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Debütalbum von Shari VariEinladung zum Fallenlassen

Absolut gegenwärtiger elektronischer Pop: In „Now“, dem Debütalbum des Hamburger Duos Shari Vari, kommen viele verschiedene Klangquellen zusammen.

Haben einen musikalischen Hang zum Enigmatischen: Shari Vari Foto: Tom Otte

Charivari sind Schmuckketten, die mit Edelsteinen, aber auch Tierpfoten, Münzen und ähnlichen Berlocken behängt sind. Das typische Klimpern und Klappern dieser Ketten korreliert hierbei mit seiner französischen Wortherkunft: Charivari bedeutet auch Radau, Spektakel oder Katzenmusik. Gleichzeitig mögen KennerInnen der elek­tro­nischen Musikgeschichte an den Proto-Techno-Track „Sharevari“ von A Number of Names denken, der 1981 den Übergang vom Disco-Zeitalter zur elektronischen Clubmusik einläutete.

All jene Bedeutungen helfen auch bei der Einordnung des Hamburger Duos Shari Vari; was die Bedeutung von Songtexten und musikalischen Überlegungen angeht, wollen die beiden Musikerinnen und Künstlerinnen, Sophia Kennedy und Helena Ratka, am liebsten alles im Unklaren lassen. Diesen Hang zum Enigmatischen lassen Shari Vari glücklicherweise ansonsten missen. Sie sind im persönlichen Gespräch alles andere als hanseatisch-unterkühlt, gesprächig und für so manchen Witz zu haben.

Eher ungewohnt für die Klangmuster von elektronischer Musik steht der Gesang Sophia Kennedys in der Musik von Shari Vari im Vordergrund; im Gegensatz zum Gros der House- und Technoproduktionen ist die Stimme hier nicht bloß Dekoration. Es geht um mehr als billige „Tonight is the Night“-Hook­­lines: Zu hören ist das am ambitionierten Songwriting Kennedys, es steht in der Tradition von US-Storytelling und europäischen Chansons und erzählt nicht allein von sich, sondern erschafft Figuren und ProtagonistInnen, die wiederum über ihr fiktionales Leben, ihre Lage singen: Es sind Gedankenspiele, Rekapitulationen über das Selbst und die anderen.

Die Storys von heute

„Now“ besteht wie ein Erzählband aus acht Kapiteln, die nicht aufeinander aufbauen oder unbedingt zusammengehören, dennoch eine Geschichte vermitteln, die sich auch im Namen widerspiegelt: Es sind die Storys von heute. Das ist gerade in Zeiten von Pop-Retro-Wahn sehr erfrischend, da sich dieser Ansatz auch musikalisch darlegt. Auf einem schmalen Grad zwischen Clubsound und Popsong balancieren Ratka und Kennedy fein avantgardistisch, verwerfen die Trennung der Genres und kreie­ren so den Shari-Vari-Sound.

„Wir fusionieren unsere Qualitäten. Ich singe, und Helena baut Beats und Sounds. Uns liegt da wenig an Tiefenanalyse. Wir fügen unsere Ideen zusammen, spiegeln, wo wir musikalisch herkommen“, erzählt Kennedy der taz.

Seit einiger Zeit gilt Sophia Kennedy als eine der Pop-Gesangshoffnungen der Hansestadt

Kennengelernt haben sich die beiden Frauen in Hamburg im Umfeld des Pudel Clubs, zudem studierten beide zeitgleich an der Hochschule für bildende Künste (HfbK). Seit einiger Zeit gilt Sophia Kennedy als eine der Pop-Gesangshoffnungen der Hansestadt, produzierte zusammen mit Mense Reents, Carsten „Erobique“ Meyer und DJ Koze und reüssierte 2017 mit ihrem Debütalbum. Ratka hingegen arbeitet weiter im Feld der bildenden Kunst, ist Filmemacherin, gehört aber zum Stammteam des Pudel Clubs und hat dort eine gemeinsame Reihe mit der Produzentin Nika Son.

Von der Peakhour ins Wohnzimmer

Vor vier Jahren versammelten die beiden erste Songs auf der EP „Life Should Be A Holiday“, die auf Richard von der Schulenburgs It’s-Label herauskam. Sein Debütalbum veröffentlicht das Duo nun beim Berliner Label Malka Tuti. Dieses wird betrieben von den Tel Aviver DJs Asaf Samuel und Katzele; es machte sich in der Technoszene einen Namen mit sprödem, krautigem Wave-Sound. Eine ungewöhnliche Wahl bloß auf den ersten Blick. Labelmacher Katzele sagt: „Uns geht es nicht nur um die Peakhour auf einer Party. Wenn unsere Alben im Wohnzimmer laufen, ohne zu nerven, dann haben wir unser Ziel erreicht.“

Das Album

Shari Vari: „Now“ (Malka Tuti/Kompakt)

live: 1. 11. „Urban Spree“, Berlin, 16. 11. „Ilses Erika“, Leipzig, 30. 11. „Karlstorbahnhof“, Heidelberg

Für die beiden Shari Varis ergab es auch Sinn: „Wir finden es gut, dass wir ein Werk bei einem Berliner Label veröffentlichen.“ Die Frage, ob das ein Statement gegen die von außen manchmal insular wirkende Hamburger Musikszene sei, verneinen die Künstlerinnen ausdrücklich. Hätten beide denn das Gefühl, dass Input von außen zu mehr Diversität und weniger Idiosynkrasien führe? Dies bejahen Kennedy und Ratka erst zögerlich, dann bestimmt. Und es erklärt vielleicht auch, wie Shari Vari es schaffen, weit ab von Trends, einen unverwechselbaren Sound zu kreieren. Am ehesten erinnert „Now“ noch an die eleganten Entwürfe von Grand Dames des ambitionierten elektronischen Pop, so wie sie die Irin Roisin Murphy hinbekommt. Auch beim wiederholten Durchhören zelebriert das Debütalbum von Shari Vari getreu seines Titels „Now“ eine schlaue Feier der Gegenwart.

So überzeugt schon der Auftakt mit Flötenintro, bloß um langsam das Soundspektrum des Projekts aufzufächern. „Out of Order“ reiht digitale Drums, Stringsynths, die Stimme Kennedys und verschiedenste Percussionklänge nacheinander auf, so als wolle man seinem Namen gerecht werden und eine musikalische Charivari den HörerInnen umhängen. Es klimpert wild, beide Musikerinnen gehen über zum Kontergesang, während nun auch das Pia­no seinen Platz einfordert.

Das ist ein ganzer Haufen an verschiedenen Klangquellen, die auf 3:33 Minuten zusammengeworfen werden; so mancher Track wäre über der Bürde zusammengebrochen, doch gekonnt findet hier alles seinen Platz. Dasselbe lässt sich auch für andere Tracks vorbringen: Aufmerksamkeitsökonomisch arbeiten Shari Vari an der Grenze zum Burn-out. Es ist Musik, die nicht seziert werden möchte, sondern zum fallen lassen einlädt. „Now“ ist formidable Dance-Music im Songgewand.

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