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Vom ersten Date bis zur Zukunftsstrategie

Jeden Tag ein neues Start-up: Die Gründungsdynamik ist in der Hauptstadt ungebrochen hoch. Berlin zählt zu den Top-Ten-Metropolen weltweit. Die Szene trifft sich auf den Deutschen Gründer- und Unternehmertagen, um Kontakte zu knüpfen und Ideen auszutauschen

Zahlen und Fakten

Die Deutschen Gründer- und Unternehmertage (deGUT) finden zum 35. Mal statt. Erwartet werden etwa 6.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich zu Existenzgründung und Unternehmertum informieren und beraten lassen können. Geboten wird ein kostenloses Seminar- und Workshopprogramm, rund 130 Aussteller und Berater sind vor Ort. Veranstaltet wird die deGUT von der Investitionsbank Berlin (IBB) und der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB).

deGut, 18. und 19. Oktober 2019, Arena Berlin, Treptow

Von Mirko Heinemann

Wer am Wochenende nachts die Danziger Straße im Bezirk Prenzlauer Berg entlanggeht, versteht, wo der Ruf von Berlin als kreativ sprühende Metropole entstanden ist: in den Spätverkaufsläden. Hier stehen und sitzen sie alle beisammen, meist davor, weil man dort rauchen kann. Internationale AbsolventInnen der Hochschulen dieser Welt treffen auf Berliner SchülerInnen und Studis. Auf die wiederum quatschen rundum tätowierte Urberliner ein. In dieser Melange, das kann nicht anders sein, entfaltet sich Dynamik, werden Bekanntschaften geschlossen und neue Ideen geboren.

Und innovative Unternehmen gegründet. Jeden Tag, so hat es das Institut für Innovation und Technik (IIT) ausgerechnet, entsteht in Berlin mindestens ein neues Start-up. 443 Neugründungen von Unternehmen hat das IIT 2018 erfasst, die dieser Definition entsprechen. Bekanntlich ist das nicht so einfach. Wer beim IIT als Start-up bezeichnet wird, hat eine Kapitalgesellschaft gegründet und kann entweder ein neuartiges Geschäftsmodell, ein innovatives Produkt oder eine innovative Dienstleistung und hohes Wachstumspotenzial vorweisen. Ein Drittel der UnternehmerInnen, deren Gründung diese Kriterien erfüllt, zog im vergangenen Jahr eine Softwarefirma hoch, gefolgt von einer Dienstleistung und E-Commerce.

Berlin boomt. Die Gründungsdynamik ist in der Hauptstadt ungebrochen. Das ist nach wie vor so – mit allen Vor- und Nachteilen. Der Hype ist enorm: Der „Global Startup Ecosystem Report“ listet Berlin 2019 erneut unter den Top-Ten-Metropolen weltweit, im direkten Umfeld von London und Paris. Klar, dass der Berliner Tummelplatz der Start-ups, die Deutschen Gründer- und Unternehmertage (deGUT), eine ähnliche Dynamik entfaltet. Die Messe sei eine „einzigartige Plattform, um ExistenzgründerInnen, UnternehmerInnen, Investoren und ExpertInnen zusammenzubringen“, schwärmt die Berliner Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Ramona Pop.

Noch größere Worte wählen die Veranstalter: „Zwei Tage, die dein Leben verändern!“, versprechen sie für die 35. Veranstaltung, die am 18. und 19. Oktober in der Arena Treptow stattfinden wird. Neben einem um­fangreichen kostenfreien ­Seminar- und Workshop­programm bietet die Messe Informationen zu allen gründerrelevanten Themen, individuelle Beratung und jede Menge In­spi­ration und Gelegenheit zum Networking.

Aber auch die Aussteller sind voll des Lobes für die Start-up-Messe. Sie reagiere schnell auf aktuelle Trends, erklärt Christian Segal, Leiter des FirmenCenters Gründung und Nachfolge bei der Berliner Sparkasse. „Das überzeugt uns.“ Hervorgehoben wird auch das traditionelle Speeddating, das in diesem Jahr am 19. Oktober stattfindet. Dabei stellen fünf im Vorfeld ausgewählte Kandidaten einer Jury aus Business-Angels und dem Messepublikum in fünf Minuten ihr Konzept vor. Für die überzeugendsten Ideen findet ein ­Coaching zur Weiterentwicklung des Unternehmens statt. „Ehemalige Teilnehmer bestätigen uns, wie wichtig die Zusammenarbeit war“, erklärt Thomas Dankwart vom Business Angels Club Berlin-Brandenburg. „Wir empfehlen deshalb jedem Gründer, sich zu bewerben.“ Für dieses Jahr ist die Bewerbungsphase allerdings bereits beendet.

Auch für Jobsuchende ist die deGUT eine gute Möglichkeit, potenzielle Arbeitgeber kennenzulernen. Berliner Start-ups haben nach Berechnungen des Bundesverbands Deutscher Start-ups eine besonders hohe Nachfrage nach MitarbeiterInnen und zeigen eine deutlich stärkere Wachstumsorientierung als Start-ups in anderen Regionen. Sie sind immer auf der Suche. Aber nicht nur für Arbeitsuchende, sondern auch für GründerInnen sind die Kontakte, die sich auf der ­deGUT knüpfen lassen, Gold wert. Vielleicht zahlen sie sich nicht sofort aus, aber schon das Bewusstsein, dass sie nicht allein sind, sondern ein Ökosystem bilden, schafft Selbstvertrauen und motiviert, so Seher Gül von der Coaching-Firma zgs consult. „Das Netzwerken untereinander ist eine schöne Möglichkeit für alle Akteure der Gründerszene in Berlin“, sagt sie. „Hier sind wir alle zusammen an einem Ort.“

Selbst gestandene Unternehmen sehen sich auf der Gründermesse im Licht der anderen gespiegelt und optimieren dabei noch ihre Geschäftsmodelle. So etwa das bereits 2007 gegründete und inzwischen sehr erfolgreiche Hamburger Unternehmen Jimdo, das unter anderem Webbaukästen mit Onlineshops anbietet. „Die ­deGUT war für uns eine hervorragende Gelegenheit, im direkten Kontakt mit unserer Zielgruppe über ihre Bedürfnisse, Fragen und Herausforderungen ins Gespräch zu kommen“, erzählt Sally Schöberlein, die bei Jimdo für den internationalen Vertrieb verantwortlich war und vor einem Monat zum jungen Mobilitätsanbieter Wunder Mobility gewechselt ist. „Wir konnten nicht nur unser Produkt vorstellen, sondern haben zusätzlich wertvollen Input mitgenommen, um unser Angebot noch genauer an den Wünschen unserer Kunden zu orientieren.“

Der Wermutstropfen in der Gründerszene ist das Geschlechterverhältnis. Nur 10 bis 20 Prozent der jungen Unternehmer sind Frauen. „Frauen sind als Start-up-Gründer noch stärker unterrepräsentiert als bei der gesamten Gründungstätigkeit ohnehin schon“, merkt Jörg Zeuner an, der bei der staatlichen KfW-Bank die volkswirtschaftliche Abteilung leitet. Über die Ursachen möchte er nicht im Detail spekulieren, aber eine Sache liegt für ihn auf der Hand: „Frauen absolvieren seltener MINT-Studiengänge – und sind damit seltener in Start-up-affinen Bereichen tätig.“ Wenn es gelänge, mehr Frauen für MINT-Fächer zu begeistern, wären auch mehr Frauen an Start-up-Gründungen beteiligt, da ist sich Zeuner sicher.

Spätis sind auf den Gründer- und Unternehmertagen nicht vertreten. Dabei sind die rund 900 Berliner Spätverkaufsläden, diese Hybride zwischen Gastronomie und Einzelhandel, nicht selten innovative Orte, an denen unterschiedliche Menschen zu unkonventionellen Zeiten aufeinandertreffen. Man sollte ihnen den Status als Start-up zubilligen – und genauer untersuchen, welchen Einfluss sie auf den Gründergeist der Stadt haben. Wäre das nicht ein spannendes Forschungsthema?

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