dvdesk: Die Bilder wollen Stillstand
„Wo ist Kyra?“ ist so schön gefilmt, dass man sich glatt jedes einzelne Bild an die Wand hängen möchte. Dunkel sind sie, die Bilder von Bradford Young, der nach noch gar nicht vielen Filmen (darunter Großartiges wie „Selma“, „Arrival“, „A Most Violent Year“) zu Recht schon ein vielbewunderter Kameramann ist. Man könne gar nichts auf den Bildern erkennen, so lautet die Beschwerde mancher Kritiker und Zuschauerinnen.
Ja, sie sind dunkel, wenn man darunter versteht, dass Gesichter und Formen aus Licht und Dunkelheit modelliert sind. Die Hälfte oder ein Drittel des Bildes verliert sich häufig im Schwarzen, umso strahlender ist, wiewohl matt, das Gesicht von Michelle Pfeiffer in Großaufnahmen darin geborgen.
Und wirklich: Nicht verloren, sondern geborgen, denn die Übergänge sind niemals hart, die das Gesicht umfassende Dunkelheit droht nicht, und da, wo noch Licht ist, gibt die Unschärfe, in die der Vordergrund sanft übergeht, ebenso Halt.
Kyra, die Figur, die Michelle Pfeiffer hier spielt, mag eine verlorene Seele sein, nach dem Tod ihrer Mutter, auf der verzweifelten Suche nach einem vernünftigen Job – die Wärme des Lichts, die emulsive Zärtlichkeit der Bilder gewährt ihr in jeder Einstellung Schutz.
Auch Queens, auf den ersten Blick nicht der attraktivste New Yorker Borough, sah selten so gut aus. Hier lebt Kyra, hier wackelt sie, nach deren Tod als ihre eigene Mutter verkleidet, zum Schalter des Amts, um sich deren Rente illegal zu erschleichen. Das Klacken des Gehstocks ist Teil der ausgefeilten Klangsignatur dieses Films, gelegentlich bei den Gängen Kyras auf Straßen und Bürgersteigen der Stadt durch dissonante Musik ergänzt.
Regisseur Andrew Dosunmu begreift sich als Stimmungsmaler in Bildern und Tönen. Man sieht dem Film an, dass Dosunmu, der aus Nigeria in die USA kam und heute teils dort, teils in seinem Heimatland lebt, eine Vergangenheit als gefragter Modefotograf, Werbe- und Musikvideofilmer (etwa für Wyclef Jean und Aaron Neville) hat.
Der Film ist langsam, überstürzt nichts. Bradford Young gestaltet mit Sorgfalt, in Innenräumen oft mit komplexen Spiegelkompositionen, jede einzelne Einstellung, jedes Bild. Und diese Bilder sind nicht einfach schön und geben den in ihnen aufgehobenen Gesichtern und Körpern und Räumen Wärme und Halt. Oft sind sie durch Reflexionen des Lichts in Glas und Spiegeln gebrochen, auch die Farben sind wie Dunkel und Hell Teil der eher malerischen, manchmal fast abstrakten Komposition, in Form von Tupfern und Schlieren und Schmierern. Einstellung für Einstellung ist „Wo ist Kyra?“ ein Genuss.
Und trotzdem kein guter Film. An dem bisschen Plot liegt es nicht: Da ist die Sache mit der Mutter, hinzu kommt eine Liebesgeschichte mit einem Mann namens Doug, den Kiefer Sutherland spielt. Oder jedenfalls ist der Plot nur insofern ein Problem, als es ihn überhaupt gibt (die Bilder wollen eigentlich Stillstand und nicht Narration) und er so gar nicht zur Stilisierung, auf die Dosunmu und Young hinauswollen, passt. Womöglich ginge sogar das auch noch an, wäre da nicht das Problem mit den Darsteller*innen.
Sutherland, nun gut, der macht strebend bemüht sein Sutherland-Ding. Michelle Pfeiffer jedoch steckt der Glam in den Gliedern, die Schauspielerin in jeder Phrasierung. Und alles wird nur schlimmer dadurch, dass sie sich in diese Figur hinein zu method-acten versucht, nach allen Regeln der Kunst, mit bebendem Mund, der aber doch immer nur der Michelle-Pfeiffer-Mund bleibt. Da hilft aller Wille zum Verzicht auf den Unglauben nicht. Nie und nimmer kauft man Michelle Pfeiffer und Kiefer Sutherland ab, sie seien sozial abgehängt, down on their luck im hinteren Queens.
Ja, ehrlich gesagt, ist das alles, auch die Schönheit der Bilder, fast ein bisschen obszön. Ekkehard Knörer
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