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„Man fängt an, mit Vögeln zu sprechen“

Marieke Holthusen und Björn Aabye aus Stade haben sich in Norwegen ein Segelboot gekauft, auf dem sie seit mehr als drei Jahren wohnen. Jetzt sind sie aufgebrochen, um die Welt zu bereisen

Interview Jana Hemmersmeier

taz: Frau Holthusen, Herr Aabye, wie lange träumen Sie schon davon, um die Welt zu segeln?

Marieke Holthusen: Björn hat wahrscheinlich schon als kleines Kind davon geträumt. Seit ich ihn kenne, kam das immer mal auf.

Björn Aabye: So richtig hat es mit Jenny und Randy angefangen.

Marieke Holthusen: Genau. 2011 saßen wir im Sturm in Neuseeland im Hostel fest. Da haben wir die beiden getroffen, Segler aus Amerika. Bei ihnen habe ich zum ersten Mal auf einem Boot geschlafen. Ich hatte immer gedacht, das machen nur total reiche oder total verrückte Menschen.

Björn Aabye: Unser Boot haben wir 2015 gekauft. Wir haben es ein halbes Jahr auf dem Land repariert und im November ins Wasser gelassen. Unsere Wohnung haben wir gekündigt und sind auf das Boot gezogen, um uns damit vertraut zu machen und Miete zu sparen.

Sie haben damals in Norwegen gelebt, ihr Boot lag dann im Oslo-Fjord in einem Hafen.

Björn Aabye: Der Hafen war wie ein eigener Stadtteil. Da waren knapp 20 Boote registriert, mit etwa 30 Bewohnern. Das war ein Gegensatz zur Mietwohnung vorher, wo wir eigentlich gar keinen Kontakt zu den Nachbarn hatten. Wir haben ständig zusammen gefeiert, waren Ski laufen.

Marieke Holthusen: Wir haben alles zusammen repariert. Das war ein ganz anderer Zusammenhalt.

Im Hafen waren Sie offiziell gemeldet?

Marieke Holthusen: Wir haben immer noch eine Meldeadresse bei einem Kumpel. Das System ist nicht dafür gedacht, dass man auf dem Boot wohnt. Aber ich denke, das wird sich ändern.

Björn Aaybe: Ja, weil es in Norwegen immer populärer wird. Im vergangenen Winter musste der Hafen im Winter Boote abweisen, weil er voll war.

Welche Leute wohnen da?

Björn Aabye: Vom Student bis zur Rentnerin, vom alleinstehenden Segler bis zu kleinen Familien. Manche wollen wie wir das Geld sparen, um auf Reisen zu gehen, aber andere machen es auch aus rein praktischen Gründen.

Ist es Ihnen schwer gefallen, Ihr Leben in Norwegen zurückzulassen?

Marieke Holthusen: Ja. Das hätte ich wirklich nicht gedacht. Ich bin Floristin und habe in einem Blumenladen gearbeitet. Nach sechs Jahren in Norwegen hatten wir uns gerade alles aufgebaut, da war es schon komisch, wieder auf ein großes Abenteuer zu gehen. Aber das war auch ein schönes Gefühl, weil es ja bedeutet, dass es uns gut ging.

Björn Aabye: Ja, es war eine schöne Zeit, und Norwegen war richtig cool. Aber für mich war es mit das Schönste, mit einem großen Grinsen meine Kündigung einzureichen. Nach fünf Jahren fällt mir meistens die Decke auf den Kopf. Ich habe auch schon meinen Job gewechselt, vom Bootsbauer zum Tischler. Irgendetwas muss sich dann verändern, auch das Umfeld. Das ist der Drang nach was Neuem.

Wie sieht es auf Ihrem Boot unter Deck aus?

Björn Aabye: Das Boot ist wie ein Tiny House. Alles ist durchdacht. Der Herd ist beispielsweise aufgehängt, der schwingt mit, damit die Töpfe beim Segeln nicht runterfliegen.

Marieke Holthusen: Wir haben so viel Liebe reingesteckt. Fast alles ist selbst gemacht oder gebraucht gekauft. Jetzt ist es warm und gemütlich. Wirklich unseres. Im Wohnzimmer haben wir Wolldecken und Kissen, wir haben eine Gitarre dabei, ein Didgeridoo und ganz viele Bücher.

Geht man sich in der Enge nicht auf die Nerven?

Marieke Holthusen: Wir kennen uns schon so lange, dass wir merken, wenn einer mal Ruhe braucht. Wir können unter Deck in der Mitte auch eine Tür zumachen, das ist für unsere Bootsgröße nicht selbstverständlich. Für uns zwei klappt das super. Wenn wir für ein paar Tage Besuch haben, kommt das darauf an. Wir hatten mal einen Kumpel da, der hat drei Wochen bei uns gewohnt.

Björn Aabye: Auf Reisen haben wir schon im Zelt gewohnt oder im Kofferraum. Da kommt uns das Boot jetzt wie ein Schloss vor.

Wie stemmen Sie die Reise finanziell?

Marieke Holthusen: Wir haben superhart gespart. Eigentlich wollten wir noch mehr sparen, aber jetzt wollten wir einfach los. Wir reisen eben Low Budget, das ist uns eh am liebsten. Für ein Jahr sollte es erst mal reichen. Wenn sich unterwegs etwas anderes ergibt, sind wir dafür aber auch offen.

