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Koste es, was es wolle

Im niedersächsischen Obernkirchen versucht man seit 20 Jahren, das Freibad ohne städtischen Zuschuss am Leben zu halten.

Ab morgens um 6 wird angeschwommen: das Sonnenbrinkbad in Obernkirchen ist gut ausgelastet. Foto: Sonnenbrinkbad

Obernkirchen taz | Was gäbe es denn hier dann noch? Diese Frage geistert seit mehr als 20 Jahren durch Obernkirchen. Obernkirchen, eine chronisch pleite Kleinstadt am Rand des Weserberglandes, hat nicht viel zu bieten. Durch die Fußgängerzone dürfen mittlerweile Autos fahren, schlicht, weil es gar keine Geschäfte mehr gibt. Kneipen, Cafés, Restaurants sind rar gesät, an ein Kino erinnert sich höchstens noch die Generation Ü65. Um zehn Prozent ist die Einwohnerzahl in den vergangenen 20 Jahren gesunken, der Altersschnitt ist rapide gestiegen.

Aber: Es gibt noch ein Freibad. Sogar beheizt und mit Sole statt mit Chlor versetzt. Wenn das Ding dichtmacht, kann die ganze Stadt die Lichter ausmachen – das ist der Tenor. Es ist, vielleicht noch neben dem Sportplatz, der letzte soziale Treffpunkt für Reich und Arm, Jung und Alt.

Seit 20 Jahren versuchen die örtliche Politik und viele engagierte Bürger*innen das Bad irgendwie am Leben zu halten. Gute Ideen entstanden, viel ehrenamtliches Engagement gab es aus der Bevölkerung. Auch im Rathaus hat das Freibad oberste Priorität. Nur: Ohne Zuschüsse kann das Bad nicht überleben. Und immer, wenn das Freibad mal wieder kurz vorm Abgrund stand, war klar: Das Bad muss erhalten bleiben. Koste es, was es wolle.

Die Anlage mit dem schönen Namen „Sonnenbrinkbad“, am Fuß des Bückebergs gelegen und von Wäldern umgeben, ist ein typisches Kleinstadtfreibad. Es gibt ein langes 50-Meter-Becken mit einem Drei-Meter-Sprungturm, dahinter das Becken für Kinder mit einer kleinen Rutsche und ein Babybecken gibt’s auch, wo der Duft von Pommes aus der Kioskbude hinzieht.

Morgens die Rentner*innen

Morgens um 6 Uhr sind die Rentner*innen da und die, die noch vor der Arbeit ein paar Bahnen ziehen. Vormittags Schulklassen, nachmittags Jugendliche und junge Familien, abends ist Training vom Schwimmverein. Die Besuchszahlen sind konstant, über 50.000 sind es eigentlich jedes Jahr – für eine Kleinstadt keine schlechte Zahl.

Bis Ende der 90er musste man sich auch keine Sorgen um das Bad machen. Das größte Unternehmen in der Stadt, eine Glasfabrik mit teils mehr als 1.000 Arbeiter*innen, zahlte ordentlich Gewerbesteuer. Nebenbei versorgte es das Schwimmbad auch noch mit Wärme aus der Glasproduktion. So war das Bad das ganze Jahr hindurch schön erwärmt, die Stadtkasse war voll genug, um die Kosten des Schwimmbads munter auszugleichen. Dann geriet die Glasfabrik in Schieflage, die Steuern fielen weg, und bald darauf war auch die kostenlose Wärme passé.

Wie soll eine Kommune, die bis oben hin verschuldet ist, sich auch noch den „Luxus“ eines Freibads, noch dazu beheizt, leisten? Kommunal betreiben ließ sich das Freibad eigentlich nicht mehr, so viel war klar. Klar war aber auch: Ohne das Schwimmbad ist im Ort nichts mehr los. Also mussten die Bürger*innen ran. „Das starke ehrenamtliche Engagement ist hier besonders“, sagt Thomas Stübke. Er sitzt seit beinahe 20 Jahren für die Grünen im Stadtrat, als Kind plantschte er schon im Sonnenbrinkbad.

Blockheizkraftwerk für die Wärme

Schon Ende der 90er wurde der Förderverein, in dem auch Stübke aktiv war, für den Betrieb ins Boot geholt, später wurde eine Genossenschaft gegründet, die ein Blockheizkraftwerk kaufte, um die Wärme zu liefern und im Winter die Schule mit Wärme zu versorgen. Denn beheizt muss es schon sein, befand man. Alle umliegenden Kommunen haben schließlich unbeheizte Schwimmbäder. Das Bad schien finanziell gesichert und der städtische Haushalt mit einer Sorge weniger.

So richtig durchblickt hat das Konzept von Kommune, Genossenschaft und Förderverein zwar von außen niemand so recht, aber das Bad öffnete jedes Jahr bereits im April. Die Kommune sollte Stück für Stück von den operativen Kosten entlastet werden. Es schien ein echtes Vorbild für andere Kommunen zu sein. „In Pattensen und Bad Gandersheim wurde die Idee des betreibenden Fördervereins übernommen“, sagt Stübke.

Genossenschaft am Ende

Dann, vorletztes Jahr, kam auf einmal heraus, dass die Genossenschaft eine ziemliche Misswirtschaft betrieben hat. Stübke sieht das zwar anders – seitens des Landkreises, der vom Blockheizkraftwerk ebenfalls Wärme abnehmen wollte, womit sich wiederum die Genossenschaft finanzieren wollte, wären die Anforderungen schlicht zu hoch gewesen –, aber so oder so: Einmal mehr stand das Bad vor dem Aus, der Stadtrat nickte zähneknirschend einer weiteren Bezuschussung zu – was gäbe es denn hier sonst noch?

Inzwischen ist die Genossenschaft Geschichte, nachdem die Stadt sie mit 200.000 Euro noch einmal bis zum Ende des vergangenen Jahres gerettet hatte. Alle, die eingezahlt hatten, bekommen immerhin 50 Prozent zurück. Der Förderverein hat seitdem den Betrieb komplett übernommen – ehrenamtlich. „Für die Ehrenamtlichen war das Ende der Genossenschaft ein harter Schlag, weil die Kritik zum Teilen nicht gerechtfertigt war“, sagt Stübke.

Es wird sich zeigen, ob es diesmal besser läuft. Aber Stübke ist sich ohnehin sicher: „Ohne Zuschüsse ist ein Freibad nicht zu betreiben.“

Ohne die Ehrenamtlichen in Obernkirchen aber auch nicht mehr.

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