: Limited Edition: Die Zeitbombe tickt noch
Die taz stellt in der Serie „Limited Edition“Bremens Zine-Szene vor. In Teil 4 beweist das „HREF Zine“, dass poststrukturalistische Zukunftsvisionen auch dann noch Unruhe stiften können, wenn die Realität sie längst überholt hat
Von Jan-Paul Koopmann
Am Ende schreibt Donna Haraway in ihrem Manifest, sie sei lieber Cyborg als Göttin. Und lustigerweise klingt das erst heute, über 30 Jahre später, nach der eher geschmacklichen Entscheidung zwischen zwei Fantasy-Wesen. Dabei hatte dieses „Cyborg Manifesto“ beansprucht, sogar noch realer als die Wirklichkeit zu sein. Weil es mit ideologischen Setzungen Schluss machen wollte, die den Blick verstellen auf das, was tatsächlich sei: gegen die Trennung von Mensch und Maschine, von Mann und Frau oder von Mensch und Tier.
Aus dem (sehr ernsten) Spiel ist heute ein stabiles Theoriegebäude geworden. Man kann es an den Unis studieren, oder in Teilen der Linken auch live erleben.
Gerade das macht dieses HREF Zine so erstaunlich. Obwohl ständig von der Hausheiligen Haraway die Rede ist, hat das Bremer Heft mit dem Untertitel „Technologies – Xyber*feminism – Net Culture“ nämlich weder akademischen Stallgeruch noch die identitätsstiftende Verbissenheit des bewegungslinken Post-Poststrukturalismus von heute. Wie beim Perlentauchen durchsuchen die Herausgeber*innen Nathalie Gebert und Lukas Stöver das Netz nach Material und kuratieren ihre Fundstücke.
Vier Seiten sind etwa der in New York und Brasilien lebenden Künstlerin Rachel Denti gewidmet, die tatsächlich sehr klassische Bezüge aufs philosophische Cyborg-Denken mit Pop verbindet. In verschachtelter Bildsprache führt Denti vor, gleichermaßen Subjekt und Objekt zu sein – und die Verhältnisse umzuwerfen, deren Teil man untrennbar ist.
Ansonsten zeigt das Heft bildreich in gekonntem Layout Kunst, die sonst auf eher unstet digitalen Plattformen zu Hause ist. Bei Anisha Jay ist es etwa schon der erste Deutungsschritt, sie überhaupt als Künstler*in vorzustellen: Jay zeigt auf ihrem Pornhub-Kanal erotische (Selbst-)Fotografie, die gezielt die besonders weiblich erscheinenden Teile ihres biologischen Männerkörpers hervorheben.
Das Kunststück dieses Zines ist gar nicht die gelungene Auswahl interessanter Netzfunde, sondern: Biografisches, Porno, Fotokunst und queeres Wissen auf eine produktive Weise so durcheinanderstolpern zu lassen, dass man gar nicht dazu kommt, sich in starren Kategorien festzusetzen.
Die überwundene Versuchung, sich langweilig zu verorten, war sicher groß: Das Internet, das zu Zeiten des „Cyborg Manifesto“ noch Zukunftsvision war, ist heute ja da – auch die Gedankenspiele ums Aufbrechen von Mann-Frau-Dualismen sind längst nicht mehr nur künstlerische Praxis, sondern auch queere Alltagskultur geworden. Und Kapitalismus und Patriarchat sind ja auch noch da – und das mindestens so aggressiv wie damals.
In dem Heft gibt es eine Zeitleiste technofeministischer Einschläge: vom Internet-Vorgänger Arpanet über Haraways Text, World Wide Web und HTTP-Protokoll bis zur ersten Ausgabe eben dieses HREF Zines. Natürlich ist das ein bisschen größenwahnsinnig. Aber es ist eben auch eine ausgesprochen sympathische Anspruchshaltung aufs große Ganze.
Das HREF Zine steht jedenfalls für einen traditionsbewussten Poststrukturalismus, wirkt dabei aber eher neugierig als ideologisch. Fast stimmt es einen auch nostalgisch, weil’s die Erinnerung weckt an Zeiten und Zustände, in denen das alles mal wild und gefährlich war – bevor das radikal ins Offene gelenkte Denken an der Akademie vielerorts zur verhängnisvollen Begriffslosigkeit erstarrte.
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