Studie Klimaneutral leben in Berlin: „Was brauche ich zum Leben?“
Ein Jahr lang hat Mechtild Lutze mit dem Ziel eines möglichst niedrigen CO2-Verbrauchs gelebt. Materiell habe es ihr an nichts gefehlt, sagt sie.
taz: Frau Lutze, bedeutet klimaneutral zu leben Verzicht?
Mechtild Lutze: Einschränken, verzichten: Mich stört, dass die Begriffe immer so negativ besetzt sind. Es geht darum, die Sichtweise zu verändern. Was brauche ich zum Leben? Muss ich wirklich immer alles kaufen?
Sie gehören zu den 100 Berliner KliB-Haushalten, die ein Jahr lang versucht haben, klimafreundlicher zu leben. Warum haben Sie mitgemacht?
Ich habe schon vorher umweltbewusst gelebt. Ich lebe allein, habe kein Auto, fahre Fahrrad, kaufe fast nur in Bioläden, bevorzugt regionale Produkte. Mich hat interessiert, wie sich das auswirkt: Wo stehe ich mit meinem CO2-Fußabdruck?
Der Bundesdurchschnitt liegt pro Person bei 11,6 Tonnen CO2. Die KliB-Haushalte haben im Durchschnitt nur 7,7 Tonnen verbraucht, Sie haben diesen Wert sogar unterschritten. Wie haben Sie das gemacht?
Alle Teilnehmer haben ihren Verbrauch wöchentlich mit einem CO2-Klimarechner dokumentiert. Zum Vergleich war bereits der Vorjahresbrauch ermittelt worden. Schon da lag der Durchschnittswert bei 8,7 Tonnen, also 25 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Mein Vorjahresverbrauch lag sogar bei nur 5,63 Tonnen. Ausgestiegen bin ich dann mit 4 Tonnen. Dass ich schon lange Ökostrom beziehe, ist stark ins Gewicht gefallen. Das heißt, mein Strom-CO2-Fußabdruck ist null.
Mechtild Lutze
62, Diplomsoziologin, arbeitet in einer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung. Sie lebt in einer 48-qm-Wohnung im wärmegedämmten Altbau.
Strom und Heizung wurden in der Studie unter dem Posten „Wohnen“ subsumiert.
Während der Versuchsphase habe ich entdeckt, dass es auch CO2-neutrales Gas gibt. Ich habe meine Heizung daraufhin umgestellt. Vorher lag ich beim Heizen bei einem Wert von 0,71 Tonnen, danach bei 0,51. Den größten Einspareffekt habe ich allerdings beim Posten Konsum erzielt. Alles außer Ernährung ist darin enthalten, Kleidung, Möbel, Bücher und Ausgehen.
Was haben Sie anders gemacht?
In dem ganzen Jahr habe ich mir nur zwei Kleidungsstücke gekauft, und die auch noch secondhand. Mein CO2-Wert beim Konsum ist um eine Tonne gefallen: von 2,76 auf 1,76 Tonnen. Herstellung und Transport von Konsumgütern verschlingen ja Unmengen von CO2. All das haben wir mit dem Klimarechner ja auch berechnet.
Das Projekt Ein Jahr lang haben über 100 Berliner Haushalte versucht, ihren CO2-Verbrauch zu reduzieren. Das geht so: mehr Gemüse und weniger Fleisch essen, öfter mit dem Rad, dem öffentlichen Nahverkehr und dem Zug fahren, die Wohnung von einem Energieberater checken lassen, auf Grünstrom umstellen. Klimaneutral leben in Berlin (KliB) fand 2018 unter Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) statt.
Der CO2-Ausstoß liegt im Bundesdurchschnitt bei 11,6 Tonnen pro Kopf. Die an KliB beteiligten Haushalte lagen mit durchschnittlich 8,7 Tonnen – für das Jahr 2017 rückwirkend ermittelt – schon zu Projektbeginn darunter. Ein Jahr später waren sie bei 7,7 Tonnen. Alle hatten sich freiwillig gemeldet, viele schon vorher umweltfreundlich gelebt. Manche hatten aber auch mit 20 Tonnen begonnen. Ein Grund dafür, dass das Projekt rund 25 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt startete, ist das hiesige gute Nahverkehrssystem. Hamburg und München dürften ähnlich gut dastehen, vermutet Fritz Reußwig, Leiter des KliB-Projekts. Großstädter können leichter auf das Auto verzichten. Auch Ökostrom ist in Berlin verbreiteter als auf dem Land. Maluspunkt: Die Berliner fliegen mehr als der Bundesdurchschnitt.
