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Bedingungslose Unterwürfigkeit

Kratzt kräftig an der Grenze des guten Geschmacks, darf aber nicht unterschätzt werden:Just Jaeckins Verfilmung des SM-Klassikers „Geschichte der O“ läuft heute im Lichtblick-Kino

Szene aus „Geschichte der O“ Foto: Lichtblick-Kino

Von Carolin Weidner

„Der große Raum mit den Büchern an den Wänden war schwach erleuchtet durch eine Lampe auf einer Konsole und durch den Schein des Feuers, das wieder aufflammte. Zwei Männer standen und rauchten. Ein dritter saß, eine Peitsche auf den Knien, und der vierte, der sich über sie beugte und ihre Brust streichelte, war ihr Geliebter.“

O hat gerade ihre erste Lektion in Sachen Lust und Schmerz hinter sich. Noch nicht lange auf Roissy, einem prächtigen Privatanwesen mit gotischer Inneneinrichtung, trägt sie bereits ein Lederband um den Hals, versehen mit einem Metallring. Ihr Körper hat Schläge empfangen und fremde Männer. Sie wurde von einigen auf Roissy lebenden Damen neu frisiert und eingekleidet. Sie weiß nicht, was als Nächstes geschieht.

Die junge O entstammt Dominique Aurys ikonischem SM-Roman „Geschichte der O“, erschienen 1954 unter dem französischen Originaltitel „Histoire d’O“. Dominique Aury wiederum ist ein Pseudonym der Autorin Anne Cécile Desclos, mit dem sie zunächst ihre Artikel für die legendäre Literaturzeitschrift Nouvelle Revue Française (NRF) zeichnete, deren spätere Chefredakteurin sie auch war. Ausnahme: die erotische Lektüre um O, abermals unter anderem Namen veröffentlicht – Pauline Réage.

Erst 1994 bekannte sich Des­clos in einem Interview mit dem New Yorker zu ihrem Werk. Als Pauline Réage ging Desclos indes, angestachelt durch ihren Geliebten und Vorgesetzten bei NRF, den zwanzig Jahre älteren Jean Paulhan, eine Zeit lang einer interessanten nächtlichen Tätigkeit nach: sie verfasste „Geschichte der O“ im Bett. Auf diese Weise entstanden die sprachlich klaren, nie zu schlüpfrigen, aber doch eindeutigen Sätze, aus denen sich der aufreizende Roman strickt. Sie sollten Paulhan nicht nur beweisen, dass Frauen sehr wohl in der Lage sind, erotische Literatur zu verfassen (woran dieser offenbar zweifelte) – „Geschichte der O“ war auch ihr (erfolgreicher) Versuch, jenen Mann, dem Desclos so sehr verfallen war, an sich zu binden.

Oder wie sie in Pola Rapaports Dokumentarfilm über die Entstehungsgeschichte des Buches, „Écrivian d’O“ (2004), selbst sagt: „Ich war wahnsinnig in ihn verliebt. Es gab für mich niemanden außer ihn. Ich lebte mit ihm 15 Jahre, 11 Jahre, ich weiß nicht mehr genau. Er war der letzte Abschnitt meines Lebendigseins, meines Lebens als lebendiger Mensch. Danach war ich keiner mehr. Ich schloss mit allem ab.“

Eine bedingungslose Unterwürfigkeit, die sie mit ihrer Hauptfigur, der schönen O, zu einen scheint. Allerdings: So machtlos ist O natürlich nicht. Und wer sich davon nicht nur literarisch überzeugen möchte, sondern auch filmisch, der kann dies zum Beispiel am 24. Juli im Lichtblick-Kino tun, wenn es anlässlich des 65. Jahrestages des Romans nicht nur eine „historisch-kritische“ Einführung durch Dr. Maurice Schuhmann geben wird, sondern vor allem auch die Vorführung von Just Jaeckins berühmter Verfilmung von 1975.

Die Rolle des geheimnisvollen Geliebten René, der seine Freundin O (Corinne Cléry), angeblich um das gemeinsame Band zu intensivieren, diversen anderen Herren zuführt (insbesondere einem ominösen Sir Steven, gespielt von Anthony Steel), wird Udo Kier zuteil.

Mit bohrendem Blick drängt es ihn zu Befehlen wie: „Nimm einen Koffer und pack all die Sachen ein, die sich nicht mit einem einzigen Griff ausziehen lassen.“ Ein kurioser, bisweilen belustigender Satz (vor allem, wenn man ihn inmitten eines futuristischen und flippigen Seventies-Interieur vernimmt).

Oder Sir Steven, den O nicht ohne eigenes Brandmal davonkommen lässt

Für manche aber auch, wie der gesamte Film, überaus skandalös, frauenverachtend, schlicht: völlig daneben. In einigen Ländern (Neuseeland) ist der Film noch immer indiziert; in Deutschland ist er seit gut zehn Jahren von der Liste der jugendgefährdenden Medien gestrichen.

Die Wellen schwappten 1975, nur ein Jahr nachdem der Franzose Jaeckin mit „Emmanuelle“ Softsex-Geschichte geschrieben hatte, gerade in Westdeutschland hoch. Überliefert sind Szenen wie diese: Stinkbomben werfende und auf Kinositze urinierende Berlinerinnen; in Bonn soll sich eine Frau symbolisch an einen Penis aus Pappmaché gekettet haben.

Nun ist ein Film wie „Histoire d’O“ nicht unbedingt der glücklichste Film für ein Jahr wie 1975, das von der UNO zum „Internationalen Jahr der Frau“ gekürt wurde. Und es wäre auch gelogen, zu behaupten, Just Jaeckins Version würde nicht immer wieder an den Grenzen dessen kratzen, was sich gemeinhin „guter Geschmack“ nennt.

Dennoch darf weder Jaeckin, dürfen schon gar nicht Anne Cécile Desclos und ihre O unterschätzt werden. Es dauert nämlich nicht lang, bis aus der allzu Gehorsamen selbst eine wird, die sich auf ganz eigene Art Respekt zu verschaffen weiß. Zunächst bei Frauen, die im Film durchaus eigenständige Rollen und Dramen kreieren. Und dann sogar bei Sir Steven höchstpersönlich, den O selbstverständlich nicht ohne eigenes Brandmal davonkommen lässt.

„Geschichte der O“, 24. Juli, 20 Uhr, Lichtblick-Kino

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