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debatteDa fehlt wer am Tisch

Aus dem Entwurf zum Klimaschutzgesetz wurde die Bürger*innenbeteiligung gestrichen. Dabei geht es hier immerhin um die Zukunft des Landes

Foto: T.Trutschel/DB

Lisa Badum ist klimapolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und Mitglied im Umweltausschuss.

Lisa Badum und Claus Leggewie

Die Große Koalition peitscht gerade einen Gesetzentwurf nach dem anderen durch das Parlament, darunter das Klimaschutzgesetz. In der Eile fällt dabei Wichtiges unter den Tisch. Im Referentenentwurf aus dem Bundesumweltministerium heißt es jetzt in Paragraf 9, Absatz 2: „Vor jeder Fortschreibung bezieht die Bundesregierung in einem öffentlichen Konsultationsverfahren Länder, Kommunen, wirtschafts- und zivilgesellschaftliche Verbände sowie Bürgerinnen und Bürger ein“. Genau die von uns kursiv gesetzte Bürgerschaft wurde nun gestrichen. Warum?

Derzeit kommt kaum eine öffentliche Diskussion ohne den Hinweis aus, man müsse jede einzelne Bürgerin und jeden Bürger mitnehmen und dürfe die Demokratie nicht durch Klimaschutz „überstrapazieren“. Doch genau an der Stelle, wo man die Bevölkerung mitnehmen könnte, lässt man die Gelegenheit verstreichen. Es geht da weniger um die Hunderttausende, die am Tag der Verkündigung des Klimapakets für eine ehrgeizigere Klimapolitik auf die Straße gegangen sind. Sondern um diejenigen, die jetzt gegeneinander in Stellung gebracht werden: Arbeiter aus der Lausitz gegen Befürworter von Windenergie, die Stadtbewohnerin mit gutem ÖPNV und hoher Luftbelastung gegen die Pendlerin auf dem Land mit schlechten Anschlüssen und langem Fahrweg.

Sollten nicht besser gleich alle miteinander am Tisch sitzen, wenn es um die Zukunft unseres Landes geht? Vor der Thüringenwahl wurde das kleine Thema „Windkraft im Wald“ (aktuell zwei Anlagen) von interessierter Seite zum großen Streitthema hochgejazzt. Gleichzeitig wünschen sich viele Kommunen mehr Wertschöpfung aus Erneuerbare-Energien-Anlagen. Menschen wollen Lärm und Abgasen entfliehen, in lebenswerten Groß-, Mittel- und Kleinstädten leben und auf dem Land einen funktionierenden ÖPNV vorfinden.

Bürger*innen müssen wieder in das Klimaschutzgesetz hineingeschrieben werden, am besten, bevor das Gesetz am 15. November im Bundestag verabschiedet wird. Ohne bisweilen mühsame, bei guter Vorbereitung und Moderation aber befreiende Debatte wird der Klima- und Artenschutz nicht demokratieverträglich einzuleiten und zu implementieren sein. Es geht ja nicht nur um ein Gesetz, sondern um eine langwierige Konsultation angesichts atemberaubender Herausforderungen und kniffliger Entscheidungen.

Selbst das etatistische Frankreich experimentiert mit Bürgerkonvents zum Klimaschutz

Man muss also aufzeigen, wie eine Befragung der Bürger*innen als Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie aussehen kann. Die Agenda-21-Prozesse, die erfolgreich aufgestellten Bürgerhaushalte, Planungszellen in vielen Kommunen zeigen seit Langem, dass mehr Beteiligung möglich ist und wie sie funktioniert. Nicht als Gegensatz zur repräsentativen Demokratie, wie viele Parlamentarier*innen wider besseres Wissen behaupten, sondern zu deren Stärkung.

In Nachbarländern lässt man Bürger*innen schon intensiv über relevante Themen beraten, beispielhaft in Irland über die gleichgeschlechtliche Ehe. Diese Beratungen stärken die öffentliche Kommunikation und damit den politischen Prozess. Sie werten ein Thema auf und schaffen eine engere Verbindung zwischen dem Wahlvolk und den Abgeordneten, zwischen Parlamenten und Bewegungen, deren Verbindung dramatisch gerissen ist. Die Arbeitsteilung bleibt dabei klar, aber so wie Bundestag und Bundesregierung Wissenschaftler*innen zu Rate ziehen, können sie sich auch Rat von Bürger*innen einholen.

Wie das gehen könnte, zeigt das französische Vorbild eines Bürgerkonvents für das Klima, der konkrete Maßnahmen für den Klimaschutz erarbeitet. Convention citoyenne pour le climat heißt eine Versammlung von 150 zufällig ausgelosten Bürger*innen, bei der Besetzung werden Kriterien wie Geschlecht, Alter, Bildung, Wohnort und Migrationshintergrund berücksichtigt. Aus den Melderegistern der Kommunen wurden zufällig Einwohner*innen ausgewählt und zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen, der professionell moderiert wird. Sie tagen bis Januar 2020 an sechs Wochenenden; Reise-, Unterkunfts- und Betreuungskosten werden vom Staat übernommen, der ein Gesamtbudget von vier Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat.

Foto: privat

Claus Leggewieist Politikwissenschaftler und war bis 2016 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. 2018 erschien von ihm: „Die Konsultative. Mehr Demokratie durch Bürgerbeteiligung“ (mit Patrizia Nanz).

Man wird sehen, welchen Ausgang dieses spannende Experiment, das auch im britischen Parlament Anhänger gefunden hat, nehmen wird. Die Beratungsergebnisse sind nicht bindend, aber die französische Regierung hat sich verpflichtet, zu den vom Klima-Konvent erarbeiteten Vorschlägen öffentlich Stellung zu nehmen und einen Zeitplan für ihre Umsetzung zu nennen; mit einem Referendum, einer Abstimmung im Parlament oder per Regierungsdekret.

Wenn ein Land mit etatistischer und zentralistischer Tradition sich zu ernsthaften Schritten konsultativer Demokratie durchringt, sollte das auch in Deutschland gelingen, wo Berufspolitiker täglich die Vorzüge und Gefährdungen der Demokratie beschwören, aber stets abwinken, wenn es gilt, Farbe zu bekennen und Konsultativgremien von der kommunalen bis zur nationalen Ebene dauerhaft zu verankern. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie das vom Umweltbundesamt erarbeitete Konzept „Bundesrepublik 3.0“ zur Kenntnis nimmt und die ab Januar 2020 neue ­Leitung des Amtes die Bildung von Klimabürgerräten auf den Weg bringt. Der Verein „Mehr Demokratie“ und die Frankfurter Initiative „mehralswählen“ haben mögliche Prozeduren detailliert dargelegt, in den brandenburgischen Koalitionsvertrag sind Beteiligungsformate aufgenommen worden.

Paragraf 9 des Klimaschutzgesetzes muss wieder die Bürger*innen enthalten. Das ist der erste Schritt zu einer nachhaltigen Klima- und Umweltpolitik. Und zu einer Revitalisierung gelebter Demokratie.

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