: Unser Haus ist jetzt in Suburbia
Einst machten Madness großen Antifa-Pop auf Ska-Basis. Mit der neuen Platte „Dangermen Sessions“ versetzen sie ihre ehemalige Klugheit für ein fragwürdiges Comeback
Ende der Siebzigerjahre steht der Punk mit runtergelassenen Hosen da, und diesmal nicht, weil er seinen Hintern zeigen wollte. Punk ist albern geworden und die wenigen, die davon noch nichts wissen wollen und sich weigern, den Do-It-Yourself-Gestus des Punk ins Experiment zu führen, ringen ab nun mit den schnell aus dem Boden schießenden Oi!-Bands um die stumpfen Rebellen, die zwischen Schule und Vorstadthaus noch eine bierschöne Zeit haben wollen. Die anderen aber greifen auf das zurück, was schon vor den Sex Pistols da war, Reggae und Ska, lernen von diesem Bassläufe und kupfern munter ab. Bands wie The Selecter, The Beat und vor allen The Specials covern jamaikanische Klassiker und versehen sie mit einer merkwürdigen Urbanität. Der Beat wird härter, die Melodien werden schöner, der 2Tone-Ska erlebt seine Blütezeit.
Mitten in diesem Getümmel findet sich auch die Band Madness, deren erste Single, „The Prince“, 1979 bei 2Tone erscheint. Den Labelkollegen ist Madness suspekt – sie haben als Einzige kein schwarzes Bandmitglied. Auch das, was Madness mit den Ska-Vorgaben machen, irritiert, denn sie übernehmen Basslinien, Bläsersätze und Showelemente aus den Originalen, doch schreiben sie damit grundsätzlich andere Songs. Sie machen erfolgreich lustigen Pop damit, während die anderen Bands in eine Schaffenskrise geraten, da einerseits der starre Skabeat den Songs enge Grenzen setzt, andererseits die Konzerte von begeisterten Skinheads überrannt werden, die nicht in der Tradition der jamaikanischen Skinheads der Sechziger stehen, sondern einen nicht selten rechtsradikalen Mob bilden.
Das Septett Madness hat diese Probleme nur am Rande. Finden sich zwar auf dem ersten Album „One Step Beyond“ noch verskate Klassiker wie Tschaikowskis „Swan Lake“ und Hommagen an Prince Buster und andere Ska-Legenden, schleicht sich eine Leichtigkeit ein, die die anderen Bands trotz des federnden Rhythmus vermissen lassen. Madness sind, ihrem Namen Ehre machend, herrlich albern. So haben sie großen Erfolg, schaffen es oft und ausdauernd in die Charts – sogar in den USA, wo „Our House“ im Sommer 1983 einem der ersten MTV-Hits wird und sich wochenlang in den Top Ten hält.
Doch bald darauf zerfällt die Band. Sie scheitert, da sie sich immer stärker auf die Ska- und Reggae-Klassiker zurückbesinnt, obschon gerade solche Stücke wie „Our House“, die beim besten Willen nicht mehr als Ska-Stücke zu erkennen sind, ihre größten Erfolge waren. 1986 löst sich die Band frustriert auf.
Um sich allerdings bald wieder zusammenzuraufen und mit Tourneen, neuen Stücken und eher irrelevanten Platten immer wieder die Gelegenheit wahrzunehmen, ihre eigenen Smashhits zu spielen. Die sieben Briten haben in den letzten zehn Jahren nur wenig mit den Nutty Boys gemein gehabt, die sie mal waren, sie sehen aus wie ältere Ale-Trinker, die ihr Mittelstandseinkommen genießen. Wäre es so geblieben, man hätte beruhigt schweigen und von alten Zeiten schwelgen und schwärmen können.
Doch Geschichte wird von der Gegenwart aus stets neu erzählt. Die Gegenwart ist im Falle von Madness eher unappetitlich. Seit Anfang des Monats ist das Album „The Dangermen Sessions“ (V2) lieferbar, eingespielt in Originalbesetzung, mit großen Tamtam beworben, die ersten Konzerte waren, so hörte man, nach wenigen Minuten ausverkauft. Das allerdings, was die Band hier macht, ist nicht nur unter ihrer Würde, sondern zudem ein Angriff. Ska-Klassiker wie das unvermeidliche „Israelites“ werden lustlos wiedergegeben, dazwischen Ska-Coverversionen von „Lola“ (von den Kinks) oder „You keep me hanging on“ (von den Supremes) eingestreut. Die Bläser sind müde, der Beat bleibt gleich, und Videos, in denen Leute um die Fünfzig Anzüge ausdehnen, während junge Schönheiten den Hintern wackeln, sind eklig.
Schlimmer aber ist, dass Madness nun diese Stücke endgültig in die weißen Pubs tragen, aus cool schwingenden Stücken werden bei ihnen Schunkelsongs. Von daher ist der Vorwurf des strukturell rassistischen Musikdiebstahls, der 1979 erhoben wurde, plötzlich richtig. Dass eine Band, die vorgibt, ein Bewusstsein für diesen Umstand zu haben, plötzlich zu einer UB 40-Imitation wird, stößt ab.
JÖRG SUNDERMEIER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen