heute in hamburg: „Haß auf den Sozialismus“
Lesung „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Theodor Adornos Vortrag von 1967“ mit Volker Weiß: 19 Uhr, Tschaikowsky-Saal. Alle „Antworten“ Adornos im Interview entstammen dem unlängst als Buch veröffentlichten Vortrag
Interview Alexander Diehl
taz: Herr Adorno, was ist neu am „neuen Rechtsradikalismus“?
Theodor W. Adorno: Daß es sich im Grunde um eine Angst vor den Konsequenzen gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen handelt.
Welche Entwicklungen?
Daß trotz Vollbeschäftigung das Gespenst der technischen Arbeitslosigkeit nach wie vor umgeht in einem solchen Maß, daß im Zeitalter der Automatisierung auch die Menschen, die im Produktionsprozeß drinstehen, sich bereits als potentiell überflüssig – ich habe das sehr extrem ausgedrückt –, sich als potentielle Arbeitslose eigentlich fühlen.
Holt Deutschland nicht nur etwas nach, was es anderswo längst gibt?
Man hört ja sehr oft, gerade also mit Rücksicht auf solche Kategorien wie „Die ewig Unbelehrbaren“ und wie solche Trostphrasen sonst lauten mögen, die Behauptung, es gebe so einen Bodensatz von Unbelehrbaren oder von Narren, einen sogenannten lunatic fringe, wie man in Amerika es nennt, in jeder Demokratie.
Wer trägt den neuen-alten Faschismus?
Schichten, die ihrem subjektiven Klassenbewußtsein nach durchaus bürgerlich waren, die ihre Privilegien, ihren sozialen Status festhalten möchten und womöglich ihn verstärken. Diese Gruppen tendieren nach wie vor zu einem Haß auf den Sozialismus oder das, was sie Sozialismus nennen, das heißt, sie verschieben die Schuld an ihrer eigenen potentiellen Deklassierung nicht etwa auf die Apparatur, die das bewirkt, sondern auf diejenigen, die dem System, in dem sie einmal Status besessen haben, kritisch gegenübergestanden haben.
Theodor W. Adorno, 11. 9. 1903 bis 6. 8. 1969, zählt mit Max Horkheimer zu den Hauptvertretern der Frankfurter Schule, einer als Kritische Theorie bezeichneten Denkrichtung.
Im Kern alles nur Ökonomie?
Zugleich – und damit berühre ich den antagonistischen Charakter, den der neue Nationalismus oder Rechtsradikalismus hat – hat er angesichts der Gruppierung der Welt in diese paar übergroßen Blöcke, in denen die einzelnen Nationen und Staaten eigentlich nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, etwas Fiktives. Es glaubt eigentlich niemand mehr so ganz daran.
Beruhigend, oder?
Man sollte daraus nicht etwa die primitive Folgerung ziehen, daß deswegen der Nationalismus keine entscheidende Rolle mehr spielt, sondern im Gegenteil es ist ja sehr oft so, daß Überzeugungen und Ideologien gerade dann, wenn sie eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr recht substantiell sind, ihr Dämonisches, ihr wahrhaft Zerstörerisches annehmen.
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