: „Ich finde es nur ehrlich, wenn Kunst aneckt“
Der Song „Das Boot ist voll“ der Züricher Band Faber warf erneut die Frage auf: Wie weit darf und soll Kunst gehen? Ein Gespräch mit dem Sänger Julian Pollina
Interview Charlotte Köhler
taz: Julian Pollina, bei Ihrer neuen Single „Das Boot ist voll“ lief der Release nicht wie geplant, der Text entfachte ein kontroverses Medienecho. Wie haben Sie das erlebt?
Julian Pollina: Sehr, sehr stressig. Es waren definitiv nicht die lustigsten Tage meines Lebens. Aber ich hab’s überlebt. Das ist ja schon mal ein Anfang.
Nach einigen Tagen haben Sie das Musikvideo zur Single aus dem Netz genommen. Und auch die Audioversion wurde nachträglich bearbeitet. Die provokanteste Stelle im Refrain (siehe Infokasten) wurde ersetzt. Wie kam es zu dem Entschluss?
Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt und ich nicht ganz zufrieden bin. Auch schon vor der Veröffentlichung. Für mich sind die Strophen sehr wichtig. Der Refrain hat aber alles überschattet. Ich will der Kritik gar nicht ausweichen. Ich weiß genau, warum ich diese Zeilen geschrieben habe. Das war aus der Wut heraus. Dass das eigentliche Thema dann aber total unterging, fand ich sehr schade. Ich habe aber auch von vielen Leuten gesagt bekommen, ich sollte den Text so beibehalten, sonst wäre das Lied schwächer. Da hat es für mich erst den Release gebraucht, um zu realisieren: Das ist es doch nicht – so nicht. Die neue Version ist immer noch sehr wütend, aber sie überschattet das Thema nicht.
Worum geht es Ihnen denn bei dem Song?
Um das Grundentsetzen darüber, dass es auf die Frage, ob man Menschen rettet, zwei mögliche Antworten gibt. Nämlich Ja oder Nein. Wenn man an diesem Punkt angelangt ist, dann läuft etwas auf einem ganzen Kontinent gehörig falsch. Es waren viele Auslöser, die mich dazu bewegten, den Text zu schreiben. Wie etwa die rechten Aufstände in Chemnitz oder auch Seehofers Äußerung, der es als amüsant empfand, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Flüchtlinge abgeschoben wurden. Da kam viel Entsetzen zusammen, das ich dann textlich verarbeitet habe.
Mit Ihrem Lied richten Sie sich an die Politik in Europa – oder hatten Sie die Situation eines bestimmten Landes im Sinn?
Eigentlich ist es ein globales Problem, aber ich habe beim Schreiben besonders an Europa gedacht. Ich erkenne dieselben Muster und Probleme in ganz Europa. In Ländern wie Italien, Ungarn oder Polen spitzt sich die Lage immer weiter zu. Das ist sehr krass und beschäftigt mich sehr.
Verfolgen Sie durch Ihren Vater, den Musiker Pippo Pollina, der aus Sizilien kommt, die Situation in Italien näher?
Ja, auf jeden Fall, klar. Die Situation in Italien ist next level. Was Salvini da abziehen kann und dennoch den totalen Rückhalt hat, ist schon brutal. Das habe ich so in Deutschland oder der Schweiz noch nicht erlebt – zum Glück. Die Situation ist aber auch eine andere. In Italien gibt es viele Regionen, in denen das faschistische Gedankengut nie richtig aufgearbeitet wurde und als normal gilt. In Sizilien sieht die Lage anders aus. Die halten da die Stellung. Aber auch da herrscht eine große Wut. Die richtet sich aber größtenteils nach Europa. Mit dem Tenor: „Wir sind eine der ärmsten Provinzen Europas und bei uns kommen jeden Tag Menschen an, ihr müsst uns bitte unterstützen.“ Ich denke, da ist dann europäische Solidarität gefragt.
Haben Sie sich durch die teils sehr negativen Reaktionen auf die Single unter Druck gesetzt gefühlt, die betreffenden Zeilen zu verändern?
Nein, gar nicht. Ich habe mich dazu entschieden, den Refrain zu ändern, als es noch überhaupt keinen Artikel zum Lied gab. Und auch die Kommentare auf Social Media waren nicht der Grund für meine Entscheidung. Die erste Stunde nach der Veröffentlichung habe ich die Kommentare gelesen, danach habe ich mir selbst Handyverbot erteilt. Ich glaube, manchmal ist es besser, nicht alles zu lesen. In den Kommentarspalten auf YouTube und Co. haben sich aber natürlich auch viele Rechte getummelt. Ich habe Morddrohungen erhalten. Das ist schon heftig.
Ende Juli erschien die Single „Das Boot ist voll“ der fünfköpfigen Band Faber. Den Refrain der Erstversion: „Besorgter Bürger‚ ja / ich besorg’s dir auch gleich / geh auf die Knie, wenn ich dir meinen Schwanz zeig / nimm ihn in den Volksmund / blond‚ blöd‚ blau und rein / besorgter Bürger, ja / ich besorg’s dir auch gleich“, änderte Pollina nach der Veröffentlichung. „Wenn sich 2019 ’33 wieder einschleicht / wenn Menschlichkeit und Verstand deiner Wut weicht“, heißt es jetzt im Refrain.
Das neue Album „I f*cking love my life“ erscheint am 1. November 2019.
Ihnen wurden in Bezug auf den Refrain der Erstversion Vergewaltigungsfantasien unterstellt. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Ich kann verstehen, dass man sich an den Zeilen stört. Aber dass man in dem Refrain Vergewaltigungsfantasien sieht, kann ich nicht nachvollziehen und war auch sehr überrascht von dieser Reaktion. Die Zeilen hatten da nichts zu suchen, das stimmt schon – deshalb habe ich es ja rausgenommen. Aber nicht, weil ich Leuten recht gebe, die mir Vergewaltigungsfantasien unterstellen.
Ihre Band hat „Das Boot ist voll“ auf der Website von Faber als „neue Skandalsingle“ beworben – in Optik bekannter Boulevardmedien. Haben Sie da nicht mit starken Reaktionen gerechnet?
Der Begriff Skandalsingle passte perfekt in den Look. Dieser Look, der auf der ganzen Welt genau gleich ist. In Deutschland ist es die Bild-Zeitung, in der Schweiz die Blick-Zeitung, in Österreich die Kronen-Zeitung. Ein und dieselbe Aufmachung, die man sofort erkennt. In diesen Medien gibt es immer genau zwei Meldungen: Irgendein Promi ist super happy oder es gibt den großen Skandal. Ich habe schon mit krassen Reaktionen auf die Single gerechnet. Vor zwei Jahren habe ich mit „Wer nicht schwimmen kann, der taucht“ schon etwas Ähnliches erlebt. Von rechts kamen Drohungen, wir mussten uns so einiges anhören. Mir war klar, dass das nicht weniger werden würde.
Das Lied ist durchaus zu einer Skandalsingle geworden. Auch wegen des Inhalts, über den Sie singen?
Auf jeden Fall. Das stört mich am meisten, dass Menschen die Texte selbst skandalöser finden als die Dinge, die sie beschreiben. Ich finde es total weich, wenn jemand vehement versucht, einen Text kaputtzumachen, der eine Gesellschaft beschreibt, in der etwas schiefläuft. Dass die politische Lage wieder ins Bewusstsein rückt, war von Beginn an mein eigentliches Ziel.
Provozieren und polarisieren Sie gerne mit Ihrer Kunst?
Das weiß ich gar nicht. Es macht auf jeden Fall überhaupt keinen Spaß. Man leidet sehr, sehr viel darunter. Wahrscheinlich zu Recht, denn man hätte es ja auch einfach anders machen können. Aber irgendwie dann halt auch nicht, denn man findet das, was man da tut, ja richtig und wichtig. Ich finde es nur ehrlich, wenn Kunst nicht geradlinig ist und aneckt. Um meine Musik bahnen sich immer wieder Diskussionen an. Im Endeffekt war das gut, es hat mich weiter nach vorne gebracht – privat und musikalisch.
Wie stehen Sie zu dem Streben nach Political Correctness? Glauben Sie, dass man politische Aussagen treffen kann, ohne sich dabei politisch korrekt auszudrücken?
Julian Pollina
alias „Faber“ ist der Sänger und Songwriter der gleichnamigen Band. Er ist der Sohn des aus Sizilien stammenden Schweizer Sängers Pippo Pollina. Der 26-Jährige gilt als einer der erfolgreichsten Newcomer im deutschsprachigen Pop.
Erst einmal glaube ich, dass der Begriff Political Correctness fälschlicherweise sehr stark negativ konnotiert ist. Dabei ist das Ziel einer Ausdrucksweise, die für möglichst viele Menschen angenehm ist, sehr erstrebenswert. Ein Ziel, das ich auch privat verfolge. Allerdings nicht unbedingt in der Kunst. Ich möchte da keinen riesigen Schnitt ziehen, aber dennoch glaube ich, dass Einschränkungen in der Sprache die Kunst blass machen. Gerade wenn man mit vielen Bildern spielt, finde ich es wichtig und gut, einen gewissen Spielraum zu haben. Privat beobachte ich allerdings durchaus eine Änderung in der Art, mich auszudrücken. Mittlerweile achte ich auf Dinge, die vor einigen Jahren überhaupt nicht im Bewusstsein der Menschen waren. Das ist eine sehr positive Entwicklung.
Mit Ihrer Single reagieren Sie auf Wut und Hass mit noch mehr Aggression. Funktioniert das?
Privat sehe ich das nicht als Lösung an, da setze ich auf Kommunikation und offenen Austausch. In dem Lied waren es Entsetzen und Verzweiflung, die sich angestaut hatten und denen ich dann Ausdruck verliehen habe. In der Situation bringt sie aber niemanden weiter, die reine Wut. Das ist auch ein Punkt, den ich als Kritik an der Single gut hätte nachvollziehen können. Dass der Text nicht das Gespräch sucht und keine Lösung bietet. Eine Gesamtlösung für die Probleme Europas parat zu haben, wäre aber wohl auch ein zu hoher und unrealistischer Anspruch an einen Song. Es sitzen Hunderttausende Politiker täglich zusammen und arbeiten an Konzepten, eine dreiminütige Single wird da nicht die Antwort auf alle Fragen liefern. Muss sie aber auch nicht.
Sehen Sie Künstler in der Pflicht zur politischen Positionierung?
Ich finde nicht, dass Menschen dazu verpflichtet sind, aber ich würde mir wünschen, dass es mehr tun. Musik wird von vielen konsumiert und generiert Aufmerksamkeit. Kunst im Allgemeinen kann Menschen berühren und sie dazu bewegen, etwas zu verändern. Auf diese Weise kann man als Künstler seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen