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Albert Serra über seinen Film „Liberté“„Ich will kraftvolle Bilder“

Der spanische Regisseur Albert Serra glaubt an die Gewalt nackter Körper und an intime Kameras. Und an das Chaos beim Dreh seines Spielfilms „Liberté“.

Im Spielfilm „Liberté“ zeigt Albert Serra die psychologischen Schattenseiten der Libertinage Foto: Filmgalerie 451
Interview von Dennis Vetter

Letztes Jahr, die Volksbühne Berlin unter Chris Dercon: Albert Serras „Liberté“ feiert Premiere und sorgt für Frustmomente. Der Stoff verspricht Entgleisung, doch Serra stellt die Weichen anders als erwartet. Die Schauspieler wirken verloren auf der Bühne, die Aufführung dauert zweieinhalb Stunden. Komplette Verweigerung, auf der Bühne und im Publikum. Das verwunderte an sich wenig: Der katalanische Regisseur ist bekannt dafür, Sehroutinen zu sabotieren. Jetzt gibt es eine Filmversion von „Liberté“, die wurde im Mai in Cannes mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet. Was den Film vom Stück unterscheidet, erläutert er im Gespräch.

taz: Herr Serra, was fragen Sie sich nach der Arbeit an „Liberté“?

Albert Serra: Warum es heutzutage unmöglich ist, im Theater etwas Interessantes zu schaffen! Schon bevor ich mir etwas ansehe, weiß ich, was mich erwartet. Es ist so langweilig. Theaterschauspieler wollen den Applaus des Publikums, haben ständig das Bedürfnis, mit dem Publikum zu kommunizieren. Für mich fühlt sich eine solche Kommunikation wie Sklaverei an. Im Theater entkommt niemand dem Ganzen. Außer vielleicht Bob Wilson, der Menschen benutzt, als wären sie Objekte. Die Arbeit an „Liberté“ hat viele Gedanken aufgeworfen, die auch mit der vorherigen Arbeit an „Roi Soleil“ zusammenhängen – einer Performance, die zum Film wurde. Ich denke weiter über Dramaturgien nach, die sich einem Spannungsbogen verweigern. Daran möchte ich weiter arbeiten, auch beim Schreiben spielt das eine Rolle. Ich will Dramaturgien schaffen, die eine noch größere Freiheit ermöglichen, die Leerstellen noch stärker auskosten.

Was offenbart die Kamera in der Filmversion, das die Bühne nicht zeigen konnte?

Im Interview: Albert Serra

Der Videokünstler, Film- und Theaterregisseur Albert Serra, 1975 in Banyoles geboren, studierte Philosophie und Literatur in Barcelona. Sein Film „Histoire de ma Mort“ wurde 2013 mit dem Goldenen Leoparden beim Locarno Film Festival ausgezeichnet.

Erstens die Nacktheit als Bestandteil des Körpers. Im Theater ist das Publikum zu weit weg, es fehlt der Sinn für die Gewalt und Aggression des nackten Körpers. Das Kino kann dem Körper näher kommen, die Nacktheit genauer betrachten. Allein diese Nähe entfaltet eine Kraft. Man muss wissen, wie man mit ihr umgeht. Es gibt ein stärkeres Gefühl für Intimität. Einige Menschen, einige Schauspieler fühlen sich sogar allein vor einer Kamera, sie wird zum Teil des Raums. Sie kann ihnen ganz nahe kommen und wahrt dennoch eine Unschuld. Die Kinoversion von „Liberté“ ist so intim, so nah, so verzweifelt. Der Film lässt sich viel genauer auf die Logik der Nacht und den sexuellen Körper ein. Außerdem ermöglicht die Filmversion ein Spiel mit Perspektiven, das im Theater kaum möglich ist. Das Publikum taucht auf eine andere Weise ein, kann Voyeur sein, mitten ins Geschehen treten, ertappt werden. Im Film wird unklar, was sich außerhalb und innerhalb des Bildkaders abspielt, letztlich, was real ist. Die Distanz und Position zum Gezeigten gerät durcheinander. Es entsteht eine Art Schwebezustand, geprägt von sexuellen Verlockungen.

Der Film

„Liberté“. Regie: Albert Serra. Mit Helmut Berger, Safira Robens u. a. Frankreich/Portugal/Spanien/Deutschland 2019, 132 Min.

Sie sprechen von einer Gewalt des Körpers, von einer Konfrontation, die im Kino möglich wird. Was motiviert Sie, Menschen dieser Gewalt auszusetzen?