Björn Aaybe: Wir haben im letzten Hafen Kanadier getroffen, die genauso wie wir für ein oder zwei Jahre losgesegelt sind. Jetzt sind sie schon 31 Jahre unterwegs.

Haben Sie schon realisiert, dass Sie jetzt erst mal ein Jahr lang raus sind?

Marieke Holthusen,30, gelernte Floristin aus Stade, und Björn Aabye,32, gelernter Bootsbauer aus Stade, wohnen seit drei Jahren auf einem Segelboot. Im Sommer brachen sie zu einer Weltreise auf.

Marieke Holthusen: Es war irgendwie so natürlich, dass wir das jetzt machen. Das hatte ich gar nicht so erwartet.

Björn Aabye: Es gab eigentlich drei Schritte. Der erste, unseren Fjord in Norwegen zu verlassen. Der zweite, in Stade und Hamburg Freunde und Familie zu sehen. Aber der letzte Schritt war jetzt die Biskaya. Wegen der Windrichtungen geht es jetzt eigentlich gar nicht mehr zurück. Wir müssen hier unten bleiben, bis der Sommer kommt und sich das wieder beruhigt.

Das macht Ihnen keine Angst?

Björn Aabye: Nee, wir waren ja auch schon ein paar Mal reisen. Wir haben uns über Jahre intensiv vorbereitet und wissen ziemlich genau, was kommt.

Das heißt, einen ungefähren Plan haben Sie schon?

Marieke Holthusen: Wir haben von Spanien aus zwei Möglichkeiten für die nächsten Monate. Die eine wäre, ins Mittelmeer zu gehen. Unser Favorit ist aber gerade, den Atlantik zu überqueren.

Wie lange wären Sie dann unterwegs?

Marieke Holthusen: Knapp vier Wochen.

Wie es weitergeht, entscheiden Sie immer erst im nächsten Hafen?

Björn Aabye: Wir hatten geplant, erst mal bis Portugal zu fahren und dann zu entscheiden, weil wir so eine Reise noch nie gemacht haben. Aber alles funktioniert ganz gut, insofern steht dem Atlantik nichts mehr im Wege. Dort kommt es dann auf die Reisekasse an, ob wir durch den Panamakanal segeln oder langsam zurück müssen. Eine Möglichkeit wäre auch, das Boot liegen zu lassen und drei oder vier Monate zu arbeiten. Wir haben auf dem Atlantik ja einen Monat Zeit, um einen Plan zu schmieden.

Marieke Holthusen: Man weiß auch nur grob, wie es mit den Winden ist. In welchen Hafen wir genau einlaufen, liegt häufig auch am Wetter.

Haben Sie oft Kontakt Hause?

Björn Aabye: Wir schreiben schon viel, schicken ganz viele Bilder. Solange wir in europäischen Gewässern sind, haben wir auch Internet auf dem Schiff. Da kann man ganz gut in Verbindung bleiben, aber ab der Karibik ist das dann aus.

Marieke Holthusen: Dann gibt es nur noch ab und an mal eine Mail.

Björn Aabye: Oder eine Flaschenpost.

Wo ist Ihr Zuhause?

Björn Aabye: Auf dem Boot, wo auch immer es gerade ist.

Marieke Holthusen: Zuhause ist da, wo ich aufgewachsen bin. Aber es ist eben auch das Boot. Manchmal vermisse ich das eine, wenn ich im anderen bin, und umgekehrt. Zuhause ist nicht mehr so einfach definiert, unsere Heimat in Norwegen ist auch noch dazugekommen.

Haben Sie schon Pläne für danach?

Marieke Holthusen: Wir haben beide unseren Job in Norwegen schon wieder angeboten bekommen. Ob wir das annehmen, halten wir gerade offen. Es kann gut sein, dass es zurück nach Norwegen geht. Ich hätte aber auch nichts dagegen, wieder nach Norddeutschland zu kommen.

Björn Aabye: Für mich ist das noch in so weiter Ferne, dass ich darüber noch gar nicht nachgedacht habe. Ich hoffe, dass wir unterwegs Arbeit finden und die Reise ein bisschen hinauszögern.

Verändert Sie die Reise persönlich?

Björn Aabye: Wir achten viel intensiver darauf, was alles ins Meer gelangt. Jetzt kaufen wir eben keine Abwaschbürsten mit Plastikstielen mehr.

Marieke Holthusen: Wir sind auf dem Boot total von der Natur abhängig. Ich hoffe, dass ich dadurch entspannter werde und die Dinge so nehme, wie sie kommen, gerade das Wetter. Auf jeden Fall fühle ich mich mehr eins mit der Natur und dem Wasser.

Wird man da nicht auch ein bisschen verrückt?

Marieke Holthusen: Natürlich ist es auch lustig. Wenn man drei Tage keine Menschen sieht, fängt man an, mit Vögeln zu sprechen.

Björn Aabye: Oh je.

Marieke Holthusen: Da taucht ein Wal neben mir auf, und ich sage ihm etwas. Auf jeden Fall können wir stundenlang in verrückte Erzählungen abschweifen, wenn wir wieder da sind.

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