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Ausstellung zu Aktivismus gegen HIVDie Krise, die Energien freisetzte

Im Schwulen Museum* erzählt „HIVstories. Living Politics“ vom Aktivismus gegen HIV/Aids in Polen, England, der Türkei und Deutschland.

Dieser Mann protestiert in Bogota gegen die Verbreitung des HI-Virus Foto: ap

Als das Berliner Schwule Museum* im Jahr 1985 gegründet wurde, war Aids gerade voll im Westteil der Mauerstadt angekommen: Die Angst ging um in der schwulen Szene, völlig zu Recht, denn es waren (und sind) in Deutschland vor allem Männer, die Sex mit Männern haben, die sich neben Prostituierten, DrogennutzerInnen und BluterInnen mit dem HI-Virus infizierten.

1985 gab es erstmals einen verlässlichen Aids-Test, und immer mehr Menschen wurden positiv getestet; ob Kondome wirklich schützen, war noch umstritten. Der Rest ist, so könnte man sagen, Geschichte: Die Aids-Hilfe wurde gegründet, übrigens nicht von linken AktivistInnen, sondern von engagierten Szenegängern und einer Krankenschwester, und erarbeitete zusammen mit der dem Bundesgesundheitsministerium zugeordneten Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZfgA) eine Informations- und Aufklärungskampagne.

Die Kondome schützten tatsächlich, und seit 1996 ist eine HIV-Infektion zwar nicht heil-, aber doch gut behandelbar, die Krankenkassen zahlen neuerdings sogar die Kosten für eine Prä-Expositions-Prophylaxe, Tabletten, die ein Eindringen des Virus in den Körper verhindern.

Unendlich viele Geschichten

Das Ende der Geschichte? Keineswegs. 28.100 Menschen starben in Deutschland seit Beginn der Epidemie. Die Geschichte von Aids gehört hierzulande nach wie vor keineswegs zum Mainstream der Erzählung.

Die Ausstellung

Die Ausstellung im Schwulen Museum* ist bis zum 11. November 2019 zu sehen. Im Laufe des Jahres 2020 wird sie nach Istanbul, Krakau und London reisen.

Die Ausstellung „HIVstories. Living Politics“, die derzeit im Schwulen Museum* zu sehen ist, hat sich zur Aufgabe gemacht, eine andere als die „gängige Erfolgsgeschichte vom Kampf gegen HIV“ zu erzählen, und zwar aus europäischer Perspektive: Am Beispiel von Inhaftierten in Deutschland, Drogen-Nutzer*innen in Polen und der Aktivismus-Szene in Großbritannien und in der Türkei widmet sich „HIVstories. Living Politics“ den Verflechtungen und Wechselwirkungen von Aktivismus und staatlicher Politik.

Gezeigt werden Videointerviews, Artefakte und Kunstwerke, die im Rahmen des dreijährigen Forschungsprojekts „European HIV/AIDS Policies: Activism, Citizenship and Health“ (Europach) gesammelt wurden, koordiniert von Heiner Schulze, Vorstandsmitglied im Schwulen Museum* (SMU). All das veranschaulicht, dass es nicht die Geschichte von Aids gibt, sondern unendlich viele Geschichten.

Zu wenig Kondome und saubere Spritzen

So liegt der Fokus bei Deutschland, also einem Land mit einem bereits frühzeitig staatlich inkorporierten Aids-Aktivismus, auf dem Thema HIV/Aids in Gefängnissen – zum Beispiel dem Bemühen von Aids-Hilfen und Knast-AktivistInnen um die niedrigschwellige Bereitstellung von Kondomen und sauberen Spritzen. Das ist ein Problem, das skandalöserweise bis auf den heutigen Tag virulent ist, eben auch in deutschen Gefängnissen, in denen es Drogenkonsum (und Sex unter Männern) offiziell nicht gibt.

Besonders anregend ist in der Tat die europäische Perspektive: Das Beispiel Großbritannien erinnert noch stark an die Geschehnisse in Deutschland, eine gerade erst emanzipierte Schwulenszene kämpft angesichts existenzieller Bedrohung um ihren Fortbestand.

In der Türkei hingegen steigen die Neuinfektionsraten

Doch die Artefakte in der polnischen Sektion und entsprechende Interviews mit ZeitzeugInnen, die man über Kopfhörer erleben kann, erzählen etwas ganz anderes: Polen war durch seine Isolation bis zur „Wende“, ähnlich der DDR, vergleichsweise geschützt vor dem HI-Virus. Die Auseinandersetzung mit HIV/ Aids fiel dann in eine Zeit, in der sich demokratische Öffnung und ein wiedererstarkender katholischer Einfluss verschränkten, AktivistInnen stießen auf entsprechenden Widerstand.

Dennoch sind die Neuinfektionsraten in Polen im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern gering. In der Türkei hingegen steigen sie aus einer Vielzahl von Gründen seit einigen Jahren eklatant an, einer davon ist die unter der AKP-Regierung mangelhafte Gesundheits- und Aufklärungspolitik. Im historischen Rückblick wird hier verstärkt auf die Rolle von Trans-Sexarbeiter*innen verwiesen, die im Rahmen der Aids-Krise bereits 1987 öffentlich für ihre Rechte eintraten.

Wut und Leidenschaft

Ein Hingucker ist die in der Sektion Europa gehängte Sammlung von „Badges“, an Bändern befestigte und in Klarsichthüllen verpackte Akkreditierungsbestätigungen des ungarischen Aids-Aktivisten und Funktionärs Tamás Bereczky. Er übt Kritik am längst professionalisierten europäischen Aktivismus und beklagt, dass die Verbindungen zur Frühzeit des Aktivismus längst abgerissen seien. Be­reczky vermisst Emotionen, Wut, Leidenschaft.

Und so ergeht es wohl auch den Austellungsmacher*Innen, die in weiten Teilen einem akademischen Umfeld entstammen, das ohne die Aids-Krise so womöglich gar nicht existieren würde, den Queer- und Gender-Studies. Sie erklären: „‚HIVstories‘ lädt dazu ein, das dominante Narrativ von der Geschichte und Gegenwart des HIV-Aktivismus aufzubrechen und sich auf Geschichten von den gesellschaftlichen Rändern einzulassen.“ Es ist auch der Versuch, einen revolutionären Funken zu schlagen aus einer einst existenziellen Krise, die zugleich ungeheure Energien freigesetzt hatte.

Zur Eröffnung von „HIVstories. Living Politics“ fand zudem eine gleichnamige internationale Konferenz der Humboldt-Universität Berlin statt. Dort wurden die Themen, Motive und Bilder der Ausstellung analysiert und diskutiert, wie zivilgesellschaftliches Engagement und Aktivismus in den Hochzeiten der Epidemie mit öffentlicher Politik interagierten und den Umgang mit HIV/Aids bis heute prägen. So besteht womöglich Hoffnung, dass dem Thema in Zukunft noch mehr Raum zur Verfügung gestellt wird.

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