internationales literaturfestival (1): Auch eine Art Afrofuturismus
Die Autorin und Juristin Petina Gappah aus Simbabwe sprach in der Eröffnungsrede des Internationalen Literaturfestivals Berlin über die Lehren aus dem Kolonialismus für die Gegenwart
Von Annika Glunz
„Die zerstörerischsten Folgen der Kolonialisierung zeigen sich nicht in der Aufteilung der afrikanischen Nationen, sondern in dem Dualismus, den dieser geschaffen hat: Von ‚Ich‘ und ‚den Anderen‘, ‚Weiß‘ und ‚Schwarz‘, ‚Gut‘ und ‚Böse‘. Europa konnte seine Überlegenheit genießen, weil es den Rest der Welt und auch die Besiegten davon überzeugen konnte, dass es Europas Verantwortung sei, ‚die Bürde des Weißen Mannes‘ zu tragen und es seine Mission sei, den Rest der Welt nicht auszubeuten, sondern zu zivilisieren.“ Petina Gappah, aus Simbabwe stammende Juristin und Autorin, wusste sehr genau, wovon sie sprach in ihrer Eröffnungsrede zum 19. Internationalen Literaturfestival (ILB). 1971 im von Rassentrennung geprägten Rhodesien geboren, besuchte sie eine englischsprachige Schule und verlernte beinahe ihre Muttersprache Schona. Als Juristin beriet sie später Entwicklungsländer im Handelsrecht.
Mit ihrer Rede verwies Gappah auf einen der Schwerpunkte des Festivals: „Decolonizing Worlds II“. Die Veranstaltungsreihe zum Thema Dekolonisierung – die bereits 2018 gestartet ist und fortgesetzt werden soll – wird in der James-Simon-Galerie stattfinden. Hierbei wird sich viel um das Thema der Restitution drehen: „Museen sind Laboratorien, Orte des Umdenkens und der Vermittlung von Narrativen. Wir brauchen hier viel Raum für Debatten. Und wenn wir zusammen mit Menschen aus kolonisierten Ländern kuratieren, bedeutet das für uns auch, Deutungshoheit abzugeben“, betonte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Besucher*innen können sich in diesem Jahr zusätzlich auch eingehend mit Geschichte und Forschung zur Sexualität beschäftigen, mit künstlicher Intelligenz – und selbstverständlich auch wieder mit Kinder- und Jugendliteratur. In diesem Jahr muss das ILB, traditionell im Haus der Berliner Festspiele beheimatet, auf andere Veranstaltungsorte ausweichen, denn im Stammhaus wird gebaut.
Kultursenator Klaus Lederer beschrieb das Festival in Zahlen: Über 120 Autor*innen, über 200 Gäste, 247 Veranstaltungen, drei Ausstellungen. Mehr als 50 Praktikant*innen. Hierzu die Anmerkung Schreibers: „Wir zahlen den Praktikant*innen ziemlich viel!“. Inzwischen erhalten diese Lohn, jahrelang war bemängelt worden, dass das nicht der Fall war.
Doch zurück zu Gappahs Rede. Sie erzählte über ihre Zeit als Anwältin in Genf, als Autorin in Berlin, vor allem aber über ihr Heimatland Simbabwe. 2017, als sie bereits den Entschluss gefasst hatte, sich in Berlin niederzulassen, ging sie dorthin zurück: Nach Mugabes Rücktritt wollte sie als Anwältin ihr Land beraten, wie es sich unter Bewahrung der eigenen Würde für den internationalen Handel öffnen könne: „Ich wollte die Chance nutzen, selbst Teil der Veränderung zu sein und nicht nur darüber schreiben, dass sie notwendig ist“.
Zunächst arbeitete Gappah so als Beraterin des neuen Präsidenten in Handels- und Investitionsfragen, mittlerweile ist sie enttäuscht über die Entwicklung im Post-Mugabe-Simbabwe und hat ihren Vertrag nicht verlängert.
Gappah berichtete zudem über die Oral History in Simbabwe: „Wir haben eine Geschichte, sie ist nur nicht aufgeschrieben, sondern festgehalten in Erzählungen und Legenden, in Liedern und vor allem in den Totems“. Über das Schicksal ihres Großvaters und sämtlicher folgender Generationen, schildert sie, sei damals in Berlin entschieden worden: 1884, als sich 14 europäische Machthaber trafen und wie bei einem Brettspiel Afrika unter sich aufteilten. „Your history is our present“, konstatiert sie in Bezug auf die Gegenwart des afrikanischen Kontinents. Am Ende der Rede stand die Frage: Was tun mit der Vergangenheit? Für Gappah sind die Schritte klar: Akzeptanz, Bildung, Handeln. „Als internationale Juristin habe ich einen starken Glauben an die normative Funktion internationalen Rechts. Und bin davon überzeugt, dass Afrika die Zukunft ist“. Und ein Appell an das Publikum: „Was wir alle tun können, ist lesen. Am besten fiktionale Geschichten, denn die sorgen für gegenseitiges Verständnis. Und für Heilung.“
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