Mitgliederbefragung in der SPD: Das Duell
Links oder eher rechts? Olaf Scholz und Klara Geywitz oder Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken? Die letzte Runde entscheidet.
Sein Landesverband unterstützte ihre Kandidatur, auch Kevin Kühnert und die meisten Jusos waren auf seiner Seite. In Medien wurde das Team Esken und Nowabo, so sein Spitzname, als linke Konkurrenz zu Olaf Scholz gehandelt. Wenn er es nicht geschafft hätte, es wäre ein tiefer Fall gewesen. An Unterstützung war, zum Verdruss der anderen linken Teams, ja wirklich kein Mangel.
21,04 Prozent, sagt Schatzmeister Nietan, nur eineinhalb Prozentpunkte weniger als für Scholz und Geywitz (22,68 Prozent). Esken und Walter-Borjans hören die Zahlen erst in diesem Moment. Dann geht Walter-Borjans auf die Bühne und winkt etwas linkisch ins Publikum.
Es ist voll im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale in Berlin. Rund 200 GenossInnen sind da. Seit fünf Uhr morgens haben sie Briefe ausgezählt. Die Stimmung ist gelöst, das war in letzter Zeit nicht oft so. Meist galt es ja, schlimme Wahlergebnisse rosarot zu malen. Vizekanzler Olaf Scholz wird mit Klara Geywitz von einer Fernsehkamera zur nächsten gereicht. Klara Geywitz ist erleichtert. „Es war nicht so, dass ich nach jeder der 23 Debatten dachte: Klare Sache, wir gewinnen.“ Die Wahl, sagt die Potsdamerin, „war eine Blackbox.“
Scholz, offener Hemdkragen, kein Schlips, lächelt ausdauernd in alle Kameras. Fast alle wollen von ihm wissen, wie es mit der Großen Koalition weitergeht. Scholz lächelt und sagt, dass die SPD für mehr Gerechtigkeit und Frieden in Europa ist. Seit gut acht Wochen vermeidet er verbissen jede Antwort auf die Groko-Frage. Dass er dafür ist, in der Regierung zu bleiben, wissen ohnehin alle. Ein Bekenntnis zur Großen Koalition würde ihm nichts nutzen, aber vielleicht der Konkurrenz. Also weglächeln. Im Wahlkampf hieß das mal asymmetrische Demobilisierung.
Demokratie ist prima, aber teuer
Die zuletzt sechs Bewerberteams haben zur Mitgliederbefragung 23 Regionalkonferenzen mit 20.000 ZuschauerInnen hinter sich, 270.000 Menschen haben die Livestreams verfolgt. Sechsmal, so die stolze Zahl, habe man in größere Hallen umziehen müssen. Das gilt bei einer Partei, für die Wahlniederlagen normal geworden sind und die Mitgliederzahl sinkt, als großer Erfolg Das Ganze hat 1,2 Million Euro gekostet, für die Stichwahl im November werden noch ein paar Hunderttausend fällig. Demokratie ist prima, aber teuer.
Karl Lauerbach ist ohne Fliege, sein Erkennungsmerkmal, gekommen. Er hat sich von dem etwas snobhaften Zeichen getrennt, es schien ihm auf dem Weg zum Parteivorsitz hinderlich. „Wir haben viel gelernt“, sagt er. Und: „Wir sind enttäuscht, aber nicht tief enttäuscht.“ Mit „wir“ meint er sich und Nina Scheer, Umweltexpertin, die neben ihm steht und nickt. Anfangs hat Lauterbach bei den streng getakteten Roadshow-Befragungen zu lange geredet, auf Kosten von Scheer. Jetzt sei das anders. „Mittlerweile komme ich kaum noch zu Wort.“ Scheer lacht. Es ist ein bisschen wie nach einer Klassenfahrt. Es war schön, aber es ist auch schön, dass es vorbei ist. Für Lauterbach und Scheer ist es mit 14,63 Prozent vorbei, Platz 4.
Boris Pistorius, Innenminister in Niedersachsen, ist nur Fünfter geworden und lobt vor jeder Kamera die innerparteiliche Demokratie. Gesine Schwan sagt: „Es ist natürlich nicht gut, Letzter zu werden.“ Aber es tue ihr nicht leid. Das Publikum der 23 Debatten sei so beschwingt gewesen. Glückliche Gewinner, tapfere Verlierer. Schwan und Ralf Stegner haben nur 9,63 Prozent bekommen.
Nur gut die Hälfte der SPD-Basis, rund 210.000 GenossInnen, hat sich an der Abstimmung beteiligt. Bei dem Votum über die Regierungsbeteiligung waren es noch 76 Prozent. Im Willy-Brandt-Haus versuchte man, das Ergebnis schon vorab als Erfolg zu verkaufen. Ja-nein-Fragen seien eben attraktiver, als zwischen sechs Möglichkeiten zu wählen.
Esken und Walter-Borjans hatten als Letzte ihre Kandidatur verkündetet. Sie galten als Außenseiter. Stegner oder Lauterbach kannte man, sie nicht. „Wir sind aus der No-Name-Position gekommen“, sagt Saskia Esken. Viele rätselten, ob die Unterstützung durch Jusos und NRW ihnen wirklich nützen würde oder ob solche Ansagen verpuffen. Doch offenbar tickt die SPD doch noch wie früher. Keiner der unterlegenen linken Kandidaten mochte am Samstagabend ein Fass aufmachen und diesen Einfluss direkt kritisieren – schon um nicht als schlechter Verlierer zu gelten.
Mit Wahlempfehlungen halten sich die Verlierer zurück
Und jetzt? Immerhin 40 Prozent haben die unterlegenen eher linken Teams Lauterbach/Scheer, Michael Roth/Christina Kampmann und Gesine Schwan/Ralf Stegner gewählt. Eine Schlüsselfrage lautet: Was machen die in der Stichwahl? Saskia Esken glaubt: „Das Ergebnis zeigt, dass die Fraktion des ‚Weiter so‘ nicht sonderlich stark ist.“ Und: „Wir haben ein sehr großes Potenzial.“ Esken hofft, dass sich die Unterlegenen zu Wahlempfehlungen für sie und Walter-Borjans durchringen werden. „Dafür ist es noch zu früh, aber es wäre schön.“
Also Wahlempfehlungen gegen Scholz? Gesine Schwan schüttelt am Samstagabend den Kopf. Auch Lauterbach will davon nichts wissen. Das sei „Sache der Basis“. Bei ihm und Scheer sei ja eh klar, wem sie politisch näherstehen.
Szenenwechsel, Dortmund, Nordrhein-Westfalen. Der SPD geht es in ihrem früheren Stammland mies. In Umfragen liegt sie bei 20 Prozent – und eine Machtperspektive ist auch langfristig nicht in Sicht. Die Grünen liebäugeln mit der CDU. Selbst ihre früher unbezwingbare Hochburg, das Ruhrgebiet, scheinen die Sozialdemokraten verloren zu haben. Bei der Europawahl siegten die Grünen selbst in Dortmund, das einst als Herzkammer der Sozialdemokratie galt.
Um wieder zurück auf das Spielfeld zu kommen, setzt die SPD in NRW auf einen deutlich sozialeren Kurs – „Rot pur“ genannt. Die SPD zwischen Rhein und Ruhr hat kürzlich beschlossen, dass Hartz IV – für Alleinstehende aktuell 424 Euro monatlich – durch eine sanktionsfreie Grundsicherung von mindestens 570 Euro ersetzt werden soll. Zu „Rot pur“ passt Scholz’ moderates Regieren in Berlin mit der Union so wie der BVB zu Schalke 04 – überhaupt nicht.
Nadja Lüders ist Generalsekretärin der SPD in Nordrhein-Westfalen, trotz Krise stammt noch immer ein Viertel der rund 426.000 SPD-Mitglieder aus ihrem Bundesland. Lüders sympathisiert mit dem früheren Landesfinanzminister Walter-Borjans, der seit dem Deal mit den Steuer-CDs und der resoluten Verfolgung von Steuerhinterziehern den Ruf des Robin Hood der Steuerzahler hat. „Die beiden stehen weitaus deutlicher für die neue Parteilinie der NRW-SPD als Scholz und Geywitz“, sagt sie. Aber Lüders warnt auch davor, das Team Scholz und Geywitz vorschnell abzuschreiben. Zu glauben, dass jene 40 Prozent, die für die unterlegenen eher linke Teams votierten, „jetzt alle Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wählen, ist eine Milchmädchenrechnung“.
Thomas Kutschaty
Ins gleiche Horn bläst der SPD Fraktionschef im Landtag, Thomas Kutschaty. Er hofft auf den Sieg der beiden als Bestätigung für den neuen NRW-Kurs: Walter-Borjans und Esken stünden für „ein schnelles Aus für Hartz IV, keine faulen Kompromisse bei der Grundrente, also keine Bedürftigkeitsprüfung, mehr Investitionen in Infrastruktur“.
Kutschaty greift Scholz direkt an. „Die Schwarze Null ist keine Monstranz“, sagte er. Viel wichtiger sei es, der nächsten Generation einen „beherrschbaren Klimawandel, eine intakte Umwelt und solide Arbeitsplätze zu hinterlassen“, findet er. Das ist eine frontale Attacke auf den Finanzministers und Vizekanzler, der gusseisern die Schwarze Null verteidigt. Und Kutschaty warnt vor einem Sieg von Scholz, der dann Parteivorsitzender und Vizekanzler in Personalunion wäre: „Es kann nicht Aufgabe unserer Parteiführung sein, die Beschlüsse der Großen Koalition zu verkaufen.“
Die Große Koalition mit der Union sieht der Spitzengenosse skeptisch. Zwar sei die Wahl zwischen Scholz/Geywitz und Walter-Borjans/Esken formal keine Entscheidung über die Groko – aber natürlich werde sie „Einfluss auf den Fortbestand der Regierung in Berlin haben“, sagt Kutschaty.
Verlassen kann sich Kutschaty dabei auf die Unterstützung der Jusos nicht nur in NRW. Deren Landesvorsitzende Jessica Rosenthal will von Warnungen, dass der Partei im Fall von Neuwahlen nach einem Ende der GroKo ein erneuter Absturz drohe, nichts hören. „Mit der Angstmache vor einem Wahlkampf muss Schluss sein“, sagt die 27-Jährige. Mit dem „sozial gerechten“ Kurswechsel in NRW sei die SPD schon heute „eine andere Partei als vor einem Jahr“ – und diesen Wechsel wolle der Landesverband auch auf dem Bundesparteitag im Dezember in Berlin durchsetzen. „So aufgestellt, müssen wir keine Angst vor Neuwahlen haben“, glaubt Rosenthal.
Was geschieht, wenn …
Allerdings: Es gibt an Rhein und Ruhr auch andere Stimmen. Der frühere Kanzlerkandidat Martin Schulz hält Neuwahlen für gefährlich. Und auch SPD-Landesparteichef Sebastian Hartmann, der mit Kutschaty um die Macht in der SPD-NRW rangelt, ist vorsichtig. Der Parteitag im Dezember müsse „eine objektive Bestandsaufnahme“ dessen leisten, was die Groko „in den kommenden zwei Jahren noch umsetzen kann“. Tabula rasa klingt anders. Eine Niederlage bei Neuwahlen würde auch die SPD an der Ruhr hart treffen, so Hartmanns Befürchtung.
Was passiert, wenn die SPD aus der Groko austritt? Schnelle Neuwahlen würden die SPD eher unvorbereitet treffen. Wer ins Rennen gehen würde, wenn Walter-Borjans und Esken im Willy-Brandt-Haus regieren, ist offen. Ein weiteres Problem für die linke Alternative: Esken ist Expertin für Digitales, Walter-Borjans für Finanzpolitik. Doch wenn sie die SPD führen, müssen sie Generalisten sein. Der Nachweis, dass sie das können, steht noch aus.
Saskia Esken träumt von einer Lage wie Anfang 2017, als die SPD mit Martin Schulz in Umfragen bei 30 Prozent lag. Aber damals gab es ein Momentum. Merkel-Müdigkeit breitete sich aus. Schulz galt als irgendwie neu und stand doch für etwas: Europa. Jetzt würde die SPD eher als wankelmütig gelten und wohl verantwortlich für eine eventuelle Neuwahl sein.
Klar ist: Die Stichwahl wird anders als das Debattenmarathon, bei dem es, schon durch das Format bedingt, kaum zu direkten Konfrontationen und Streit kam. Was nun folgt, ist ein Duell. Links gegen rechts, Rot pur oder Merkels Juniorpartner. Esken sieht die Gefahr. „Wir sollten nicht persönlich aufeinander losgehen und auch unsere Unterstützer darauf verpflichten“, sagt sie. Es wird dennoch ein Kampf mit härteren Bandagen werden.
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