: Segen auf allen Wegen
Als Militärseelsorger begleitet Winfried Moselewski Soldaten in ihrem Alltag, zu dem manchmal auch das Töten gehört. Und er will Soldat Gottes sein. Geht das zusammen?
Von Anna Kücking (Text) und Anna Spindelndreier (Foto)
Militärpfarrer Winfried Moselewski presst sein Diensthandy ans Ohr: „Die Heiligkeit hat sich verlaufen.“ Derangiert steht er in der Gegend, taxiert mit den Augen das Gelände. Ein Absperrband raschelt. Moselewski schaut sich um, Kiefernzapfen knacken unter seinen Stiefeln. Immer noch niemand zu sehen.
Der evangelische Militärseelsorger Winfried Moselewski ist ein Kumpeltyp, einer, mit dem geflachst wird. Einer, dem Spitznamen gegeben werden: der „Luft-Boden-Offizier“; „Eure Heiligkeit“. Respekt flößt Moselewski aber auch ein. Eifrige junge Soldaten wollen ihm Birkenkreuze bauen, andere klopfen ihm auf die Schulter: „Ach, Herr Pfarrer!“
Seit zwei Jahren kann Moselewskis Leben in zwei klar voneinander abgegrenzte Teile eingeteilt werden: Das Leben außerhalb und das Leben innerhalb des Kasernenzauns. Den Großteil seines Lebens verbrachte der knapp 60-Jährige außerhalb des Zauns. Zwanzig Jahre als Gemeindepfarrer, später als Superintendent. Bis ins Frühjahr 2017, als er hörte, dass eine Stelle als Bundeswehrseelsorger für die Standorte Unna und Ahlen in Nordrhein-Westfalen neu zu besetzen war.
Als Moselewski, noch immer im Gelände verloren, sich abermals umdreht, brechen die Kiefernzapfen, das Absperrband ist still. Da taucht Leutnant Asche am Wegrand auf. „Moselewski!“ Der stramme Leutnant fuchtelt signalisierend mit seinem linken Arm über den Kopf, darauf ein erleichtertes Raunen von Moselewski. Der stramme Leutnant hilft dem Pfarrer zurück in die Zivilisation – in Form eines Besprechungsraums, der an eine deutsche Gaststube erinnert.
Die Fenster sind angelehnt, trübes Licht fällt auf bestickte Kissen. Auf hölzernen Eckbänken hocken mehrere uniformierte Männer, eine Frau. Es sind die Kompaniechef*innen des Standorts Ahlen. Sie besprechen hier in den nächsten Tagen Themen wie Organisation, Personal und Ausbildung. Auf eine Leinwand ist ein Bild geworfen, mattgrüne Formen ergeben ein weitreichendes Gelände, auf dem bald eine Übung stattfinden wird. Auch Moselewski nimmt an der Besprechung teil.
Als einer von etwa hundert evangelischen Militärseelsorger*innen in Deutschland begleitet er Bundeswehrangestellte in ihrem Dienstalltag und in Auslandseinsätze. Er hält Gottesdienste ab und veranstaltet Rüstzeiten, eine Art Auszeit für Soldat*innen und ihre Familien. Er ist eine Vertrauensperson, außerhalb der militärischen Hierarchie. Das sagen zumindest alle innerhalb der Bundeswehr.
Außerhalb aber sind auch kritische Stimmen zu hören: Pfarrer Rainer Schmid aus Ulm, Friedensaktivist, Angehöriger des Internationalen Versöhnungsbundes und der Initiative militärseelsorge-abschaffen.de, kritisiert die Zusammenarbeit der evangelischen Pfarrer*innen mit dem Militär. „In Auslandseinsätzen geben Militärseelsorger den Soldaten allein mit ihrer Anwesenheit das Gefühl, es sei schon okay, was sie da machen“, sagt Schmid. Diese Art begleitender Segen habe eine starke symbolische Wirkung, er legitimiere die zahlreichen Auslandseinsätze. „Dabei sollten Militärseelsorger die Freiheit haben, sagen zu können: Lieber Soldat, dieser Krieg ist sinnlos, lege deine Waffen nieder und geh nach Hause.“
Rainer Schmid, graues Haar, Brille, verteilt auf Kirchentagen und Demonstrationen beharrlich Hunderte Flyer, um für eine Militärseelsorgereform zu werben, die zur Folge hätte, dass Gemeindepfarrer von außerhalb in die Kasernen gingen und so ihre Unabhängigkeit behielten. Als Schmid in seiner Zeit als Gemeindepfarrer am Bodensee die (dort ja durchaus auch ansässige) Rüstungsindustrie öffentlich kritisierte, wurde er strafversetzt. Sein vorgesetzter Dekan begründete die Entscheidung so: „Man soll nicht die Hand beißen, die einen füttert.“ Wer in den Gottesdienst kommt und die Gemeinde unterstützt, den verärgere man nicht.
Die Kompaniechef*innen im Standort Ahlen betonen derweil die gesonderte und besänftigende Wirkung der Militärseelsorgenden bei Auslandseinsätzen. Kleine Päckchen Kondensmilch und Zuckerwürfel stehen auf dem wuchtigen Tisch vor ihnen, angebrochene Colaflaschen und Kekse. Anstatt gemeinsam kritisch zu hinterfragen, welchen Sinn die Einsätze eigentlich hätten, gilt die Militärseelsorge im Ausland eher als Ruhebereich im getakteten Bundeswehrdasein. Tiefgehende Gespräche würden zwar geführt, über die grundsätzliche Legitimität des Einsatzes aber nicht gestritten. Moselowski sagt: „Als Militärpfarrer bin ich auch Staatsbeamter und wie die Soldat*innen dem Staat und dem Grundgesetz zur Loyalität verpflichtet. Über die Einsätze entscheidet das Parlament. Es hat die Aufgabe, den Sinn des Einsatzes plausibel zu machen“.
