geben, wenn er tot ist? Das Lebensende scheint hier auf einmal sehr viel Anfangspotenzial zu bieten. Denn auch wenn es vielleicht nicht gerade der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist, so doch der einer sehr außergewöhnlichen.

CATARINA VON WEDEMEYER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen