: Schweiz: Streit über grünen Machtanspruch
Die Grünen sind nach den Wahlen viertstärkste Kraft und wollen an der Regierung beteiligt sein. Das wollen die anderen Parteien nicht zulassen
Aus Genf Andreas Zumach
Nach ihrem historischen Sieg bei den Parlamentswahlen vom Sonntag beansprucht die Grüne Partei der Schweiz (GPS) einen Sitz in der Regierung des Landes, dem siebenköpfigen Bundesrat. Das hatte Parteichefin Regula Rytz am Sonntagabend im Schweizer Fernsehen erklärt. Die dort vertretenen Parteien lehnen das aber ab.
Nach dem amtlichen Endergebnis fiel der Sieg der GPS noch höher aus, als die erste Hochrechnung von Sonntagnachmittag vermuten ließ: Sie steigerte ihren Stimmanteil gegenüber den Wahlen von 2015 von 7, 1 auf 13 Prozent und konnte damit die Zahl ihrer Abgeordneten im 200-köpfigen Parlament (Nationalrat) von 11 auf 28 mehr als verdoppeln. Das ist der höchste Zugewinn an Sitzen, den eine Schweizer Partei jemals bei einer Wahl errungen hat.
Damit sind die Grünen erstmals viertstärkste Partei vor der Christlichen Volkspartei (CVP) und nur noch knapp hinter der wirtschaftsliberalen Freisinnigen (FDP), die beide deutliche Stimmen- und Sitzverluste erfuhren und künftig nur noch über 26 beziehungsweise 29 Abgeordnete stellen.
Im Windschatten der GPS konnten auch die Grünliberalen ihren Stimmanteil von 4,6, auf 7,6 Prozent steigern und die Zahl ihrer Abgeordneten ebenfalls auf 16 mehr als verdoppeln. Damit sind die beiden Umweltparteien mit zusammen 44 Sitzen die zweitstärkste Fraktion im Nationalrat vor den Sozialdemokraten (SP), die vier von ihren bisherigen 43 Sitzen verloren ,und nach den rechtsnationalen Populisten von der Schweizer Volkspartei (SVP). Die SVP bleibt zwar stärkste Partei, ist aber der größte Wahlverlierer mit einem Rückgang von 29,4 auf 26,3 Prozent der WählerInnenstimmen. Außerdem verlieren die Rechten 12 ihrer bislang 65 Nationalratssitze.
Nach einer seit über 60 Jahren praktizierten, allerdings weder in der Verfassung noch per Gesetz festgeschriebenen Regel erhalten die drei stärksten Parlamentsfraktionen (bislang und auch weiterhin SVP, SP und FDP) je zwei Sitze im Bundesrat und die viertstärkste Fraktion – bislang die CVP – einen Sitz.
Über die Zusammensetzung des Bundesrates müssen die 200 NationalrätInnen gemeinsam mit den 46 Abgeordneten des Ständerates entscheiden, in den jeder Kanton zwei und jeder Halbkanton einEn VertretErin entsendet. Auch hier werden sich die bisherigen Mehrheitsverhältnisse verschieben. Denn die Grünen eroberten am Sonntag bereits zwei Ständeratssitze. In drei weiteren Kantonen, in denen noch eine Stichwahl stattfinden muss, haben die Grünen gute Chancen. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass sie im Ständerat so stark oder gar stärker als die SVP werden.
Es ist allerdings Usus, dass die sieben Bundesräte selbst über ihren Rücktritt entscheiden. Sie amtieren im Durchschnitt zehn Jahre. Die Parteien, die am ehesten einen Sitz verlieren würden, FDP und CVP, hatten ihre Amtsträger erst 2017 und 2018 ausgewechselt. „Es wird schwierig sein, bestehende Mitglieder abzuwählen“, sagte Rytz der Neuen Zürcher Zeitung. „Wir wären bereit, aber ob wir den Anspruch jetzt erfüllen können, ist offen.“ (mit dpa)
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