Als im Standort Ahlen die Mittagspause anbricht, scheint die Sonne auf eine erhöhte Terrasse. Wie Grundschüler stehen einige Soldaten aufgereiht in einem weißen Flur, um sich die Hände zu waschen. An der Kaffeemaschine der Cafeteria hängen Merchandise-Artikel, auf einem Schlüsselbund steht: „Besser eine Schwester im Puff als einen Bruder bei der Luftwaffe.“ Moselewski verdreht darüber die Augen.
Er läuft durch die verglaste Cafeteria nach draußen, einen eingegossenen Steinweg entlang zu einem 2er BMW, seinem Dienstwagen. Er begegnet einigen Offizieren, bleibt stehen und plaudert über organisatorische Dinge, fragt persönliche Befindlichkeiten ab. Als einer der Offiziere seine Mütze abnimmt, greift er sich ebenfalls an den Kopf. Wenn Moselewski in den Kasernen Bundeswehrkleidung trägt, wartet er immer auf die Gesten der Offiziere, bis er seine Mütze abnimmt, sagt er. „Wenn die ihre Mütze abnehmen, kann ich das auch.“ Darauf warten muss er im Grunde nicht. Aber Verbundenheit signalisieren, das sei ihm wichtig.
All diese kleinen Gesten und Codes, die den Mikrokosmos Bundeswehr ausmachen, musste Moselewski neu lernen, als sein Leben innerhalb des Zauns begann. Die komplizierten Dienstränge, die bundeswehreigenen Umgangsformen, die Bedienung der Kupplung seines Dienstwagens – um all das zu verstehen brauchte er Unterstützung. Und die bekam er von den Soldat*innen, „äußerst freundliche Menschen“, wie er sagt. Winfried Moselewski hievt eine lila Plastikkiste, die bis oben hin gefüllt ist mit Liederbüchern, aus dem Auto. Zwei Soldaten helfen ihm, und auch dabei, das Keyboard auf die saftige Rasenfläche vor der Terrasse zu stellen.
In einigen Minuten beginnt hier der Feldgottesdienst, eine Art mobiler Gottesdienst, der überall stattfinden kann. Feldgottesdienste gehören zur militärischen Praxis. Seit 1864, während des Deutsch-Dänischen Krieges, ist dies belegt. Auch während des Zweiten Weltkriegs begleiteten Militärpfarrer die Soldaten an die Fronten, betrieben Seelsorge und hielten Gottesdienste ab.
In ihrem Buch „Passion und Vernichtung. Kriegspfarrer an der Ostfront 1941–1945“ beschreibt Dagmar Pöpping, wissenschaftliche Mitarbeiterin der evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, eindrücklich, wie selten sich die Kriegspfarrer tatsächlich vom Hitler-Regime distanzierten. Lediglich ein Fall belegt, dass Militärpfarrer sich mit den Opfern der Kriegsverbrechen an der Ostfront solidarisierten, zu offenen Protesten kam es jedoch nicht.
Pöpping verweist darauf, dass die evangelische Militärseelsorge in Deutschland auch heute noch eng mit den staatlichen Strukturen verflochten ist und deshalb nicht völlig unabhängig vom Staat agieren kann, obwohl sich die evangelische Kirche im Militärseelsorgevertrag von 1957 eine weitaus größere Unabhängigkeit von staatlichen Vorgaben gesichert hat, als dies zur NS-Zeit der Fall war.
Im Militärseelsorgevertrag ist verankert, dass Militärseelsorgende an Bekenntnisse und Lehre der Kirche gebunden sind. Der Militärbischof wird vom Rat der Evangelischen Kirche in Absprache mit der Bundesregierung gestellt. Lägen jedoch schwerwiegende Einwände vor, wäre Letztere in der Lage, die Ernennung zu verhindern. Die Kosten, beispielsweise für Dienstwagen und Verbeamtung, trägt der Staat. Im Schnitt sind das in Deutschland 30 Millionen Euro im Jahr.
Unter dicken Eichen
Als knapp dreißig Soldat*innen unter den dicken Eichen auf dem Bundeswehrgelände Ahlen mit Liederbüchern ausgestattet sind, sortieren sie sich vor Moselewski zum Halbmond, dann dringt der erste Ton aus dem Keyboard. Er hebt zur Predigt an: „Ich denke immer zuerst an die Basis unserer Verfassung, an die ,Würde des Menschen‘, für die Sie einstehen […]. Wenn die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird – darf man da zusehen? Und wenn man die Würde verteidigt, und es nicht ohne töten geht – macht man sich dann nicht auch schuldig?“ Die Köpfe der Soldat*innen sind geneigt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt oder vor dem Bauch zum Gebet. Manche scheinen sich ernsthaft Gedanken zu machen, andere sehen aus, als würden sie schlafen oder an das Mittagessen denken, das gerade in ihren Körpern verdaut wird.
Winfried Moselewski tut sich schwer, jemanden schuldig zu sprechen, der im Verteidigungsfall getötet hat. Das fünfte Gebot solle dafür sorgen, Leben zu schützen. „Und das Dilemma ist, dass es Kräfte gibt, die Leben zerstören. Dem muss Einhalt geboten werden, um den Frieden zu wahren“, sagt er.
Diesem Dilemma, das seiner Meinung nach nicht selten moralische Verletzungen verursache, will Moselewski als Militärseelsorger begegnen. Aber was, wenn ein Auftrag vom Parlament tatsächlich mal gegen geltendes Recht verstößt? „Dann haben Soldat*innen die Pflicht, den Befehl zu verweigern. Und darin würde ich sie als Militärpfarrer bestärken.“
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