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Multimediale Farce

Kern der Kölner Inszenierung von „Fette Männer im Rock“ ist die seelische Hilflosigkeit von Menschen, die mit der Natur nicht mehr zurechtkommen

aus Köln HOLGER MÖHLMANN

Fette Männer im Rock? Transvestiten, die noch nicht einmal schlank und schön sind? Klarer Fall: Das ist der Gipfel des Monströsen, davon kriegt man Alpträume, davor warnen uns unsere Mütter. Dabei gibt es in Nicky Silvers gleichnamigem Stück von 1988 gar keine vollschlanken Crossdresser. „Fette Männer im Rock“ – der Titel ist ironische Metapher. Er steht für das Monster Mensch, versteckt unter einer hauchdünnen Schicht Zivilisation. Jederzeit kann dieses schlummernde Monster seine schützende Fruchtblase verlassen und ans Tageslicht treten. Ursachen hierfür sind Verletzungen der Seele, extreme Lebensumstände und die frustrierende Scheinwelt der Medien, die permanent das Unerreichbare suggeriert und zivilisierte Menschen mit ihren Verheißungen in den Wahnsinn treibt.

In der Kölner Orangerie am Volksgarten verwandelt die Performancegruppe Analog die Vorlage des Off-Broadway-Autors in eine multimediale Farce. Heulend und hysterisch, komisch und kokett, einander verzweifelt bedrängend und um Zuneigung bettelnd lässt Regisseur Daniel Schüßler seine Figuren durch ein Bühnenbild aus Rindenmulch und Plastiksesseln stolpern, lässt sie Karaokeversionen von Liebesschnulzen ins Mikro singen, bläht ihre Gesichter via Kamera auf Leinwandgröße auf, damit ihre therapeutischen Beichtgeheimnisse zu kindlichen Traumata und erwachsenen Verfehlungen angemessen wirken.

Denn ein Teil der Handlung spielt in der Psychiatrie. Hier ist der junge Bishop Hogan gelandet, nachdem er seine Eltern ermordet hat. Warum? Weil ihm die Zivilisation abhanden gekommen ist auf der Insel ohne Nahrung, wo er und seine Mutter als einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes fünf Jahre lebten. Wo sie Passagierleichen aßen und wo aus Bishop auch innerlich ein Kannibale wurde.

Die totale seelische Hilflosigkeit von Menschen, die mit der Natur nicht mehr zurechtkommen, weil eigentliches Habitat die Künstlichkeit der Medien ist, bildet den Kern der Inszenierung. Die Rettung aus der Misere kann nur das wieder entdeckte, gegen Ende des Stücks kathartisch überhöhte „natürliche“ Gefühl wahrer Liebe sein.

Streckenweise ist der Abend schrill und witzig. Sehr engagiert, mit viel Herzblut und hohem intellektuellen Anspruch gehen Regisseur und Ensemble an ihr Projekt heran, spielen überzeugend Tobsuchtsanfälle und zickige Zivilisationsdekadenz, experimentieren auf spannende Art mit Stimmengroteske und Fernsehseriensprache und machen das alles richtig gut. Wenn sie denn wollen. Aber sie wollen auch das bewusst Übersteuerte und Pubertäre, das die Grenze zu Blödsinn und Peinlichkeit gern mal Überschreitende, wollen singen, wo kein Gesang gegeben, wollen alles ausloten und sich so richtig austoben, als wär‘s die Abiturfahrt.

Zu viele losgelassene Säue fliegen hier übers Kuckucksnest, und das tut dem Stück nicht immer gut. Ein wenig Raffung fehlt diesem zweieinhalbstündigen Abend, der sich vor lauter entfesselter, auf nichts verzichten wollender Spielfreude auf gefühlte dreieinhalb Stunden ausdehnt. Auch eine gute Farce lebt vom rechten Maß, und das sollte – bei allen gelungenen Elementen dieser Inszenierung – nicht von einer zu mächtigen Melange aus Anspruch und Hemmungslosigkeit zugemüllt werden.

Fette Männer im Rock, Orangerie am Volksgarten, Volksgartenstr. 25, Köln, Tel. 0221/952 27 08, nächste Vorstellungen: 13./14.08., jeweils 20 Uhr

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