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Brexit und die Zukunft GroßbritanniensEine englische Erfindung

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Der Brexit müsste eigentlich Eexit heißen. Denn Schotten, Waliser und Nordiren möchten mehrheitlich in der Europäischen Union bleiben.

Die Schotten machen sich auf und davon. Erstmal nicht ins All aber vermutlich in die Unabhängigkeit Foto: dpa

D ie Europäische Union und Irland wollen mit der britischen Regierung reden, aber sie schätzen die Aussichten auf einen Deal als gering ein. Der britische Premierminister Boris Johnson hat zum ersten Mal eine konkrete Alternative zum irischen Backstop vorgelegt. Dieser Notfallplan sah vor, dass Großbritannien in der Zollunion und Nordirland quasi im Binnenmarkt bleiben sollte. Damit wäre eine harte Grenze in Irland vermieden worden. Das britische Parlament sagte jedoch Nein.

Laut Johnsons Vorschlag soll Nordirland zwar im Binnenmarkt bleiben, aber die Zollunion gemeinsam mit dem Rest des Vereinigten Königreichs verlassen. Wie aber will man Zölle erheben, ohne eine Grenze zwischen Irland und Nordirland zu errichten? Johnson behauptet, das ließe sich durch Anmeldung von Waren vor dem Grenzübertritt, durch Untersuchungen auf den Firmengeländen der Händler oder durch Technologie regeln. Würde das funktionieren, dann hätte man es längst auf den Tisch gebracht. Doch die Technologie, um eine virtuelle Grenze ohne physische Grenzkontrollen sichern zu können, gibt es bisher nicht.

Darüber hinaus soll die Vereinbarung von der Zustimmung der nord­irischen Regionalregierung abhängen, die alle vier Jahre ihr Plazet geben müsste. Doch erstens gibt es diese Regierung seit mehr als zweieinhalb Jahren nicht, weil sich die Koalitionspartner, die für die Union mit Großbritannien eintretende Democratic Unionist Party (DUP) und die für eine irische Vereinigung eintretende Sinn Féin, zerstritten haben. Und zweitens wäre das genau der befristete Backstop, den die Dubliner Regierung stets abgelehnt hat.

Die EU reagierte diplomatisch, weil man sich nicht die Schuld an einem Scheitern zuschieben lassen will. Denn darum geht es Johnson. Er weiß, dass sein Vorschlag für die EU höchstens eine Basis für Gespräche, aber nicht für einen Deal ist. Johnson steuert in Wirklichkeit auf einen harten Brexit am 31. Oktober zu, auch wenn sich das Parlament für eine erneute Verlängerung der Ausstiegsfrist entschieden hat.

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Der Brexit ist eine englische Erfindung, korrekt müsste er Eexit heißen. Schotten, Nordiren und Waliser haben mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Zwar hat Wales mit 52 Prozent für den Brexit votiert, aber es waren die englischen Rentner, die dafür gesorgt haben, wie eine Untersuchung von Professor Danny Dorling von der Universität Oxford festgestellt hat. Der Vorsprung für Brexit betrug lediglich 82.000 Stimmen. In Wales leben rund 650.000 Engländer, mehr als ein Fünftel der Bevölkerung, ein Viertel davon über 65. In den Gegenden, wo Walisisch gesprochen wird und wo sich nur wenige Engländer angesiedelt haben, gab es eine deutliche Mehrheit für den Verbleib in der EU.

Die Union spielt für Brexit-Befürworter, Tory-Wähler und Tory-Parteimitglieder keine Rolle, auch wenn ihre Partei offiziell Conservative and Unionist Party heißt. Laut Umfragen würden sie, ohne mit der Wimper zu zucken, das Auseinanderfallen des Vereinigten Königreichs als Preis für den Brexit in Kauf nehmen. Und genau das wird bei einem harten Ausstieg wohl passieren. Die schottische Regionalregierung der Scottish Natio­nal Party (SNP) will schon nächstes Jahr ein neues Unabhängigkeitsreferendum anberaumen, und die irische Vereinigung würde dadurch beschleunigt.

Johnson hat sich vorigen Monat zum Minister für die Union ernannt. Solch einen Posten gab es bisher nicht. Dass man ihn geschaffen habe, sei ein sicheres Zeichen dafür, dass diese Union in Schwierigkeiten stecke, schreibt der politische Kommentator Fintan O’Toole. Johnson hat 10 Millionen Pfund zur Verfügung gestellt, um die Union zu stärken. Für die Vorbereitungen auf einen harten Brexit will er 8,3 Milliarden Pfund ausgeben.

„10 Millionen, um die Union zu erhalten, 8,3 Milliarden, um sie zu zerstören“, stellt O’Toole fest. Deutlicher könne man seine Prioritäten nicht ­setzen.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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10 Kommentare

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  • Seht geehrter Herr Sotschek,

    vielen Dank für Ihren Artikel! Nachdem man in der taz schon Verunglimpfungen der Demonstrant/inn/en lesen musste, die gegen die verfassungsfeindliche Suspendierung des Parlaments auf die Straße gegangen waren, ist diese kritische Perspektive suf den Brexit eine willkommene Abwechselung.

  • Schauen Sie sich dieses kurze Video an:



    "Brexit from an Irish perspective" - es spricht der ehem. irische Botschafter in London, Dáithí O’Ceallaigh am 21. February 2018 im Wales Governance Centre at Cardiff University.



    Beide Ökonomien sind so eng vernetzt, verwoben, Briten sind wie Bürger in Irland und Iren sind wie Bürger in England, es hat sich so viel verbessert in den letzten 40 Jahren.



    Das Karfreitagsabkommen 1998 wurde wesentlich von Michel Barnier auf EU-Seite mitausgehandelt und die EU hat den Friedensprozess finanziell stark unterstützt.



    Es macht für die meisten Iren, Nordiren, Walisen und Schotten keinen Sinn, mit dem Brexit alles kaputt zu machen.



    1. Ein Grenzwachposten an der Nordirischen Grenze zu Irland: würde erschossen.



    2. Eine EU-Grenze zwischen Nordirland und England wird von den Unionists in Westminister verhindert.



    3. Mit einem Brexit wird das BIP Irlands um 8% sinken



    4. das der Englischen Engländer auch - aber Nationalismus ist wichtiger!



    www.youtube.com/watch?v=dmjTPr8j5p4

  • Das in diesem Artikel aufgezeigte Szenario eines Auseinanderbrechens von "Groß-Britannien" halte ich auch für wahrscheinlich.



    Wenn es einen harten Brexit geben sollte und es danach wirtschaftlich bergab gehen sollte in England, dann halte ich auch Unruhen und Aufstände für wahrscheinlich.



    Wenn Leute, die sowieso schon am unteren Rand der Gesellschaft rangieren (und so eine "Unterschicht" gibt es in England, und die ist nicht klein) das Gefühl bekommen, nach Strich und Faden betrogen worden zu sein und ihre letzten "Felle davonschwimmen" sehen, dann könnten sie durchaus zur Gewalt neigen.

    B. Johnson halte ich nicht für einen weitsichtigen Politiker, der solch einer Entwicklung vorbeugen könnte oder auch nur wollte.



    Im Moment macht in England eine kleine Elite eine Politik, die nur zu ihren eigenen Gunsten ausfällt, wobei ich fürchte, dass sie sie auch in diesem Punkt irren und verschätzen.



    Am Ende sehe ich alle als Verlierer.

    • @jlMG:

      Ja so ist es.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Kommentar aus dem Guardian von



    Joris Luyendijk:

    ""Es ist wichtig, zwischen den rechten Zeitungen und den Politikern, die in Großbritannien Hass erregen, und dem Rest des Landes zu unterscheiden.

    Die EU muss Irland schützen und sicherstellen, dass, wenn sich das Vereinigte Königreich für die No-Deal-Katastrophe entscheidet, nach der sich so viele seiner führenden Politiker und Veröffentlichungen sehnen, es dem Rest der Welt klar ist, wer die Schuld trägt.

