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Spielzeuge auf der Flucht

Hans Christian Andersens Märchen vom Zinnsoldaten und der Papiertänzerin hat Roland Schimmelpfennig für das Theater an der Parkaue bearbeitet

Von Katrin Bettina Müller

„Halt, Passkontrolle“, brüllt die fiese Wasserratte. Dem einbeinigen Zinnsoldaten steht fast das Herz still. In seinem Boot aus einer alten Zeitung ist er auf einem Kanal unterwegs. Kein freiwilliger Weg, erst vertrieb ihn ein Kobold aus dem Spielzimmer, dann fegte ihn ein Windstoß aus dem Fenster, hässlich lachende Kinder setzen ihn in den Rinnstein, er stürzte in den dunklen Kanal und zittert eh schon vor Angst. Und jetzt das: „Passkontrolle“.

Für das Theater an der Park­aue hat der Dramatiker Roland Schimmelpfennig das Märchen „Der standhafte Zinnsoldat“ von Hans Christian Andersen bearbeitet und selbst auch inszeniert. Schon bei Andersen ist der Zinnsoldat in eine Tänzerin aus Papier verliebt, die ebenfalls nur auf einem Bein steht. Aber während im Märchen des dänischen Dichters nur der Soldat aus dem Fenster fällt und durch eine feindliche Welt getrieben wird, sind es in Schimmelpfennigs Stück „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ beide, die aus dem Fenster fallen und viele gefährliche Begegnungen überstehen müssen, bevor sie sich noch einmal sehen. Während er durch die Unterwelt schippert, treibt sie der Wind hoch zu einer Wolke, die sie als nicht hierher gehörend mit Hagelkörnern beschießt und vertreibt. Als Nächstes jagt sie ein Elster-Papa, der sie zur Unterhaltung seiner schreienden und hackenden Kinder in sein Nest entführt.

Hanni Lorenz in einem Tutu aus angekokeltem Papier und Friedrich Richter in einem glänzenden Uniformjäckchen spielen die Tänzerin und den Zinnsoldaten, aber auch alle übrigen Rollen. Einer erzählt noch, während der andere geschwind auf der offenen Bühne in das Kostüm der Elster oder eines hungrigen Fisches schlüpft. Diese Verwandlungen zu beobachten, ist ein Spaß. Die Erzählstränge ihrer Reiseabenteuer sind eng miteinander verschlungen, Wind und Wasser treiben sie vor sich her. Schlüpfen sie in die Rolle ihrer Feinde, werden ihre Stimmen beängstigend, und sie stürmen auch mal bedrohlich in die Publikumsreihen.

Aber immer bleiben die Bilder der Inszenierung im Rahmen des Märchenhaften. Alles ist eindeutig Fiktion, doch diese Fiktion weckt viele Assoziationen. Aus einer Geschichte, in der verwöhnte Kinder nicht ganz perfektes Spielzeug ablehnen und wegwerfen, wird eine große Geschichte von Vernachlässigung, Zurückweisung, Nichtgewolltwerden, Nichtdazugehören. Anders als viele Kinder- und Jugendtheaterstücke, die sich mit den Schicksalen von flüchtenden Kindern befassen, spielt dieses Stück nicht in der Gegenwart. Und doch lassen sich viele Sätze darauf beziehen. Wie der Satz vom Zinnsoldaten: „Und ich denke, dass es einfach nicht gerecht ist, dass manche Leute aus dem Fenster fallen und die anderen nicht.“ Immer ramponierter ist der Zinnsoldat, vom Zerfall bedroht die Papiertänzerin.

Was die Inszenierung auch viel stärker macht als das ursprüngliche Märchen, ist das Motiv der Liebe zwischen den beiden Spielzeugen. Während ihrer Irrfahrten denken sie aneinander und halten sich an der Vorstellung aufrecht, was hätte sein können, wären sie nicht aus dem Fenster gefallen. Die beiden nehmen sich dann in den Arm, bevor sie in der Erzählung fortfahren. Der Wechsel zwischen dem, was möglich gewesen wäre, und dem, was sich stattdessen ereignet hat, ist für Schimmelpfennig sehr vertrautes Terrain, viele seiner Stücke nutzen das. Doch selten kommt es so herzerwärmend zum Einsatz wie hier.

Weitere Aufführen am 18./19./20., 23.–26. und 28. 11.

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