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Diamanten aus AntwerpenBei den Unbezwingbaren

Europas größte Gemeinde orthodoxer Juden, ein erregender Rubens und ein neues Museum. Antwerpen ist auch jenseits der Klunker reizvoll.

Die Diamantenbörse in Antwerpen: Hier wechseln millionenschwere Steine den Besitzer Foto: imago images/Reporter

Diamantenbörse! Klingt das nicht nach glitzerndem Klunkerzockertum, nach Luxus, Glamour? Wenn man in die Houveniersstraat einbiegt, gleich neben Antwerpens kathedralenhaftem Jugendstil-Bahnhof, könnte die Anmutung nicht gegenteiliger sein: schmucklose Nachkriegsbauten, teils zehnstöckig, alles zwischen Grau und Beige, Videokameras, eine winzige Synagoge dazwischengequetscht.

Unaufgeregt schlendern ein paar Gestalten herum, orthodoxe Juden, Inder, einzelne Ostasiaten, eine unauffällige Polizeistreife. Die Houveniersstraat ist das Diamantenzentrum der Stadt, die das Weltzentrum des Diamantenhandels ist.

Eine einzelne Börse gibt es zudem nicht, sondern vier davon. Das sind Privatclubs, und sie haben mit Aktienbörsen wenig gemein. Wir dürfen in einen der Börsenclubs ausnahmsweise kurz hinein, Antwerpsche Diamantkring heißt er. Der große Raum mit den abgewetzten Tischen könnte auch das betagte Clubheim eines Fußballvereins sein. Ungewöhnlich nur: die riesige schräge Fensterfront nach Norden – damit man möglichst viel natürliches Licht ohne Sonnenirritationen hat. Es ist gerade Mittagspause. Hier treffen sich sonst Händler, begutachten Ware, machen Geschäfte mit Handschlag, nach alter Väter Sitte. Jüdische Händler sind immer noch in der Mehrheit, aber seit Jahren verlieren sie Marktanteile an Inder und Chinesen.

Etwa 1.600 Diamantenfirmen wirken in Antwerpen: Schleifer, Schneider, Aufbereiter, Händler, Großhändler, Schmuckdesigner, Juweliere. 84 Prozent der Rohdiamanten weltweit werden hier gehandelt (Hauptproduzenten: Russland vor Kanada, Botswana und Kongo). Nur jeder zehnte wird zu Schmuck, die anderen braucht die Industrie: Diamant leitet sich vom griechischen adamas ab, zu Deutsch: der Unbezwingbare. Diamanten sind das härteste natürliche Gestein der Welt. Womit kann man alles schleifen, selbst Diamanten? Logisch, nur mit Diamanten.

Die schätzen unser ehrliches Essen, mit gefillte Fisch, natürlich

Mochi Hoffman, Imbissbesitzer

Fast 10.000 orthodoxe Juden und Jüdinnen leben im „Schtetl an der Schelde“, viele sind hier gestrandet auf der Flucht im 19. Jahrhundert aus Osteuropa, dann vor den Nazis, als sie keine Schiffspassage nach Übersee mehr bekamen und sich versteckten. Längst quirlt heute das multireligiöse Leben. Ein Imbiss lockt zu koscherer Pita, im jüdischen Restaurant Hoffy’s speisen, erzählt Patron Mochi Hoffman mit den Schläfenlocken, auch viele Muslime. „Die schätzen unser ehrliches Essen“, sagt er, „mit gefillte Fisch, natürlich.“ Zubereitet wird es in der Küche von zwei orthodoxen Kräften, zwei Belgiern und einer Muslima. „Und in Antwerpen“, sagt er noch, „spricht man das beste Jiddisch Europas.“

Johan van Dyck, heute 43, kannte alle Vokabeln der Biersprache. Jahrelang war er Marketingdirektor nebenan beim Branchenriesen Duvel-Bier. Dann blätterte er zufällig in einem Buch über vergessene Brauereien seiner Heimatstadt Antwerpen, weit mehr als hundert gab es bis Ende des 19. Jahrhunderts. Die meisten brauten Seefbier, las er, den „Champagner der Arbeiterklasse“. Seefbier? Niemand wusste mehr etwas davon. Pils überschwemmte damals auch Flandern mit konkurrenzlosen Preisen, industrialisiert hergestellt und deutlich länger zu lagern. Ein Fall von früher Globalisierung: Masse statt handwerklicher Feinarbeit.