Und nun? Das Projekt soll auf 50 Kommunen ausgedehnt werden. „Selbst Menschen, die weit unter Bundesdurchschnitt liegen, können noch besser werden“, so Reußwigs Erfahrung. Doch es gebe auch Grenzen. Die öffentlichen Emissionen – mit 0,73 Tonnnen pro Kopf veranschlagt – ließen sich nicht individuell beeinflussen. „Da hilft nur eine andere Politik“. Klimapolitisches Ziel: 1 Tonne CO2 pro Kopf bis 2050. (plu)
Haben Sie auch Ihre Ernährung verändert?
Fleisch habe ich nie gegessen. In dem Jahr habe ich ein bisschen vegan gelebt, das habe ich danach aber wieder aufgegeben. Ob man sich vegetarisch oder vegan ernährt, das macht auch nicht den großen Unterschied. Regional einkaufen und selber kochen ist entscheidend. Keine Tiefkühlprodukte zu verwenden spielt auch eine große Rolle.
Sprechen wir über die Mobilität.
Da bin ich mit 0,56 Tonnen ein- und mit 0,11 ausgestiegen. Das liegt daran, dass ich 2017 sehr viele Zugreisen gemacht hatte und auch ein paar Wochenendreisen mit dem Auto. 2018 bin ich deutlich weniger verreist, und das auch nur mit dem Zug.
Wie würden Sie Ihren Lebensstil beschreiben?
Ich lebe gut (lacht). An materiellen Dingen fehlt es mir an nichts. Ich gehe gerne ins Kino und Theater, auch mal ins Café oder gut Essen – wenn möglich bio. Ich bin ein bewegungsfreudiger Mensch, gesellschaftspolitisches Engagement gehört für mich auch zum Lebensstil.
Unter den Teilnehmern der Studie gab es heftige Debatten übers Fliegen. Wie haben Sie das erlebt?
In den KliB-Diskussionsforen wurde darüber diskutiert, die Flugmobilität aus dem Posten Alltagsmobilität herauszunehmen und gesondert aufzulisten.
Was auch geschehen ist.
Der Beweggrund war, dass man den Erfolg, den man bei der Alltagsmobilität erzielt hatte, nicht durch Flugreisen kaputt machen wollte. Aber es gab durchaus Haushalte, die gesagt haben: Wir fliegen dieses Jahr nicht, wir machen anders Urlaub.
Das Ergebnis der KliB-Studie ist, dass Berliner einerseits ökobewusster sind als Bundesbürger, aber deutlich mehr fliegen als diese. Wie oft steigen Sie in ein Flugzeug?
Ich habe meinen Verbrauch der letzten 30 Jahre ausgerechnet und bin auf 74 Tonnen CO2 fürs Fliegen gekommen. Nicht jede Flugreise würde ich aus heutiger Sicht wiederholen. Seit 2016 bin ich überhaupt nicht mehr geflogen. Ich bin nicht sicher, ob das immer so bleibt, aber dieses Wild-in-der-Gegend-Herumfliegen finde ich sehr problematisch.
Sind Sie nun am Ende Ihrer CO2-Einsparmöglichkeiten angekommen?
Ich denke, schon. Ein großer Posten, den man individuell nicht verändern kann, sind ja die öffentlichen Emissionen
Das CO2-Konto jedes Bundesbürgers ist mit 0,73 Tonnen durch die Bereitstellung von öffentlicher Infrastruktur wie Straßen, Verwaltung, Krankenhäusern, Schulen und Ähnlichem belastet.
So ist es. Auch meine persönliche Bilanz lässt sich aufgrund äußerer Faktoren nicht mehr wesentlich drücken. Damit die Güter CO2-neutral(er) werden, sind grundlegende Veränderungen in der Produktionsweise und dem Transport gefragt. Wie wollen wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens – 1 Tonne pro Person bis 2050 – sonst realisieren?
Ist es teurer, Co2-arm zu leben?
Bioprodukte kosten mehr, aber wenn man kein Fleisch isst und selbst kocht, wird es billiger. Für die Heizung zahle ich pro Monat 12 Euro mehr, seit ich Grüngas beziehe. Den Strom habe ich schon vor 20 Jahren umgestellt, da fehlt mir der Vergleich. Ich habe einen Computer, eine Waschmaschine und einen Kühlschrank. Den schalte ich im Winter aber immer aus. Die Lebensmittel stelle ich auf den Balkon oder ins Treppenhaus, so wie andere Leute ihre Schuhe.
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