heute in bremen: „Sie mussten in Schichten schlafen“
Libuse Cerna,65, ist Vorsitzende des Bremer Rats für Integration.
Interview Florian Fabozzi
taz: Wie hat sich die Fluchtbewegung von DDR-BürgerInnen nach Prag 1989 entwickelt?
Libuse Cerna: Schon vor 1989 gab es immer wieder DDR-BürgerInnen, die über die deutsche Botschaft in Prag eine Einreise in die Bundesrepublik erwirken wollten. Waren es vor 1989 jedoch nur knapp 100 Geflüchtete pro Jahr, stieg die Zahl 1989 auf bis zu 4.000 Menschen an. Eine große Rolle spielten das Fernsehen, das die Rede von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag am 30. September 1989 ausstrahlte und weitere DDR-Bürger zur Flucht animierte.
Auf dem Gelände der Prager Botschaft lebten zwischenzeitlich 4.000 Menschen. Wie hat das funktioniert?
Zahlreiche Repräsentationssäle wurden in Schlafzimmer umgewandelt, indem man dort Etagenbetten aufstellte. Nichtsdestotrotz mussten die Geflüchteten in Schichten schlafen, da es nicht genug Betten gab. Probleme gab es auch mit der Müllversorgung. Die Geflüchteten haben auch selber mit angepackt, um die Probleme zu lösen.
Inwieweit hat die SED versucht, die Flucht weiterer BürgerInnen zu verhindern?
SED-Chef Erich Honecker hatte mit Genscher vereinbart, dass die Züge mit den DDR-Geflüchteten über das Staatsgebiet der DDR in die BRD fahren sollten. Während der Zugfahrten wurden die Geflüchteten ausgebürgert, die Personalausweise eingezogen. Honecker wollte die Menschen in der DDR vor einer Flucht abschrecken. Das ging jedoch nach hinten los.
Wie ging es für die DDR-BürgerInnen weiter, nachdem sie schließlich auf westdeutschen Boden waren?
Filmvorführung und Diskussion über die Fluchtbewegung von DDR-BürgerInnen nach Prag 1989 mit dem damaligen Botschafter Hans-Joachim Weber, 18 Uhr, Foyer des Kleinen Hauses, Theater Bremen
Sie kamen in der bayrischen Stadt Hof an, wo sie zunächst versorgt und in Aufnahmelagern untergebracht wurden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verteilte die Geflüchteten dann auf die deutschen Länder. Auch in Bremen wurden damals Turnhallen zur provisorischen Unterbringung von Geflüchteten genutzt.
Wie wichtig ist es, hinsichtlich der Solidarität mit Geflüchteten heutzutage, darauf hinzuweisen, dass damals Deutsche auf der Flucht waren?
Genau darum geht es! Wir feiern heutzutage den Mauerfall, sollten uns aber auch an die Einzelschicksale der Geflüchteten erinnern, die den Mauerfall durch ihre Flucht erst erzwungen haben. Und diese Geflüchteten hatten das Glück, in der Bundesrepublik solidarisch aufgenommen worden zu sein.
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