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„Der politische Diskurs vereinfacht grob“

Der 4. Herbstsalon des Gorki greift den politischen Diskurs von Heimat als Instrument von Ausschluss an. Ein Gespräch mit der Intendantin Shermin Langhoff über das Programm

Shermin Langhoff Foto: Esra Rotthoff

Interview Tom Mustroph

taz: Shermin Langhoff, der 4. Herbstsalon des Gorki-Theaters ist überschrieben „De-Heimatize it“. Das Thema Heimat ist derzeit in vieler Munde, es wirkt bereits überfrachtet. Warum hat das Gorki es nicht abgewählt?

Shermin Langhoff: Wir versuchen, das Thema anders zu konnotieren. Es war bei uns auch sehr früh da. Bilgin Ayata hat schon im Juni 2018 den Essay „De-Heimatize Belonging“ geschrieben …

… der zum Motto des gesamten Herbstsalons wurde …

Mit ihrem radikalen Ansatz lehnt sie „Heimat“ als Zugehörigkeitskonzept gänzlich ab und entlarvt die Begriffsgeschichte nicht nur im Kontext der Kolonialgeschichte als „vorzivilisatorisch“. Das ist im Gegensatz zu unserem Ansatz der „Aneignung“ aus Ballhaus-Zeiten, wie in „Verrücktes Blut“, wo wir Volkslieder singen, die sich die autochthonen Deutschen nicht mehr zu singen trauen und auch im Gegensatz zu Kolleg*innen wie Naika Foroutan, die mit Forschungsprojekten wie „HEYMAT“ Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle untersuchte und über Heimaten im Plural spricht.

Das sind doch alles recht positive Heimat-Begriffe, die die Prozesshaftigkeit und Vielfältigkeit von Heimat betonen. Wieso muss das Gorki da ent-heimaten?

Weil „Heimat“ nicht im luftleeren Raum steht. Es hat sich ein politischer Diskurs herausgebildet, verschärft noch ab 2015, der grob vereinfacht und der gerade nicht anerkennt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, und der nicht die entsprechenden Gesetze formuliert. Spätestens seitdem ein Ministerium mit diesem Namen gebildet wurde, ist „Heimat“ ein politischer Begriff, ein politisches Konzept. Wir erleben das immer wieder, von rechts bis links, im Feiertagsdirndl, in einer „Heimat“-Aneignung von Parteien aller Couleur in dem Sinne: „Wir lassen uns unsere Heimat nicht wegnehmen und werden darum kämpfen.“

De-Heimatize richtet sich also gegen einen bestimmten Diskurs von Heimat, nicht gegen den Begriff „Heimat“ als solchen?

Wir greifen den politischen Konsens und Diskurs an. Wir kritisieren, dass wir über „Heimat“ reden sollen und nicht darüber, dass ein Einwanderungsgesetz fehlt. Statt über „Heimat“ müssten wir über europäische Flüchtlingspolitik sprechen. Das ist doch die Verbindung von Bayern über Berlin bis Brüssel, dass Menschen, die ihre Heimat verlieren, von Heimat ausgeschlossen werden. Wir wollen auch niemandem sein „Heimatgefühl“ wegnehmen. Das ist auch eher etwas Privates, Intimes fast. Aber es wird Politik damit gemacht, eine Politik des Ausschlusses und der Selektion.

Neben „Heimat“ – begriffen als politischer Diskurs, ja eigentlich sogar Missbrauch von „Heimat“ – und „De-Heimatizing“ als Versuch einer Praxis, diesem Missbrauch entgegenzutreten, gibt es beim Herbstsalon noch einen dritten Schlüsselbegriff: Belonging. Was meint Belonging in diesem Zusammenhang?

Belonging meint Zugehörigkeit. Wir haben es in dieser Republik bis heute nicht geschafft, das Angebot einer politischen Zugehörigkeit zu ebendieser Republik zu formulieren. Wir haben es 2001 nicht geschafft, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. Immerhin wurde das Einbürgerungsrecht nivelliert und die Einbürgerung erleichtert. Es gibt aber nach wie vor kein Einwanderungsrecht, das diesen Namen verdient.

De-Heimatize it!

Der Herbstsalon (25. Oktober bis 17. November) besteht aus einer Konferenz (De-Heimatize Belonging, 25.-27. Oktober, Gorki und Humboldt Universität), einer Young Curators Academy mit internationalen Programmmacher*innen an den Schnittstellen von Kunst und Aktivismus (25. Oktober bis 4. November), einem Ausstellungs- und einem Performance-Programm.

Gezeigt werden u.a. Marta Górnickas „Jedem das Seine“ (Berliner Premiere 26.10.), „Rewitching Europe“ (Yael Ronen, Uraufführung 1.11.), „The Miracle of Love“ (Daniel Cremer, Berliner Premiere 1.11.), die Performances Atem (Mehtap Baydu, 30.10 – 17.11.), „Destrucción“ (Regina José Galindo, 27.10.), „Oh! Ode“ (Sasapin Siriwanij & Surachai Petsangrot, 2.11.) sowie die Gastspiele „Malina“ (Marta Malikowska, 26., 27.10.) und „Medea“ (Oliver Frljic, 8.11.)

Belonging ist dann also ein positiv gefasster Begriff mit einer Zukunftsperspektive und einem Handlungshorizont?

Ja, wenn es darum geht, jenseits von Heimat und Nation Zugehörigkeiten zu denken und zu leben. Wir brauchen Gemeinschaft und Gesellschaft, dafür sind andere Zugehörigkeitsmodelle nötig. Wir brauchen vor allem eine Verfassung und eine demokratische politische Ordnung für alle! Darüber hinaus gibt es natürlich Zugehörigkeiten sehr verschiedener Art. Die Gesellschaft besteht aus Tausenden von Gruppen, deren Teilnehmer sich jeweils zugehörig fühlen. Wir beide lieben vielleicht Lyrik und gründen eine Gemeinschaft, die vor allem darüber Zugehörigkeit erzeugt. Andere tun das vielleicht über eine Community, die etwas mit ihrer Art zu lieben oder ihrer Herkunft zu tun hat … Aber es ist etwas anderes, ob von Staats wegen eine affektive Zugehörigkeit gefordert wird.

Kommt man zum performativen Programm des Herbstsalons, fällt diese doppelte Spur aus De-Heimatizing und Belonging auf. „Jedem das Seine“, zur Berliner Premiere aus den Münchner Kammerspielen geholt, geht etwa tief in den deutschen Heimatbegriff hinein, wenn es um sexuelle Gewalt und die Versklavung von Frauen im Nationalsozialismus geht. Das wäre die Seite der Entmystifizierung und Kritik, oder?

Entmystifizierung ist ein guter Begriff. Es geht um die ganze Spur von Gewalt gegen Frauen, beginnend bei den Sex- und Arbeitssklavinnen im Nationalsozialismus bis hin zu den heutigen testosterongesteuerten Patriarchen, die unsere Pussies grabben und in unsere Vaginas schießen wollen. Marta Górnicka hat da einen grandiosen Text geschrieben über die Verfügungsgewalt über weibliche Körper, die von Nationalismus und Kapitalismus ausgeht.

„Tyskland“ vom Duo White on White mit der Traumhochzeit von Joseph Beuys als Hase mit Rosa Luxemburg wäre dann so eine Art ironische Zukunftsperspektive für dieses Land?

Ja. Es ist ein älteres Projekt aus dem Programm „Mythen der Wirklichkeit“, kuratiert von Necati Öziri, das gut zur Entmystifizierung taugt.

Und was wird zerstört, wenn das Gorki in „Destruccion“ einen BMW zerstört?

Shermin Langhoff, geboren 1969 in Bursa, Türkei, arbeitete viele Jahre für Film und Fernsehen, u. a. bei Fatih Akins „Gegen die Wand“. 2008 gründete sie das Ballhaus Naunynstraße und entwickelte dort die Praxis des postmigrantischen Theaters. Seit 2013 leitet sie zusammen mit Jens Hillje das Gorki und hat dort erstmals in Deutschland auf Stadttheaterebene postmigrantisches Theater etabliert.

Erst einmal zerstören nicht wir, sondern die Künstlerin Regina José Galindo den BMW. Bei diesem Objekt eröffnen sich ja einige Möglichkeiten der Interpretation. Eine jüngere Generation liest darin eine Performance zur Klimakatastrophe, die Älteren erinnern den Konzern im Zusammenhang mit der Zwangsarbeit im Dritten Reich. Der BMW steht aber auch als Symbol für testosterongesteuerte Männlichkeit.

Für mich war BMW auch immer der „Baader-Meinhof-Wagen“. Wird der damit auch zertrümmert?

Ich weiß nicht, ob Regina José Galindo darum weiß. Aber ich denke, dass sie noch mehr Konnotationen aus ihrer Perspektive als internationale Künstlerin gewinnt – Deutschland als einer der Exportweltmeister für Autos und Waffen zum Beispiel. Sie hat sich einen BMW gewünscht und wir haben einen organisiert.

Frau Langhoff, wenn Sie jetzt die Chance hätten, statt eines Heimatministeriums eines für Zugehörigkeiten zu konzipieren – wie würde das aussehen?

Ich denke, es bräuchte weder ein Zugehörigkeitsministerium noch ein Heimatministerium, wenn alle Ministerien die politische Ordnung in und die Zugehörigkeit zu unserer Republik für alle in Deutschland lebenden Menschen gestalten würden und wir einen Rechtsstaat für alle hätten. Was wir für mehr Gerechtigkeit brauchen, ist ein Antidiskriminierungsministerium, das bei allen Ministerien dafür sorgt, dass eine diskriminierungssensible Perspektive eingenommen wird, diskriminierungssensible Genderpolitik ebenso wie diskriminierungssensible Innenpolitik gemacht wird. Das wäre ein Schritt..

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