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Hebamme über geflüchtete Schwangere„Diese Frauen haben es schwer“

Maike Jensen versorgt als Hebamme im Projekt Andocken Schwangere ohne Papiere und Versicherung. Ein Gespräch über Angst, Tragik und pure Freude.

Spricht fünf Sprachen und liebt ihren Beruf: Hebamme Maike Jansen Foto: Miguel Ferraz
Interview von Annika Lasarzik

taz: Frau Jansen, wie viele Frauen werden im Projekt Andocken versorgt?

Maike Jansen: Das variiert. Vergangenes Jahr hat unsere Gynäkologin 200 Schwangere versorgt. Ich als Hebamme betreue auf einer halben Stelle etwa 20 Frauen im Monat. Und der Kalender unserer zweiten Hebamme, die seit November ebenfalls in Teilzeit arbeitet, ist auch schon gut gefüllt. Zu uns kommen aber nicht nur Schwangere, insgesamt hatten wir letztes Jahr 800 PatientInnen. Sie lassen sich zum Beispiel wegen extremer Rückenprobleme, Diabetes, Abszessen bis hin zu Tuberkulose von unserer Allgemeinmedizinerin behandeln. Und zur Gynäkologin kommen auch Frauen, die zum Beispiel unter Menstruationsbeschwerden leiden. Wir sind hier ein interdisziplinäres Team und arbeiten eng zusammen.

Wie geht es den Schwangeren, wenn Sie zum ersten Mal zu Ihnen kommen?

Meistens ist die Schwangerschaft weit fortgeschritten, die Frauen sind oft schon in der 20. bis 30. Woche. Das ist eigentlich zu spät, eine erste Untersuchung empfiehlt sich um die achte Woche herum, auf jeden Fall im ersten Drittel der Schwangerschaft. Damit können regelwidrige Verläufe, etwa ein dauerhaft erhöhter Blutdruck, beobachtet und behandelt werden. Auch Mehrlings- oder Eileiterschwangerschaften können beim Ultraschall erkannt werden. Aber die Angst vor einer Abschiebung ist groß. Das merken wir schon, wenn die Frauen hier zur Tür reinkommen. Sie sind unsicher und still, wissen nicht, ob sie uns vertrauen können, weil sie auf der Flucht so viel erlebt haben.

Woher kommen diese Frauen?

Der Großteil stammt aus afrikanischen Ländern wie Ghana, Benin, Nigeria, Senegal. Einige auch aus Lateinamerika oder Asien, wenige aus den osteuropäischen EU-Anrainerstaaten. Viele haben ihre Kinder bei ihrer Familie zurückgelassen. Sie glaubten, sie mit in Europa verdientem Geld besser versorgen zu können als vor Ort. Dahinter stehen oft tragische Geschichten. Eine Patientin aus Benin sollte nach dem Tod ihres Mannes wieder verheiratet werden. Sie vertraute jemandem, der ihr Arbeit in Paris versprach. Doch dort angekommen, wollte er sie zur Prostitution zwingen. Also flüchtete sie wieder und schlug sich ganz allein bis nach Deutschland durch.

Im Interview: Maike Jansen

40, betreut bei der Diakonie in Hamburg-Altona Schwangere ohne Papiere. Bis Ende 2021 ist ihre Stelle durch die Initiative Skala der Unternehmerin Susanne Klatten gesichert.

In welchen Verhältnissen leben die Frauen heute in Hamburg?

Das ist ganz unterschiedlich. Manche sind bei Bekannten untergekommen, die selbst geflüchtet sind und inzwischen legal hier leben. Dort kochen sie, kümmern sich um die Kinder, dürfen dafür auf dem Sofa schlafen. Viele arbeiten in prekären Verhältnissen. Und einige wechseln ihre Unterkunft ständig, schlafen in irgendwelchen Privatwohnungen auf dem Fußboden oder kommen in Kirchen unter. Keine feste Bleibe zu haben, ist ein großes Problem: Gerade Schwangere brauchen Sicherheit, Wärme, Wohlgefühl. Auch eine gesunde, ausgewogene Ernährung ist wichtig. Doch diese Frauen haben gar nicht die Möglichkeit, darauf zu achten, viel Obst und Gemüse zu essen.

Wie äußert sich dieser Stress körperlich?