Ich will kraftvolle Bilder erzeugen, es gibt für mich keinen anderen Weg. Ich habe versucht, in einigen Filmen mehr Leichtigkeit zu finden, es gibt ironische Momente in allen. Aber nur mit Ironie lässt sich kein Film machen. Ein Film ist ein Kunstwerk, das Kino gehört zur zeitgenössischen Kunst. Also ist ein organischer Zugang notwendig, ein Gefühl der Wahrhaftigkeit: Je gewaltvoller dieses Gefühl ist, desto mehr Energie entsteht. Nur wenn ich starke Bilder erzeuge, wecken sie Interesse und setzen Energie frei. Ohne eine solche Energie bleibt alles trockene Theorie. Wenn ich beim Dreh in der Gruppe für Reibung sorge, will ich, dass die andern gegen mich rebellieren. Das beflügelt den Prozess. Einigen ist das zu viel. Aber eine solche Vorstellung des Aufruhrs schafft ein Gefühl, das größer ist als jede Idee – das jede Idee und Bedeutung zerstört. In der Vergangenheit habe ich oft beschrieben, wie sehr ich Schauspieler hasse, wie sehr ich es mag, sie zu foltern. Heute stehen die formalen Fragen auf der Suche nach den richtigen Bildern für mich im Zentrum.

Seit Ihrem Film „Der Tod von Ludwig XIV.“ arbeiten Sie zunehmend mit renommierten Namen, dort spielte Jean-Pierre Léaud die Hauptrolle. Für „Liberté“ besetzten Sie Helmut Berger. Interessieren Sie sich für die Kinobegriffe, die mit Ihren Karrieren verbunden sind?

Ich bin nicht besessen davon. Weder davon, ein Erbe zu erhalten, noch es zu zerstören. Meine Arbeit mit diesen Menschen ist aber mit ästhetischen Fragen verbunden: Ich will Klischees vermeiden und sie von dem trennen, was sie in früheren Filmen gemacht haben. Mein System macht es ihnen unmöglich, wie gewohnt zu arbeiten. Die Drehs sind extrem chaotisch und daran müssen sie sich anpassen. Und das scheint einigen tatsächlich zu gefallen. Weil sie erschöpft sind von sich selbst. Sie sind dankbar. In gewisser Art und Weise ähnelt unsere Zusammenarbeit einer Freundschaft, einer Freundschaft mit drei Kameras.

In „Liberte“ versuchen einige Adlige kurz vor der Französischen Revolution, die Philosophie einer schamlosen individuellen Freiheit aus Frankreich zu exportieren. Nachts im Wald wollen sie ihr Denken bis in die letzte Konsequenz ausleben. Manches scheitert jedoch an den Grenzen der Beteiligten. Bricht ihre Utopie also zusammen?

„Liberté“ ist mit einer gewissen Dekadenz verbunden, mit der Kehrseite des Utopischen. Der Film fragt, was passiert, wenn eine Utopie erzwungen wird. Ein Balzac-Buch hat mich sehr beeinflusst, es heißt „Béatrix“ und trägt den Untertitel „Die erzwungene Liebe“. In der Geschichte gab es immer wieder Beispiele für Formen der Libertinage, für Umstände, die auf natürliche Weise zur Befreiung des einzelnen Menschen führten. Wird eine Utopie hingegen erzwungen, bleibt zwar der Idealismus, aber es entsteht auch Reibung. Eine Reibung, die etwas Dunkles in sich trägt. Daraus speisen sich die psychologischen Schattenseiten dieses Films.

Das Thema scheint Sie zu beschäftigen. Bereits Ihr erster Film „Crespia – The Film not the Village“ von 2003 entfaltete eine Art Punk-Utopie.

Als ich anfing, Filme zu drehen, wollte ich eine neue Lebensweise finden, das Leben interessanter und lustiger machen. Das Kino ermöglicht das – anders als etwa die Literatur, die sich nur im Kopf abspielt. „Cres­pia“ betrachte ich als frühen Amateurversuch, aber die Utopie der Zeit ist für mich aktuell. In all meinen Filmen scheint sie durch. Nicht nur bezogen auf den Lebensentwurf dahinter, sondern auch im Rahmen meiner Erzählungen und Charaktere: „Don Quijote“ verhandelt die Idealisierung von Freundschaft. In „Birdsong“ geht es um die Pioniere. „Story of My Death“ handelt vom Auskosten des Moments und von der Neugierde.

Der neue Film dreht sich nun um die Libertins, die etwa für ihren absoluten Glauben an die Kraft der Sprache bekannt sind. Gleichermaßen lehnen sie das Natürliche ab, verabscheuen es regelrecht. Beides scheint eng mit dem Kino verbunden zu sein, das ja an sich eine technische Form ist.

Für mich ist der wichtigste Aspekt des Kinos, dass es Fantasien herstellt. Die Kamera nimmt der Realität, der Natur ihre inneren Zusammenhänge und verknüpft sie mit Absichten und Gestaltungsweisen. Sie macht die Realität origineller, interessanter, energetischer. Darin liegt für mich der Kern. Sie kann einfangen, was dem Auge entgeht. Das Auge ist menschlich, wird müde, lässt sich ablenken, gehorcht Ideen. Die Kamera hingegen steht einfach da. Von den Utopien, die vor und hinter ihr liegen, bleibt sie unberührt.

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