So viel Kritik muss sein: Benno Schirrmeister über die Totenfrau am Bremer Kriminaltheater: Klappern ist kein Beweis fürs Handwerk
Sehr schön ist der Anfang: Bernhard Aichners Erfolgs-Roman „Totenfrau“ beginnt ganz olympisch, in der Vogelperspektive. „Man sieht alles von oben“, das ist der erste Satz: fünf Wörter, fast schon viel für Aichners Lapidar-Sprache. Im Bremer Kriminaltheater stellen sie diese Aufsicht nun mit ebenso spartanischen Mitteln her: Vivienne Kaarow liegt auf der schräg ins Lointain ansteigenden Bühne, die Ralf Knapp kahl belassen hat. Sie ist Brünnhilde Blum. Kopfhörer. Gleißendes Licht. Im Hintergrund hängt eine Leinwand, ein Winz-Rechteck, fadenscheinig, wie ein Alibi.
Projiziert werden von Fabian Becker gefilmte Adria-Wellen im Sommersonnenschein in denen gerade Blums verhasste Stiefeltern ersaufen. Die Leiter ihrer Yacht ist nicht runtergeklappt. Wo der Roman keinerlei Zweifel lässt, hütet sich die Bühnenfassung den Zynismus der Protagonistin zu plastisch zu machen: Das gibt Raum, Sympathie für die Figur zu entwickeln, deren weiteres Leben nun in Miniszenen aufgeblättert wird: Als Alleinerbin eines Bestattungsunternehmens hat sie den Polizisten Mark geheiratet, der sie vor Strafverfolgung bewahrt. Sie ist Mutter zweier Kinder geworden, die keinerlei Rolle spielen. Und dann macht der Herr Gemahl auch schon einen Abgang per Motorrad. Was Blum erschüttert. Diesmal sind die Tränen echt. Mitleid, jaja.
Denis Fischer allerdings fungiert in der Rolle des Mark mehr als Stichwortgeber, denn als eigener Akteur. Und weil er auch die tragende Rolle des Polizisten-Kollegen Massimo übernommen und sehr blass angelegt hat, wird dadurch das Ende verwirrt: Die Rückblende auf die Erstbegegnung von Mark und Brünhilde, soll nachreichen, was im Roman von Anfang an klar war und jetzt eh keine Relevanz mehr hat, aber das Stück wenigstens zyklisch abrundet: Nachdem sie alle vier Mörder ihres Geliebten er- und zerlegt hat, um sie ihrer Kundschaft als Zugabe anzuvertrauen, ist die Leere zu groß, um die Leute einfach nach Hause gehen zu lassen.
Um die Taten akzeptabler zu machen, muss das Übel Blums überübelt werden: Der Mord an Mark ist Verdeckungstat eines Zwangsprostitutions-Rings. Die platte Enthüllungs- und Rachemanik des Buchs wird in der Dramatisierung geradezu geräuschhaft. Und Ralf Knapps Inszenierung verstärkt das Klappern leidewr noch beträchtlich, und das rührt nicht von einem Übermaß an Handwerk her. Peinlich die Videoeinspielung, wenn Kaarow das Laptop eines der Schurken entdeckt mit einschlägigem Material. Und wenn Christian Aumer versucht, in sechs Rollen zu schlüpfen, darunter drei der Täter, ist das zwar sportlich beachtlich, gereicht aber angesichts seiner darstellerischen Mittel der Produktion zum Nachteil. Die Wucht, die der sprachliche Minimalismus Aichners auf der Bühne entfalten könnte, wird durch den Versuch, Standup-Tempo zu erzeugen, vollständig vermieden. Bloß: Komisch ist die Vorlage ja ausdrücklich nicht. Um den Abgrund geht’s Aichner, daher ja der markante Blick von oben. Aber da starrt einfach nichts zurück.
Donnerstag bis Samstag 21.-23. und 28.-30. November, jeweils 20 Uhr sowie So 1.12. 18 Uhr, Bremer Kriminaltheater, Theodorstraße 13a
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