Dokumentarfilm über Toni Kroos: Einer, der alles sieht
Manfred Oldenburgs Doku „Kroos“ erkundet, warum der Weltfußballer für Experten so faszinierend ist. Die Kontrolle behält der Protagonist.
Preisverleihung, hinter den Kulissen, Fußballprofis mal nicht in kurzen Hosen, sondern im Smoking. Kleine Umarmung mit Diego Maradona, beiläufiges High Five mit Lionel Messi – Toni Kroos ist ganz oben angekommen im Fußballgeschäft, das illustrieren diese kurzen, unkommentierten Sequenzen aus „Kroos“. Der Protagonist ist Weltmeister, dreifacher Champions-League-Sieger, der Regisseur von Real Madrid, des wohl größten Vereins der Welt, und zweifellos der beste Fußballer, den Deutschland aktuell auf den Rasen schickt.
Aber in seiner Heimat ist Kroos keine überlebensgroße Ikone wie ein Messi oder Maradona. Geschätzt von den Experten, das schon, aber nicht geliebt von den Fans. Diese Diskrepanz ist es, die Filmemacher Manfred Oldenburg zu ergründen versucht in seinem Dokumentarfilm über den Mann, der so viele Titel gesammelt hat wie kein anderer deutscher Fußballer.
Oldenburg reist an die Ostsee, wo Kroos groß wurde, er spricht mit Eltern und Ehefrau, Großeltern und Bruder, er besichtigt das Unkraut im Volksstadion des Greifswalder FC. Er fängt Statements ein von Weggefährten, Fußballkennern, Journalisten und ehemaligen Trainern wie Pep Guardiola oder Jupp Heynckes. Er fährt nach Madrid, sammelt Lobeshymnen von Mitspielern wie Weltfußballer Luka Modrić oder Real-Präsident Florentino Pérez.
Und nicht zuletzt lässt er Robbie Williams zu Wort kommen, denn der Popstar liebt Fußball im Allgemeinen und Kroos im Besonderen: „Sein Fuß ist magisch“, sagt der Sänger, der kaum einen Prominentenkick auslässt.
Es ist ein beeindruckendes Aufgebot an Zeugen, die erklären sollen, was so faszinierend ist an Toni Kroos, aber doch nicht die Massen in Atem hält. Die Erklärung liegt einerseits im Spiel von Kroos, andererseits in seinem Charakter – und beides bedingt sich gegenseitig.
Er gibt den Takt vor
Die Kunst des so introvertierten und nachdenklichen wie selbstbewussten Kroos manifestiert sich in millimetergenauen Pässen, mit denen er den Rhythmus seiner Mannschaft bestimmt und das Spiel dominiert. Er ist das Uhrwerk, das den Takt vorgibt, in dem Real Madrid und die deutsche Nationalmannschaft ticken. Er gibt den Pass vor dem Pass, der zu einem Tor führt, aber in den Highlights sind andere zu sehen.
„Kroos“. Regie: Manfred Oldenburg. Deutschland 2019, 113 Min.
Seine vornehmste Aufgabe ist eben nicht das Drama, sondern die Fehlervermeidung. Oder, in den Worten seiner Bewunderer: „Der ist wie ein Landvermesser“ (Marcel Reif), „Toni ist ein Dirigent“ (Matthias Sammer), „Immense Übersicht“ (Joachim Löw), „Er sieht alles“ (Jupp Heynckes).
Einer, der alles sieht? Das klingt eher nach Geheimdienst als Weltklassefußball, aber letzten Endes ist Toni Kroos mit seiner Präzision und Erwartbarkeit der perfekte Mannschaftsspieler in der Mannschaftssportart Fußball. Das ist – vor allem im Vergleich zu egomanen Spektakelmaschinen wie Messi oder Cristiano Ronaldo, auf die der globalisierte Entertainmentbetrieb Fußball ausgerichtet ist – natürlich nicht sonderlich sexy.
Und daran krankt schlussendlich auch der eigentlich sehr solide Film, der so trocken ist wie sein Gegenstand. Ein spanischer Journalist bringt es auf den Punkt: „Er ist ein sehr zurückhaltender Mensch. Wir in Spanien wissen eigentlich nicht, wie Toni Kroos ist.“ Ja, nach diesem Film weiß es der Zuschauer auch nicht.
Denn selbst wenn Kroos sich beim Planschen mit seinen Kindern im Pool filmen lässt, selbst wenn er Privataufnahmen von seiner Hochzeit zur Verfügung gestellt hat, auf denen er seiner Frau ein schiefes Ständchen singt: So nah Oldenburg seinem Protagonisten auch rückt, die Kontrolle, nicht nur über das Spiel, sondern auch diesen Film, behält stets nur Toni Kroos.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“