: Dann räuchere doch mal deine Kartoffeln!
Abwesenheit von Genuss ist das Einfallstor für die Lebensmittelindustrie. Ihre fleischhaltigen Produkte schmecken bereits nach nichts, nun will sie auch den fleischlosen Markt übernehmen. Veganer müssen kochen lernen, wenn sie Freude am Essen haben wollen
Von Carola Rönneburg
Obwohl sich laut einer Schätzung der Organisation proveg international nur 1,3 Millionen Menschen in Deutschland rein vegan ernähren, setzt die Lebensmittelindustrie auf vegane Produkte. Sie hat dabei jenen Teil der Flexitarier im Blick, der ab und an auf Fleisch verzichtet, aber an Gewohnheiten wie belegten Broten und schnell zubereiteten Mahlzeiten festhält. In den Supermarktregalen finden sich die entsprechenden Waren: vegane Leberwurst, fleischlose Würstchen, Frikadellen und Nuggets sowie pflanzliche Burger-Patties. Die Einordnung als veganes Lebensmittel – oft prangt auch noch ein Siegel auf der Verpackung – erspart es den Konsumenten, die Zutatenliste zu studieren. Wer beispielsweise ein „Veganes Mühlen Filet Typ Hähnchen“ aus dem Hause Rügenwalder Mühle in die Pfanne legen will, sollte das aber ruhig mal tun. Er wird, anteilig nach Gewicht, dies zu sich nehmen: Wasser, Weizengluten, Sojaproteinkonzentrat, Rapsöl, Stärke, Methylcellulose, Sojaproteinisolat, Kochsalz, im Labor entwickeltes Aroma, Branntweinessig, Weizenmehl, Zucker, Erbsenfasern und Gewürze. Warum sollte man das essen wollen? Und wo bleibt der Genuss?
Ein lesenswertes Essay von Marten Rolff in der Süddeutschen Zeitung legt nahe, dass auch rein vegan lebende Konsumenten wenig Wert auf gutes, schmackhaftes Essen legen. „In vielen veganen Blogs und Büchern geht es eher um Gesundheit als um Küche“, schreibt Rolff. „Zu den Vorbildern zählen auffallend oft Fitnessgurus, deren Rezepte kaum kulinarische Substanz haben.“ Tatsächlich befindet sich die vegane Küche hierzulande noch meilenweit entfernt von Raffinesse. So sind zum Beispiel die Rezepte von Attila Hildmann („Vegan for fit“) erstaunlich schlicht – ständig kommt Tofu zum Einsatz, dazu offenbar unersetzliches Cashewmus, und alles muss schnell gehen. Die Bloggerin Daniela wiederum (gluecksgenuss.de), bei Aldi Nord unter Vertrag, füllt blanchierte Spitzkohlblätter mit roher Paprika, Möhre und Rucola, die mit Limette und Maggi aromatisiert wurden und reicht dazu einen Erdnussdip aus gesalzenen Erdnüssen mit Soja-Reisdrink, Limette und Maggi. In den Restaurants sieht es nicht besser aus. Suppen mit Tofu-Einlage, matschige Maiseintöpfe und Linsenbolognese machen nicht glücklich.
Die Retter der veganen Küche könnten gut ausgebildete Köchinnen und Köche sein. Allerdings fällt es nicht jedem leicht, sich einzuschränken. Der Wirt eines sehr guten Restaurants, dass auch vegane Speisen auf die Karte setzt, gestand mir im Vertrauen: „Meine Köche haben keinen Bock, vegan zu kochen.“ Neue Gerichte müsse er einfordern.
