Bürgerversammlung im Olympiastadion: Gefühlsgleichschritt der Bewegung

Eine Kondomfirma, eine Klimagruppe und „die Wissenschaft“ treffen sich als emotionale Masse im Stadion. Was kann da schon schiefgehen?

Das Berliner Olympiastadtion wurde von 1934 bis 1936 für Hitlers Olympische Spiele 1936 errichtet.

Wenn das der Führer wüsste: Deutsche machen wieder Politik im Olympiastadion Foto: dpa

Von Lenin ist das Wort überliefert, dass die Revolution in Deutschland nie etwas werde. „Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte“, soll der russische Revolutionär gespottet haben. Heutzutage beläuft sich der Preis der „Utopie“ auf 29,95 Euro. Soviel kostet die Eintrittskarte zur „größten Bürger*innenversammlung Deutschlands“, die 2020 im Berliner Olympiastadion stattfinden soll, sofern die Veranstaltenden mindestens 60.000 Tickets verkaufen.

Die Idee: Die „renommiertesten Expert*innen aus allen Bereichen“ kommen zusammen, „um die Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit gebündelt zu präsentieren“ und werden dabei gefeiert „wie wir ansonsten nur Rockstars feiern“. Laut Organisierenden diene dies der „Inspiration und der emotionalen Aufladung“.

Auch der Rest der Veranstaltung steht im Zeichen der Gefühle, die es wohl zweifellos braucht, wenn man eine Massenbewegung organisieren will. Die Veranstaltung soll den Teilnehmenden das „Gefühl geben, dass sie auch als Einzelpersonen Veränderungen bewirken können“. Und überhaupt: „Wir werden danach mit dem guten Gefühl nach Hause gehen, einen weiteren Schritt in Richtung Veränderung unternommen zu haben.“

Erreicht werden soll das neben den personenkultig gefeierten Expertise-Rockstars durch massenhafte Petitionen an den Bundestag, die man aus dem Olympiastadion heraus mit seinem Smartphone mitzeichnen können soll.

Was bei Beyoncé okay ist

Hinter dem Projekt steht das Berliner Hygieneartikel-Unternehmen Einhorn, das Gefühle schon länger als Geschäftsfeld für sich erschlossen hat und allerhand überteuerte vegane Kondome und Menstruationsartikel in hippem Design auf den Markt wirft. Als offizielle Kooperationspartner treten die Scientists for Future sowie der Berliner Ableger von Fridays for Future auf; Luisa Neubauer ist eines der Gesichter im Werbefilm.

Petitionen an den Deutschen Bundestag bringen in aller Regel nichts. Zwar hatte das Unternehmen Einhorn mit einer Petition zur Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Periodenprodukte Erfolg, weil Olaf Scholz sich im Kampf um den SPD-Vorsitz profilieren musste, doch das bleibt die Ausnahme. Petitionen sind nämlich keine direktdemokratischen Verpflichtungen für die Legislative. Was der Parlamentsmehrheit nicht in den Kram passt, wird stets abgelehnt. Das ist Usus im Petitionsausschuss.

Bislang muss man sich auf die Organisierenden verlassen, was das Programm der Veranstaltung angeht. Was bei einer Show von Beyoncé okay ist, löst befremden aus, wenn es um eine politische Veranstaltung geht. Von den Inhalten sind bislang lediglich drei Stichworte bekannt: „Klimawandel, Rechtsruck, globale Ungerechtigkeit …“.

Wissenschaft als Fetisch

Wer aber bei diesen Themen die „renommiertesten Expert*innen“ sind und welche Petitionen sich daraus ergeben, bleibt vollkommen offen. Es lässt sich erahnen, dass die objektive Wissenschaft, die in diesem Milieu schon längst zum Fetisch verkommen ist, wieder einmal wird herhalten müssen.

Nur: Wie operationalisiert man „globale Ungerechtigkeit“? Was ist gerecht? Was ist die objektive Lösung für die globale Ungerechtigkeit? Dass alle das gleiche haben, können und dürfen? Oder kommt es vielleicht doch auf die individuelle Leistung an? Und vor allem: Wer bestimmt, welche Expert*innen renommiert sind?

Und was passiert, wenn zwei von ihnen unterschiedliche Meinungen haben? Wenn etwa einer einen Emissionshandel, ein anderer eine CO2-Steuer als das bessere Mittel für die Einführung eines CO2-Preises hält, ein dritter sagt, man müsse einfach alles verbieten, was CO2 emittiert und ein vierter, dass nur mit der Überwindung der Marktwirtschaft das Klima geschützt werden könne?

Wer ein Ticket ergattert, muss den Organisierenden vertrauen, dass ihre Antworten auf diese Fragen nicht enttäuschen. Deren Utopie scheint keine Differenz, Vielfalt oder Diskussion zu ersehnen, sondern Eintönigkeit, Elitenhörigkeit und Gleichschritt. Schließlich sollen im Stadion „90.000 Weltbürger*innen, die genau das Gleiche wollen wie du“ zusammenkommen.

Für eine politische Veranstaltung, bei der alle das gleiche wollen und den auserkorenen Stars zujubeln, ist das Olympiastadion mit seiner faschistischen Ästhetik und seiner nationalsozialistischen Vergangenheit immerhin die konsequente Ortswahl: Gemeinschaftsgefühl passt unbestritten gut zu Statuen von Arno Breker.

Eine politische Bewegung muss nun mal Gefühle erzeugen, um am Leben zu bleiben. Wenn das Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen von quasi heiligen Expert*innen vor einer brachialen Kulisse bestätigt wird, gibt das der Bewegung gewiss Aufwind. Nur: Zu welchem Preis?

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