Untersuchungsausschuss in Berlin: 25.000 für Aufklärung
Die Opfer Neuköllner Anschlagserie übergeben eine Petition für einen Untersuchungsausschuss. Die Koalition tut sich mit der Forderung schwer.
Nur ein Zufall, schlechtes Timing, aber gleichzeitig auch kein unpassendes Bild. Denn im Foyer des Abgeordnetenhauses hat sich an diesem Montagvormittag eine Traube aus Kameraleuten gebildet, weil eine Petition übergeben wird: 25.000 Unterschriften haben die Betroffenen der mutmaßlich rechtsextremen Anschlagserie in Neukölln gesammelt. Sie fordern die Einrichtung eines Untersuchungsausschuss, der nicht nur klären soll, warum es seit Jahren keine Ermittlungserfolge zu dieser Serie gegeben hat, sondern auch, ob rechte Netzwerke in den Berliner Sicherheitsbehörden existieren. Und die rot-rot-grüne Koalition tut sich schwer, den richtigen Umgang mit dieser Forderung zu finden, allen voran die SPD.
„Wir können nicht länger warten, wir brauchen jetzt endlich Aufklärung“: So begründet der Linken-Kommunalpolitiker Ferat Kocak die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss auf der Pressekonferenz vor der Unterschriftenübergabe, bei der mehrere Betroffene der Anschläge sprechen. Kocaks Auto wurde 2018 angezündet, ein Jahr später ergab eine taz-Recherche, dass die Sicherheitsbehörden ihn hätten warnen können. „Ein Untersuchungsausschuss ist das Instrument, mit dem das Parlament in dieser Sache endlich aktiv werden kann“, sagt er.
Kein Generalverdacht
Heinz Ostermann, der Buchhändler aus Rudow, dem die Schaufensterscheiben eingeschmissen und das Auto gleich zweimal angezündet wurde, übergibt die Petition an den SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh. Anders als die Linkspartei, die die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss offiziell unterstützt, sträuben sich SPD und Grüne bislang gegen diese Forderung. Ein Untersuchungsausschuss zu rechten Netzwerken in den Sicherheitsbehörden stelle deren Mitarbeiter unter Generalverdacht, heißt es.
Doch dem widersprechen die Opfer der Anschläge: „Es geht uns ausdrücklich nicht um einen Generalverdacht, sondern wir glauben, dass eine Untersuchung solcher Netzwerke gerade auch den vielen Polizisten helfen würde, die mit so etwas nichts zu tun haben wollen“, sagt Kocak. Claudia von Gélieu, die in Neukölln die Galerie Olga Benario betreibt und ebenfalls bereits zum Ziel rechter Anschläge wurde, betont: „Es geht darum, dass Vertrauen in die Sicherheitsbehörden wieder herzustellen.“ Denn das habe durch die jahrelangen Misserfolge der Polizeiarbeit so stark abgenommen, dass Betroffene der rechten Gewalt heute zum Teil nicht einmal mehr Anzeige erstatten würden. Heinz Ostermann erzählt, er habe die Gewerkschaft der Polizei um ein Gespräch gebeten, weil eine Aufklärung rechter Umtriebe in der Behörde doch auch in ihrem Sinne sein müsste – bislang ohne Antwort.
Maßnahmen reichen nicht aus
Die Übergabe der Petition verdeutlicht: Die Betroffenen machen weiter Druck. Während der ehemalige CDU-Innensenator Frank Henkel seinerzeit die polizeiliche Ermittlungsgruppe auflöste, sobald es mal ein paar Monate keine Anschläge gegeben hatte, will die rot-rot-grüne Koalition vermitteln, dass sie das Thema ernst nimmt. Dass Innensenator Geisel die Sonderkommission zur Anschlagserie personell aufgestockt hat, reicht nicht aus, um die Betroffenen zu beruhigen – zumal inzwischen bekannt ist, dass ein Teil dieser Aufstockung aus Mitarbeitern der polizeilichen Pressestelle besteht.
Ein Kompromiss könnte die Einsetzung eines unabhängigen Sonderermittlers sein: Dieser Forderung der Grünen hat sich mittlerweile auch Raed Saleh angeschlossen. Innensenator Geisel hat angekündigt, die Einrichtung eines solchen Postens zu prüfen, sobald Ende des Jahres der erste Bericht der neuen Sonderkommission zum Ermittlungskomplex vorliege. Ob sich damit die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss abräumen lässt, ist fraglich, deutlich würde aber allemal: Die Berliner SPD kommt an dem Thema nicht vorbei. Einfach den anderen Eingang nehmen, das geht eben nicht immer.
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