Damit veganes Kochen Spaß macht, ist womöglich ein vegetarischer Hintergrund vonnöten. Lars Janke jedenfalls, Inhaber des Restaurants Lara in Stralsund, kritisiert die lieb- und einfallslose vegane Küche, die er bisher kennt, kommt aber sofort auf Ideen. Er hat viele Jahre ausschließlich vegetarisch gekocht – was man jeder seiner Beilagen anmerkt – und hält nichts von Tofu. „Man muss Gemüse gut behandeln“, sagt er. Es einfach im heißen Wasser zuzubereiten, bringe gar nichts. Schmoren, lautet seine Devise, und gute Öle verwenden wie zum Beispiel Traubenkernöl. „Geschmorte Pastinake, mit Olive und Walnuss gratiniert“ sei ein wunderbares Gericht, genauso geschmorte Möhre mit Mohnöl und Petersiliensauce. Veganen Köchen wolle er am liebsten zurufen: „Dann räucher’ deine Kartoffeln doch mal! Und dann machst du ein schönes Schalottenconfit und füllst die damit!“ Darüber hinaus könne man weitere Techniken anwenden, Gemüse fermentieren zum Beispiel. „Oder Pilze süß-sauer einlegen, das hat die Oma schon gemacht.“
Bis unsere vegane Küche so kreativ wird, sollten sich Hobbyköche ihre veganen Rezepte aus alten Kochbüchern und aller Welt besorgen. Ungarische Hefeklöße mit Sauerkrautfüllung zum Beispiel hatten es bis weit in den Westen geschafft, bevor sie fast vergessen wurden. Andere tierproduktfreie Gerichte sind Standards in ihren Herkunftsgebieten: polnischer Barszcz etwa, die fleischlose Variante der Rote-Bete-Suppe Borschtsch, in dem Teigtaschen mit Pilz-Kraut-Füllung schwimmen. Oder das indonesische Gado-Gado (deutsch: Mischmasch, Durcheinander), ein warmer Gemüsesalat aus Bohnen, Kartoffeln, Spitzkohl, Sojabohnensprossen, der mit Tempeh oder Tofu auf Reis mit Kokosraspeln und Erdnusssauce serviert wird. Oder Mujaddara, ein arabisches Linsen-Reis-Gericht, das durch gezuckerte Linsen, frittierte Zwiebeln und Gewürze wie Zimt und Kreuzkümmel sehr lecker daherkommt.
Für seine Kochvorführung plus Vortrag anlässlich der Theaterproduktion nach dem Roman „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foers bereitete Arpad Dobriban auch „Erba cotta“ zu.
Es handelt sich dabei um ein Gericht, das nahezu weltweit verbreitet ist und drauf zielt, alle Teile vieler Pflanzen zu verarbeiten. Es schmeckt deshalb immer anders, die Grundlagen sind jedoch gleich: äußere Blätter von zum Beispiel Brokkoli, Blumenkohl, Salat,Grünkohl, Kohl, Spinat, und Mangold treffen mit Karottengrün, Blättern von Radieschen etc. auf angeschwitzte Zwiebeln in Olivenöl. Die dicksten Teile kommen zuerst in den Topf, die feineren später. Das Gemüse wird mit wenig Flüssigkeit langsam zugedeckt weichgekocht – immer wieder etwas dazugeben –, etwas geriebene Zitronenschale hebt den Geschmack.
Das Blattmus ist nach etwa zwei bis drei Stunden fertig und erhält mit gerösteten Semmelbröseln einen Kontrast zur weichen Konsistenz. Und ja, Salz sollte dann auch mal ran.
Anregungen aus Armenien
Wer damit erst einmal anfängt, entdeckt dann vielleicht auch Schätze wie Arpad Dobriban. Der kochende Künstler zeigte anlässlich einer Theaterproduktion nach dem Roman „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foers in Regensburg, was er auf einer Reise nach Armenien gelernt hatte. „Dort sammeln die Menschen wildes Gemüse und wilde Kräuter“, erzählt er, „sie verkaufen diese Ernte direkt an der Straße.“ Zu den Pflanzen gehört ein wilder Sauerampfer. Zu Zöpfen geflochten und getrocknet, kann zu jeder Jahreszeit eine Suppe aus ihm entstehen. Dobriban kochte sie für das Publikum und hatte auch sein armenisches Lieblingsrezept auf dem Speiseplan: „Jingalov hats“, ein Fladenbrot, in das die Wildkräuter eingebacken sind.
Für bessere Geschmackserlebnisse können Veganer auch auf einer anderen Ebene sorgen, findet der Koch Lars Janke. „Oft reservieren Gäste einen Tisch, erzählen mir aber nicht, dass sie vegan leben. Das erfahre ich erst, wenn sie im Restaurant sind. Warum sagen sie mir das nicht vorher? Ich könnte mir Gedanken machen und ihnen etwas sehr Schönes kochen.“
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