Südafrika ist Rugby-Weltmeister: Der Cup geht ans Kap
Mit 32:12 schlägt Südafrika im Finale der Rugby-WM England. Der dritte Titel für die Springboks ist vielleicht noch wertvoller als der von 1995.
Genau daran wird Siya Kolisi wohl gedacht haben, als er Samstagabend im Tumult auf dem Siegerpodest ganz demütig die Augen schloss und noch Zeit für ein kurzes Gebet fand, bevor er als erster schwarzer Kapitän in der Geschichte der Rugby-WM den Webb Ellis Cup in den Himmel hob.
Es war ebenjener Kolisi, der auch schon vor dem Spiel eine ziemlich genaue Prognose für die Dramaturgie von Yokohama abgegeben hatte: „Große Rugbyspiele werden in der Verteidigung gewonnen“, so der Kapitän der Springboks. Und weiter: „Es wird eine Linie im Sand geben, die sie versuchen zu überschreiten, und wir werden versuchen, sie daran zu hindern. Mit Disco-Beleuchtung ist dabei nicht zu rechnen.“ Später, als alles schon entschieden war, würde er noch hinzufügen: „Unser Coach hat es kurz und schön zusammengefasst, als er uns sagte: Setzt weiter auf Körperlichkeit und haltet die Engländer im Gedränge gefangen.“
Und obwohl Finals der Rugby-WM traditionell eine zähe Angelegenheit sind, hatten die 70.000 im International Stadium von Yokohama doch gehofft, dass diese so begeisternde WM auf dem Rasen im Endspiel auch ihren mitreißenden Höhepunkt finden würde: Das letzte Mal liefen die Spieler also unter dem Dröhnen japanischer Trommeln ein, zum letzten Mal wurden lautstark die Hymnen gesungen.
Auf den Rängen dominierte das Weiß der Engländer, unten auf dem Rasen hatten allerdings von der ersten Minute an die Springboks das Sagen, und das noch mehr, als einer der physisch stärksten Engländer im Gedränge, Kyle Sinckler, bereits nach drei Minuten mit einer Kopfverletzung vom Platz musste. Danach verwandelte das Match sich exakt in das, was Kolisi prophezeit hatte.
Mit Holzkohle schön durchgegrillt
Der englische Guardian fasste die erste Hälfte ganz gut zusammen, als er schrieb: „Diese Springbok-Rohlinge aßen unser Gedränge auf, als wäre es mit Holzkohle schön durchgegrillt und in einem Brötchen mit Senf und gebratenen Zwiebeln serviert worden.“ Mit ihrer seit jeher gefürchteten Physis hatten es die Südafrikaner geschafft, ähnlich wie beim japanischen Judo Englands größte Stärke in ihre größte Schwäche umzuwandeln. Und heraus sprangen immer wieder Penalties, die der Südafrikaner Handre Pollard selbst aus größten Entfernungen sicher verwandelte.
Tatsächlich waren die Männer von England-Coach Eddie Jones in diesem Match von der zehnten bis zur letzten Minute einem Rückstand hinterhergelaufen. Nur einmal, da hatten nur wenige Zentimeter gefehlt, um diesem Spiel einen ganz anderen Swing zu geben. Nach einer halben Stunde stand es lediglich 6:3 für die Südafrikaner, und die Männer in Weiß hatten es erstmals in die Endzone des Gegners geschafft. Der Ball wanderte durch zahlreiche Hände einmal von ganz links nach rechts und wieder zurück. Es fehlte nur wenig bis zum ersten und vielleicht entscheidenden Versuch, aber die grüne Wand erwies sich einfach als undurchdringlich an diesem Abend.
Die Unterlegenheit im Gedränge erwies sich für die Engländer an diesem Abend als fatal. Am Ende waren es aber die pfeilschnellen Flügelstürmer Makazole Mapimpi und Cheslin Kolbe, die mit Versuchen in der 68. und 75. Minute den Männern in Weiß endgültig das Genick brachen. Beim Spielstand von 32:12 wurde schon Minuten vor Abpfiff der neue Titelträger in den Sockel des Webb Ellis Cups graviert, und auf den überwiegend weißen Rängen waren nur noch die „Bokke, Bokke“-Rufe zu hören.
Rassie Erasmus, südafrikanischer Nationaltrainer
Die Dominanz der Südafrikaner an diesem Abend musste später selbst Englands Mastermind Eddie Jones zugeben: „Südafrika ist ein würdiger Weltmeister, weil sie uns in diesem einen entscheidenden Spiel wirklich dominiert haben.“
Und vielleicht war es am Ende tatsächlich der Druck, mit dem das sehr junge Team der Engländer nicht umzugehen wusste. Spätestens nach der Halbfinaldemontage der All Blacks aus Neuseeland galten sie als Favoriten. Ein bisschen mehr Erfahrung in großen Turnieren hätte da gutgetan. Die hatten die Südafrikaner zwar auch nicht, aber offenbar die nötige Lockerheit.
Auf den berühmten „Druck“ angesprochen, sorgte Südafrikas Trainer Rassie Erasmus für ein Highlight: „Wir haben uns als Team schon vorm Viertelfinale geschworen, das Wort Druck aus unserem Vokabular zu streichen. Druck heißt in Südafrika, keine Arbeit zu haben oder einen Freund durch einen Mord zu verlieren. Rugby sollte keinen Druck erzeugen. Rugby bringt Freude, und Rugby bringt vor allem Hoffnung.“ Und weiter: „Diese WM hat uns alle zusammengebracht. Zu wissen, dass Millionen von Menschen für ein paar Stunden gebannt vorm selben Drama sitzen, ist nicht wenig in unserer zersplitterten Welt.“
Gewonnen hat in Japan mit Südafrika erstmals ein Team, das vorher ein Gruppenspiel verloren hatte. Und während im Presseraum gleichzeitig die ersten Bilder von einer gigantischen Jubelmenge aus Johannesburg herüberschwappten, machten sich Tausende englische Fans auf, um ihren Kummer in zahlreichen Pints in den Hafenbars von Yokohama zu ertränken.
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