Tipps

Anreise Mit ICE oder Thalys bis Brüssel Midi/Zuid, dann 40 Minuten per IC bis Antwerpen

Diamantenmuseum DIVA, Suikerrui 17, Do.–Di. 10–18 Uhr, www.divaantwerp.be

Rubenshaus Wapper 9–11, Di.–So. 10–17 Uhr, www.rubenshuis.be

Brauerei Seef Bier, Indiestraat 21, Mi.–So. 12–23/24 Uhr, www.seef.be

Café Zeezicht, Dageraadplaats 7–8, von 11.30 bis mind. 3 Uhr

Museum MAS (Museum aan de Stroom), Hanzestedenplaats 1, Öffnungszeiten: Museumssäle, Di.–So., 10–17 Uhr; Boulevard u. Panorama (frei zugänglich), Di. bis So., 9.30–22 Uhr, www.mas.be

Infos im Internet antwerpen.be, visitantwerpen.be, visitflanders.com

Van Dyck wühlte sich durch Archive, besuchte alte Brauerfamilien und Seniorenheime. Erfolglos. Bis er nach drei Jahren auf einem Dachboden in einem Schuhkarton den großen Treffer landete. Irgendwer, erzählt er, hatte ein Seef-Rezept handschriftlich notiert. Bei Brauereiwissenschaftlern der Uni Löwen wurde van Dyck in alten Hefebanken fündig, er kündigte den Job und startete die verblüffende Erfolgsgeschichte der Antwerpse Brouw Compagnie. Das neue Seefbier! Sieben Mal nahm man seit 2012 an Wettbewerben teil, schlechtestes Ranking: Platz 1. Also immer die Goldmedaille – auch beim World Beer Award in San Diego.

Die Brauerei ist einem renovierten Backsteinbau untergebracht, mit schickem Braucafé, im Innenhof ein Biergarten. Und dieses Seef schmeckt eher wie ein Weizen als ein Pils, fruchtig-frisch mit leicht rauchigem Abgang und Anflügen von Koriander und Ingwer. Tatsächlich: Next to Champagne! Der Diamant unter den Bieren.

Ein Display im Eingangsbereich des Diamond Centre kündigt das nächste Mitarbeiterseminar an: „Amok Briefing“. Die Terrorangst muss groß sein in der Hoeveniersstraat – die Kombination aus Judentum und dekadentem westlichem Prunk muss IS-Kommandos doch geradezu magnetisieren! Ach, sagt unsere Guide, die größte Sorge betreffe nicht Anschläge oder Überfälle, sondern ein banales Großfeuer. Seit einem Autobombenattentat 1981 mit drei Opfern ist hier nichts passiert.

Aber, sagt sie, alle seien sehr wachsam; Unbekannte, die auffällig tatenlos herumstünden, würden schnell überprüft. Sie weist auf die unscheinbaren Passanten hin, viele mit den Händen in den Hosentaschen: „Manche haben da schon ein paar Karat drin.“ Ein Karat entspricht 0,2 Gramm und kostet geschliffen in bester Qualität derzeit an die 30.000 Euro. Gesamtumsatz mit dem Qualitätslabel „cut in Antwerp“: 50 Milliarden im Jahr.

Ein Aufschrei des Entsetzens

Einen Cut anderer Art hat es vor zwei Jahren im Café Zeezicht, 15 Fußminuten vom Bahnhof, gegeben. In der alten Szenekneipe am lauschigen Dageraadplaats sind alle amerikanischen Produkte aussortiert. Als Donald Trump kam, haben die drei InhaberInnen Coke eliminiert, allen US-Whiskey, Chips, Heinz-Ketchup, selbst das Mineralwasser Chaudfontaine aus Lüttich – es gehört zu Coca-Cola, „und zuletzt waren es Tabasco-Sauce und Zigaretten“, wie Co-Owner Babs am Tresen erzählt. Und alles durch heimische Produkte ersetzt. „Es soll konsequent unsere Haltung ausdrücken, ein Aufschrei unseres Entsetzens über das, was dieser Mann sich leistet.“

Medien beidseits des Atlantiks hätten sich auf das Thema gestürzt, erzählt Babs, entzückt war sie von der Karikatur in der Gazet van Antwerpen mit Trump, der wegen Zeezicht wutschnaubend den roten Knopf drückt. „Es kam unglaublich viel Support, auch begeisterte Mails aus den USA“, erzählt sie, „und längst sind auch ein paar andere Kneipen in Belgien nachgezogen.“

Diamanten sind in Antwerpen allgegenwärtig. Für den kleinen Geldbeutel gibt es beim Juwelier den Mikroklunker mittlerer Qualität von 0,02 Karat für 39 Euro als „Souvenir-Diamant“. Im neuen DIVA, dem Diamantenmuseum, kann man edlere Pracht bestaunen: glitzernde Preziosen, die früher aus der Türkei, aus Japan, Ägypten und Indien im Hafen ankamen, besonders in den „goldenen Jahren“ im 16. und 17. Jahrhundert, als das reiche Antwerpen das Handelszentrum Europas war.

Das Museum, kaum von Männern besucht, hat der Innenarchitekt Gert Voorjans designt, der davor Mick Jaggers Anwesen gestaltet hat. Indirekt vertreten ist auch ein anderer Promi: der ehemalige Tennisprofi Ivan Lendl. Beim „Diamond Meeting“ in Antwerpen hatte man als PR-Gag für vier Siege in Serie einen diamantbesetzten Tennisschläger aus sechs Kilogramm Gold ausgelobt, weil man dachte, das gelingt eh niemandem. Lendl quadruplesiegte und hat das protzige Racket dann dem Museum gestiftet.

Antwerpen ist vollgestellt mit Geschichte. Die riesige Kathedrale zum Beispiel gleich neben dem Alten Markt mit Rathaus, Gildehäusern und dem Brunnen des Stadthelden Balbo beim Schleudern einer Hand, die er dem Riesen Drago abgehackt hatte. Von diesem Handwerfer soll sich, so die Stadtlegende, der Name Antwerpen ableiten.

Essen im besten Restaurant

Fast bankrott werden kann man beim vielgängigen Menü im besten Restaurant der Stadt, dem t’Zilte mit seinen zwei Michelin-Sternen und neun krusprigen Brotsorten als Entrée beim Lunch.

Dieses t’Zilte residiert im 8. Stock des MAS, dem Museum aan de Stroom, ein auf den ersten Blick nüchterner Klotz gleich an der Schelde. Ein halbes Dutzend Ausstellungen beherbergt der senkrechte Schuhkarton, alle sind umsonst – und wer erst nach 17 Uhr die Wandelgänge rund um die Räume umherstreift, stößt auf Lockvögel: Ein belgischer Fotograf hat gerade barocke Motive inszeniert, daraus wandfüllende Riesenbilder gemacht – und in jedes einen kleinen Fehler eingebaut: mal eine winzige Steckdose unterm stilechten Stillleben, eine Sonnenbrille, ein verstecktes Stück Plastik oder Folie. Fotokunst für Detektive.

Am nördlichen Ende der Halbmillionenstadt ist der deutlich größte Diamant Antwerpens zu sehen. Hier, vor den ersten Ausläufern des gigantischen Hafens, hat die irakische Stararchitektin Zara Hadid auf das alte Hafen-Verwaltungsgebäude ein kühnes schräges Etwas gebaut. Es hat die Form eines Diamanten, der im Sonnenlicht blinkt und blitzt. 500 Menschen haben hier innerdiamantene Arbeitsplätze gefunden (Besichtigung nur für Gruppen, nur mit Voranmeldung).

Beim kleinen Originalklunker schwingt immer Verdacht mit: Stichworte Blutdiamanten, Konfliktdiamanten. In den Minen, besonders in Afrika, schuften oft Zwangsarbeiter, Kinder oder Kriegsgefangene. Das weltweite Kimberley-Abkommen will Missbrauch beenden. Danach müssen alle Steine einen Herkunftsnachweis haben.

Naja, sagen andere Kenner hier in Antwerpen. Auch mit Zertifikaten könne man handeln, illegal. Und sie anderen Steinen zuordnen, Blutdiamanten womöglich, die aus Bürgerkriegsländern kommen. Und besonders öko ist das Diamantenschürfen wahrlich nicht. Halbe Berge müssen abgetragen werden, gigantische Löcher ausgehoben, unter erbärmlichen Bedingungen oft. Faustregel: Um 1 Karat zu gewinnen muss man 20.000 Tonnen Erde umgraben.

Ein Rubens-Fan

Man kann in Antwerpen auch das Glück haben, Ben van Beneden kennenzulernen, den Direktor des Rubenshauses. Der 62-jährige Erbverwalter des großen Peter Paul Rubens platzt fast vor Hingabe: „Das ganze Gusto, Rubens’ präzises Wissen, der unbändige, kraftvolle Drive in ihm und in seiner Kunst, da schießt einem doch heute noch das Blut durch den Körper.“ Rubens (1577–1640), der von vielen, vornehmlich Männern, auf vollbusige „Rubensfrauen“ reduziert wird, war Kosmopolit und als Diplomat in Europa unterwegs, er bildete Lehrlinge des Pinselstrichs aus, hatte gieriges Interesse an der Wissenschaft, er war Kunstsammler, vielsprachig sowieso, bei ihm trafen sich die anderen Meister der Zeit.

Ein enger Oneway-Rundgang im engen alten Rubens-Atelier mit seinen hohen, dunklen Holzdecken und knarzenden Treppen lassen sich neben einigen Rubenswerken Bilder von Zeitgenossen bestaunen: Brueghel, van Dyck, Jordaens und Tintorettos Engel von Jacopo, ein Geschenk aus dem Nachlass von David Bowie. Van Beneden kommt auf ein Porträt zu sprechen, das Rubens von seiner Frau gemalt hat: „Ihr Blick, ihr Fleisch, und sie ist ja fast nackt. Diese schiere Tiefe, die alles sprengt. Es ist einfach fan-tas-tisch.“

Sorry, aber wer so schwärmt von einer vor Jahrhunderten gemalten Dame, was kann der noch zu seiner Frau sagen? Ben van Beneden lächelt: „Dich, habe ich zu ihr gesagt, dich hätte Rubens malen sollen.“

Das übertrumpft wohl noch jedes schnöde Diamantengeschenk.

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