piwik no script img

Aufruhr im LibanonMit Kerzen gegen die Power-Cuts

Die Proteste im Libanon gehen in die vierte Woche, doch die Politiker spielen auf Zeit. Neues Symbol der Korruption im Land: das Elektrizitätsgebäude.

Lassen nicht locker: Demonstrantinnen am Donnerstag in Beirut Foto: Andres Martinez Casares/reuters

Beirut taz | Das staatliche Elektrizitätsgebäude in Beirut ist dunkel, aber die Straße davor ist hell erleuchtet: Hunderte Libanes*innen halten ihre Handys hoch und leuchten mit den grellweißen Lampen der Telefone in den Abend. „Warum ist der Strom aus?“, rufen sie, „Revolution!“. Auf einem Auto sitzt ein Darbuka-Spieler, ein Mann heizt die Menge mit einer Trommel an, eine Frau schreit ins Megafon.

„Wir protestieren gegen das Elektrizitätsproblem“, erklärt die bildende Künstlerin Maria Kassab. „Seit den Neunzigern wurde uns durchgehender Strom versprochen, aber bis heute gibt es Ausfälle. Wir zahlen zwei Rechnungen: für den Strom von der Regierung und für den Strom aus Generatoren.“

Kassab lebt in Mar Michael, einem schicken Beiruter Stadtteil. Doch auch hier fällt jeden Tag drei Stunden lang der Strom aus. In einigen Vororten Beiruts sind es sogar sechs Stunden oder mehr, die Menschen mit teuren und umweltschädlichen Generatoren überbrücken müssen.

Kassab hält eine weiße Kerze in der Hand. „Das ist eine Erinnerung an den Krieg, bei dem wir in Kellern Zuflucht gesucht haben.“ Die heute 38-Jährige hat den libanesischen Bürgerkrieg als Kind miterlebt. „Seitdem hat sich nichts verändert“, schimpft sie. „Wir haben immer noch Wassermangel und Stromausfälle und dieselben Politiker sind an der Macht. Alles stagniert, wir haben das Gefühl, festzustecken.“

Mit den Generatoren wird Geld gemacht

Durch den Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 wurde die Strom-Infrastruktur zerstört. Anschließend setzte die Regierung nicht auf Innovationen, sondern auf altbewährtes Erdöl. Doch die alten Kraftwerke halten der Nachfrage nicht mehr stand. Der Elektrizitätssektor weist ein jährliches Defizit von 2 Milliarden US-Dollar auf. Die Stromausfälle werden mit Dieselgeneratoren überbrückt – eine lohnende Einnahmequelle, von der private Anbieter profitieren und die die Politiker nicht versiegen lassen möchten.

Vor dem Elektrizitätsgebäude in Beirut hält Selim Mourad eine weiße Laterne in die Höhe. „Um auf witzige Art zu zeigen, dass wir noch immer in prähistorischen Zeiten leben“, sagt der 31-jährige Lehrer und lacht. „Wir machen irre Rechnungen auf, wenn die Generatoren laufen: Wie viele Klimaanlagen können wir laufen lassen? Geht noch eine Waschmaschine? Oder ein Föhn zusammen mit dem Kühlschrank?“ Dann wird er ernst: „All das Geld, Millionen, Milliarden, die in die Elektrizitätswirtschaft geflossen sind, wo sind die hin? Es ist total korrupt“, sagt er.

Die Mächtigen lassen sich Zeit

Seit nunmehr 23 Tagen protestieren Hunderttausende Libanes*innen gegen die korrupte Regierung und fordern eine technokratische Übergangsregierung sowie eine baldige Neuwahl des Parlaments. Als Reaktion trat Ministerpräsident Saad Hariri vergangene Woche von seinem Amt als Ministerpräsident zurück. Daraufhin bat Präsident Michel Aoun ihn, kommissarisch vorerst im Amt zu bleiben.

Am Donnerstag sagte Hariri, die Beratungen zur Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten und des neuen Kabinetts seien noch nicht abgeschlossen. Die Konsultationen des Präsidenten mit den Abgeordneten zur Wahl eines neuen Ministerpräsidenten sind der erste Schritt, um eine neue Regierung zu bilden. Es gibt jedoch keine verfassungsmäßige Frist für diese Sitzungen. Die Staatsführung lässt sich Zeit, die Proteste gehen weiter.

Wir wollen unsere Grundrechte: Elektrizität, medizinische Versorgung, kostenlose Bildung.

Lea Sbaite, Studentin

Die 21-jährige Jurastudentin Lea Sbaite ist seit dem ersten Tag dabei. Sie war in der Innenstadt vor dem Regierungsgebäude und hat Straßen blockiert. Nun lehnt sie am gelben Zaun vor dem Elektrizitätsgebäude und schreit aus vollem Hals: „Wir protestieren, weil unser Land sehr korrupt ist. Alle Politiker nehmen die Steuern, die wir zahlen, und stecken sie in ihre eigene Tasche. Sie geben uns nicht mal Strom. Wir wollen unsere Grundrechte: Elektrizität, medizinische Versorgung, kostenlose Bildung.“

Eine positive Veränderung sieht Sbaite bereits: „Es ist das erste Mal, dass ein Protest uns alle vereint. Im Libanon haben wir 18 verschiedene religiöse Gruppen, und das ist das erste Mal, dass Christen oder Muslime sich nicht um die Religion scheren, sondern zusammen für ein besseres Land kämpfen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "„Wir machen irre Rechnungen auf, wenn die Generatoren laufen: Wie viele Klimaanlagen können wir laufen lassen? Geht noch eine Waschmaschine? Oder ein Föhn zusammen mit dem Kühlschrank?“ "

    Das ist nicht wirklich irre, sondern dem geschuldet dass ein Standardbaumarktgenerator hierzulande auch nur um die 1000 Watt gleichzeitig liefern kann. Die die über 3000 oder sogar über 3500 liefern können, sind schon gleich mindestens 3 mal so teuer. Und das in der Benzinvariante.

    Ich nehme also an dass selbst billigste China Solaranlagen für die Menschen im Libanon keine bezahlbare zusätzliche Investition darstellen?