So viel Kritik muss sein: Benno Schirrmeister über Wish You Were Here – Kulturen der Einsamkeit II im Haus im Park: Jede Stimme findet ihre Schönheit
Manchmal haut’s dich einfach um. Da gehste so nichtsahnend zum Konzert, vielleicht zur Entspannung, und dann ist das so verrückt gut, dass es viel mehr ist als nur ein tolles Erlebnis. Und aufgeschrieben werden muss.
Sonntag war Konzert im Haus im Park in Bremen Osterholz. „Wish You Were Here“ hieß es, war ein Cross-over aus Renaissance- und 60er- bis 70er-Jahre Rockmusik. Aufgetreten sind dabei Lautenist Lee Santana – der auch gepflegt Steel-Guitar und E-Gitarre zupft – und Gambistin Hille Perl. Die beiden sind, auch wenn der Ausdruck nervt und dem Ganzen so einen blöd-sportiven Anstrich verleiht, Weltklasse. Was, muss man sagen, auch fürs Nomos-Quartett gilt, das kommenden Samstag am selben Ort auftritt, ebenfalls für umme. Krass. Weltklasse bedeutet: Sie sind berühmt und sie spielen so, dass es wirkt, als wäre es total leicht, und dass dir, selbst wenn du glaubst, alte Musik zu hassen, das Herz aufgeht.
Das ist doppelt bezaubernd. Erstens: Anders als bei Opern-Stars geht es nicht darum, die anderen zu überstrahlen. Perl kann es sich leisten, lässig im fabelhaften Consort der Sirius-Viols unterzugehen. In dem spielt sie neben ihren StudentInnen Tommy Fields (Violone) sowie Alma Stoye (Alt-), Alice Stoya (Tenor-) und Julia Vetö (Bass-) die Diskant-Gambe. Aber auch die schrubbt manchmal ostinat den Grundton, damit Stephan Uhlig drüber modulieren kann. Uhlig ist kein ausgebildeter Sänger. Aber so gestützt und musikalisch in den Arm genommen fasst jede Stimme Mut und findet ihre Schönheit.
Zweitens: Alte Musik bleibt, gut gespielt, gegenwärtig, weil ihre Schöpfer die Freiheit der Instrumentalisten mitgedacht haben. Es erweist sich als möglich, aus der Musik des 16. Jahrhunderts alle Schemata aufzubrechen, die Diatonik wegzupusten und in eine faszinierende Fortschreibung aus neuen Klängen zu gleiten: Da kommt dann die „Dead Poets Society“ ins Spiel, eine Rock-Band der Profi- und Feierabend-MusikerInnen Sonja Müller, David Jehn und Ralf Jakowski. Und es ist schließlich umgekehrt möglich, auf die Aufbrüche von Rock und Pop der 1960er mit Klängen der Renaissance zu reagieren, aus jener Zeit, in der es darum ging, herauszufinden, was das ist: ein Mensch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen