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Neues Stück von Schorsch KamerunErkenntnis ist überbewertet

„Bauhaus – ein rettendes Requiem“ ist eine knallbunte Rallye. Schorsch Kemerum schickt die Zuschauer durch alle Räume der Berliner Volksbühne.

Wichtig für dieses Stück: die Kopfhörer Foto: dpa

Die just um einen Intendanten angewachsene Berliner Volksbühne schwappte am Freitag vor Ideen fast über. Was als „rettendes Requiem“ für das Bauhaus angekündigt war, hat das Zeug dazu, Seelen zu retten. Und zwar jede Menge. Für den Regisseur, Komponisten und Performer Schorsch Kamerun, der den Abend mit der Hilfe von rund 50 Kolleg*innen aus verschiedenen Fächern (darunter Mitglieder der Theatergruppe P14, der UdK, der experimentellen Werkstatt „projekt bauhaus“ und der „Etage“) gestaltete, ist laut Programmheft „Theater ein Versuchsfeld, in dem […] kollektiv etwas entsteht“.

Seine Betonung wird bei diesem Satz auf „kollektiv“ gelegen haben – der großartigste dieser vor Effekten sprudelnden Performances entsteht durch den Mut, das Thema „Kollektiverlebnis“ gleichzeitig zu präsentieren und zu dekonstruieren: Der Abend, der simultan fast alle Räume, Etagen und Nischen bespielt, wird durch Kopfhörer, die jedem*r Besucher*in ausgehändigt wurden, und in denen die Parallel-Performances live zusammencollagiert werden, auditiv gemeinsam erlebt – während die Entscheidung, wohin man geht und schaut, individuell bleibt.

So flaniert das mit den leuch­ten­den Headphones wie DJ-Works­hopt­eilnehmer*innen wirkende Publikum in Grüppchen über Gänge und Treppen, durch das Sternenfoyer, in den Grünen Salon und auf die von Katja Eichborn mit transparenten, bunten Plastikstellwänden und Zelten aufgeteilte Bühne, und hört der Mezzosopranistin Corinna Scheurle, den Schauspieler*innen Paula Kober und Paul Herwig, der Performerin Mia von Matt oder Kamerun selbst samt Miniband aus Bläsern, Xylophon und Klavier zu: „Wir sind ein Wolfspelz in Schafsgestalt“, singt der „Die Goldenen Zitronen“-Gründer etwa, oder „Weitermachen, nächster Gang“.

Dazwischen tragen Mitglieder und Theaterstudierende Plastik-Zitronenbäume umher, auf der Bühne wird ein „Experte“ zur Wagenfeld-Lampe interviewt, woanders gibt eine Gruppe Studentinnen „Nora“ von Ibsen. Und die Tänzerin Anne Tismer tanzt versunken und mit lakonischem Witz zehn Zahlen vor, erst scheint sie die Formen der Zahlen zu interpretieren, dann performt sie die zehn Zahlen als Farben und als Tiere – vermutlich hat sie damit den ersten syn­ästhetischen Tanz der Welt erfunden!

Das Neudenken der ganzen Welt

Und er sieht spitze aus! Akteur*innen-Konterfeis und Aktionen werden derweil auf große und kleine Leinwände in alle Räume übertragen – die Bilder vermischen sich somit zu einem demokratischen und mehrschichtigen Chor.

Bei dessen Rezeption man sich gleichzeitig an mehreren Orten, auf verschiedenen Ebenen wähnt. Das passt zur Gleichzeitigkeit des globalisierten Lebens genauso gut wie zum Bauhaus mit seinen mannigfaltigen Schulen, Ästhetiken und seinem Inspirationsreichtum. Denn beim Bauhaus, das wurde in diesem 100. Jubiläumsjahr ja nun landauf und -ab bis Oberkante Unterlippe heruntergebetet, ging es um nichts weniger als das Neudenken der ganzen Welt.

Kamerun interpretiert in seiner Totenmesse, die das Leben feiert, demzufolge (fast) alles neu – zwar erkennt man vor allem in den von Gloria Brillowska entworfenen, bezaubernden Kostümen wie der silberfarbenen „Schere“ (die im Hampelmannschritt über die Bühne hüpft und dabei über Kopf mit ihren runden Griffen klappert) oder der „Seife“ (samt glänzender Seifenblasen) Hinweise auf das triadische Ballett oder auch auf das „Springbrunnen“-Kostüm, das die Millionenerbin und Muse Luisa Casati einst bei einer garantiert spektakulären Party in den 20er Jahren, der Hoch-Zeit des Bauhauses, trug.

Berührend, mal wieder an Schlingensief und sein multimediales Theaterverständnis erinnert zu werden

Doch das Bauhaus mit den spezifischen Formen, deren Sachlichkeit und Knappheit einst revolutionär und modernistisch war, sehen Kamerun und Konsorten eher wie einen interdisziplinären Springbrunnen der Möglichkeiten, denn als monumentales, spartentreues Regelwerk. Das macht den Abend erratisch – und faszinierend. Dazu berührt es einen, mal wieder an Schlingensief und sein multimediales, multi-inhaltliches Theaterverständnis erinnert zu werden.

Eine fidele Totenmesse

Sich Erkenntnisse aus der pickepackevollen Bauhaus-„Erlebnisrally“ (Kamerun) herauszufummeln, ist zwar zuweilen etwas mühselig – aber Erkenntnis wird eh überbewertet. Texte wie der Vortrag aus der Zukunft, in der eine „Meisterschülerin an der University of HipHop and Science“ internationale, nach „Bauhauskünstlern“ benannte Universitäten aufzählt – und dabei fast ausschließlich weibliche Namen nennt, sind außerdem Visionen, an denen weitergearbeitet werden sollte.

Am Ende morpht die fidele Totenmesse endgültig zur Bau­haus­sause, Seife, Schere und ihre Freund*innen tanzen irre Choreos mit Menschen, die kopf- und gesichtsbedeckende (!) Badekappen in Neonfarben tragen, der Komponist PC Nackt haut in die Tasten, jemand spielt Flöte, und Kamerun skandiert Theoretisches über das Bauhaus, als wären es Punkparolen. Ein Jammer, dass Walter Gropius das nicht miterleben konnte. Er hätte um Contenance gerungen.

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