    Denn der Brexit (eigentlich England exit) ist etwas, was Großbritannien seinen europäischen Nachbarn antut, nicht umgekehrt. Seit Jahren vergiftet sich ein entscheidender Teil des britischen Establishments und der Wähler mit Lügen, Wahnvorstellungen und der Dämonisierung aller, die eine andere Meinung über die Mitgliedschaft in der EU haben. Diese Menschen wollen sich von einer Klippe stürzen und ihr Land mitnehmen. Es ist ein zutiefst schmerzhafter Prozess, besonders für diejenigen, die wissen, dass ein anderes Großbritannien möglich ist.

    Leider kann die EU kein Land retten, das sich nicht selbst retten will.""

    ==

    Wie würde Europa heute dastehen wenn es die Katastophen der letzten Jahrhunderte, insbesondere die letzten von 1918, 1933 und 1939 nicht verinnerlicht und Lehren daraus gezogen hätte?

    Das Problem der EU an diesem Anspruch gemessen ist ja nicht nur das die EU die EU27 Staaten schützt - sondern der Anspruch der EU ist es auch in dieser Situation der Verwerfungen in Großbritannien politisch so zu agieren, das die EU Großbritannien möglichst vor sich selber schützt - und ansonsten den Ball flach hält.

    Wenn die Europäische Union diesen Spagat schafft hat sie gewonnen - endgültig.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""10 Millionen, um die (britische) Union zu erhalten, 8,3 Milliarden, um sie zu zerstören“"

    ""Schotten, Nordiren und Waliser haben mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Zwar hat Wales mit 52 Prozent für den Brexit votiert, aber es waren die englischen Rentner, die dafür gesorgt haben,....""



    ==



    Brexit der genauer betrachtet ein England-Exit ist, wobei bei dieser genaueren Definition hinsichtlich dessen, was in UK eigentlich passiert, auch der Großraum London und weitere Städte und Regionen in England aus der Summe der Exit Entscheidungen heraus genommen werden müßten - weil diese eindeutig für einen Verbleib in der EU gestimmt haben.

    Wer bleibt dann übrig - außer den über 60jährigen, die für einen Brexit in großer Anzahl gestimmt haben?

    Das sind Regionen wie Hartlepool - die aufgrund von Thatchers De-Industrialisierungspolitik 10.000 Arbeitsplätze verloren haben - und lange Zeit mit 30% Arbeitslosigkeit die Statistik anführte.

    Wales ist abhängig von der Airbus Industrie und vom Verkauf landwirtschaftlicher Produkte in die EU - Schottland hat aufgrund mehrerer Untersuchungen festgestellt, das ein Brexit zweistellige Einbussen im BIP bedeuten würde - und in NI droht ein abruptes Ende des Friedensprozesses falls ein Brexit umgesetzt werden würde, der NI stärker von der Republik und von der EU abspaltet - abgesehen davon, das dort nur eine Minderheit für einen Exit gestimmt hat.

    Unbestritten ist auch das die Idee eines Brexits aus den Niederungen der ehemals konservativen englisch dominierten Tory Partei stammt - und die Idee des Brexits werden von den regionalen Parteien wie Plaid Cymru, SNP, Sinn Fein aber auch von unionstischen Parteien in Nordirland, mit Ausnahme der DUP, vehement politisch bekämpft.

    Was die rechtspopulistischen Parteien nicht kapieren:

    Brexit ist eine todsichere Zeitbombe für die Zerstörung der britischen Union - und die EU ist die Klammer, die den Laden zusammen hält.

  • Danke Ralf!



    .



    Im Gegensatz zu deinem Kollegen gestern beschränkst du dich selbst im Kommentar "auf nachprüfbare Fakten.



    .



    Gruss Sikasuu

  • Klare Ansage. Endlich. Danke.

    • 8G
      86970 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Deutlich.



      Deprimierend.



      Dennoch: dito Danke!

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Dito.