Vielen Frauen fehlen Folsäure und andere wichtige Vitamine. Einige haben einen harten Bauch. Der entsteht, wenn sich die Gebärmutter verkrampft, zum Beispiel aufgrund großer körperlicher oder seelischer Belastung. Auf Dauer ist das gefährlich, vorzeitige Wehen oder ein Blasensprung können die Folge sein. Viele der Frauen arbeiten körperlich schwer als Putzfrau und halten sich nicht an die Empfehlungen aus dem Mutterschutzgesetz. Weil sie die einfach nicht kennen und das wenige Geld brauchen. Auch Harnwegs- und Pilzinfektionen treten häufig auf, weil die Frauen nicht ausreichend Körperhygiene betreiben können. Und außergewöhnlich viele haben mit extremer Übelkeit zu kämpfen. Auch das liegt sicher am Stress – schlechte Ernährung, kein geregelter Alltag, keine Familie und die Sorge, abgeschoben zu werden.

Wie nehmen Sie den Frauen die Angst?

Ganz nehmen kann ich sie ihnen vielleicht nicht. Aber ich versuche, besonders behutsam zu sein, viel zu erklären. Am Anfang stelle ich zwar Fragen zum körperlichen Befinden, aber noch keine zur persönlichen Situation. Erst wenn sie merken, dass sie in einem geschützten Raum sind, öffnen sich die Frauen und kommen ins Erzählen.

Was passiert beim ersten Beratungsgespräch?

Erst mal die übliche Vorsorge: Blut abnehmen, Urin kon­trollieren, Blutdruck checken, Bauch abtasten und messen, die Herztöne des Kindes abhören. Manchmal mache ich zur Sicherheit noch einen Schwangerschaftstest. Ist die Gynäkologin da, macht sie einen Ul­traschall. Dann vereinbaren wir einen Termin mit unserer Sozialarbeiterin, die Fragen zu Aufenthaltsrecht und Krankenversicherung beantwortet. Dort erfahren die Frauen, dass sie ab der 32. Woche eine Duldung bei der Ausländerbehörde erhalten können, die bis zu acht Wochen nach der Geburt gilt. In der Zeit können sie nicht abgeschoben werden, wären auch krankenversichert. Um HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten auszuschließen, schicken wir die Frauen noch für entsprechende Tests zu Casa Blanca, einer Beratungsstelle in Hamburg-Altona.

Wie geht es dann weiter?

Sind die Blutergebnisse da, gebe ich bei Bedarf Magnesium, Eisen, andere Vitamine, und stelle den Mutterpass aus. Gemäß der Mutterschutzrichtlinien sollten dann noch zwei weitere Ultraschalluntersuchungen folgen. Doch ein Problem ist, dass die Frauen nicht immer wiederkommen. Vor zwei Monaten fiel der HIV-Test einer Schwangeren positiv aus. Ich versuchte, sie zu beruhigen, doch sie sagte immer wieder nur: „I’m not sick, no, no, I’m fine …“ Seither habe ich sie nicht mehr gesehen. Wir können nur spekulieren, ob sie aufgegriffen und abgeschoben wurde. Ob es ihr und dem Kind gut geht. Die HIV-Diagnose löst große Angst aus, viele kennen die Krankheit aus ihrer Heimat und sehen darin direkt ein Todesurteil. Die meisten werdenden Mütter sind aber sehr verantwortungsbewusst. Sie sind froh, versorgt zu werden und tun alles, damit es ihrem Kind gut geht.

Und wie gehen Sie damit um, wenn die Frauen psychische Probleme mitbringen?

Das kommt oft vor, einige leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen oder Angststörungen. Unsere Gynäkologin Teresa Steinmüller ist zugleich Psychotherapeutin und bietet Beratungsgespräche an.

Was ist eigentlich mit den Vätern, sind die präsent?

Selten, zumindest sehen wir sie nicht in der Praxis. Die Frauen kommen in Begleitung von Freundinnen oder weiblichen Verwandten. Aber die Fragen zu den Vätern sind natürlich essentiell für die Zukunftsperspektive von Mutter und Kind: Besteht Kontakt, hat er ein Au­fenthaltsrecht und – ganz wichtig – erkennt er die Vaterschaft an? Daran entscheidet sich, ob das Kind die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt und ob sich die Aufenthaltserlaubnis der Mutter bis zum 18. Lebensjahr des Kindes verlängert. Bei dem Punkt zittern viele. Nicht immer erkennen die Väter das Kind als ihres an. In solchen Fällen tauchen die Mütter nach der Geburt direkt wieder unter.

Aktuell arbeiten zwei Hebammen bei Andocken. Wie ist das Hilfsnetzwerk in Hamburg ansonsten aufgestellt?

Es gibt Anlaufstellen, die anonym behandeln, auch die Krankenhäuser müssen dies in Notfällen tun. Daher entbinden die Frauen in der Regel dort. Für das medizinische Personal gilt die Schweigepflicht. Unsere Praxis arbeitet eng mit der Clearingstelle des Flüchtlingszentrums zusammen. Das läuft sehr gut. Merken wir, dass eine Frau Anspruch auf reguläre Förderung hat und zu einem niedergelassenen Gynäkologen gehen könnte, wird sie dort beraten. Bei Bedarf werden ihr auch andere Fachärzte vermittelt. Es gibt also durchaus Hilfen, dennoch haben wir gerade in den letzten Monaten gemerkt, wie groß der Zulauf von Patientinnen allein in unserer Praxis ist. Da steht die Frage im Raum, wie all die Menschen mit fehlender Krankenversicherung in der Stadt in Zukunft versorgt werden können. Aus unserer Sicht ist hier der Staat in der Pflicht.

Wie finanziert sich Ihre Praxis?

Wir bekommen keine öffentliche finanzielle Unterstützung, sind rein aus Spenden finanziert. Aktuell erhalten wir eine Förderung durch die Skala-Initiative, über die beide Hebammenstellen finanziert werden.

Bringen die Frauen aus anderen Kulturkreisen eigentlich eine andere Einstellung zu Schwangerschaft und Geburt mit?

Klar gibt es Unterschiede, je nach Herkunftsland oder Familienmodell, das der Frau vorgelebt wurde. Viele Frauen ziehen sehr viel Kraft aus ihrem Glauben. Neulich trug eine Schwangere ein Taschentuch mit einem Heiligenbild auf dem Bauch. Es sollte das Kind beschützen. Alles, was den Frauen gut tut und der Gesundheit nicht schadet, finde ich völlig okay. Von ihren Rechten als Mütter und vielen Vorsorgeuntersuchungen haben sie hingegen meist nie etwas gehört. Noch ein Unterschied: In der westlichen Welt erhalten Schwangere oft den Stempel „krank“. Man geht zum Gynäkologen, ohne zu wissen, dass viele Untersuchungen auch von Hebammen durchgeführt werden können. Viele gehen das Thema Geburt sehr verkopft und verkrampft an, haben verlernt, auf ihre Intuition und den Körper zu hören.

Was brachte Sie in diese Praxis?

Ich habe lange in der Flüchtlingshilfe gearbeitet und fand es immer bereichernd, in anderen Kulturkreisen zu arbeiten. Nach dem Abi habe ich mit Straßenkindern in Paraguay gearbeitet. Nach meiner Ausbildung zur Kinderkrankenschwester war ich wieder dort, habe zudem in einem Gesundheitszentrum in Mittelamerika geholfen. Später habe ich noch eine Ausbildung zur Hebamme gemacht und als solche in den Niederlanden und Irland gearbeitet. Ich spreche fünf Sprachen, die mir hier sehr nützen. Und Hebamme ist ein großartiger Beruf. Man erlebt ein großes Wunder mit: die Entstehung eines Menschen.

Aber die Arbeit ist sicher auch belastend.

Auf jeden Fall. Darum sind regelmäßige Supervisionen für unser Team so wichtig. Da sitzen wir alle zusammen und besprechen Einzelfälle, die uns besonders mitgenommen haben. Den Austausch in unserem multiprofessionellen Team finde ich sehr hilfreich. Ich lerne täglich dazu. Ansonsten hilft es mir, einen Ausgleich zu schaffen: Ich arbeite zur anderen Hälfte freiberuflich, biete Schwangerenvorsorge und Wochenbettbetreuung an, außerdem Rückbildungskurse in einem Kinder-Eltern-Zentrum. Und nachts liegt mein Handy immer griffbereit, aber es ist ausgeschaltet. Da ich nicht freiberuflich in der Geburtshilfe arbeite, habe ich keinen Bereitschaftsdienst und einen festen Feierabend.

Und welche Momente bei der Arbeit hier mögen Sie besonders?

Wenn ich die Herztöne des Kindes abhöre und dabei ins Gesicht der Schwangeren schaue. Wenn sie dieses Klopfen hört, große Augen bekommt, ganz still wird und all die Anspannung purer Freude weicht. Es ist einfach schön, diesen Frauen, die es so schwer haben, Mut machen zu können und sie zu unterstützen.

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