FELIX LEE POLITIK VON UNTEN: Müdigkeit ist nicht drin
Jede Woche gegen Neonazis demonstrieren, ist anstrengend. Muss aber sein
Der vergangene Samstag war alles andere als ein guter Tag in Berlin. Mehr als 750 Neonazis konnten unter dem Schutz von noch mehr Polizisten weitgehend unbehelligt durch die linksalternativen Szenekieze von Friedrichshain ziehen und dabei ihre menschenverachtenden Parolen grölen. Einige hundert GegendemonstrantInnen waren zwar auch auf den Beinen. Für Straßenblockaden, wie es sie sonst bei Naziaufmärschen zuweilen gibt, waren sie aber zu schlecht koordiniert.
Nun ist der gescheiterte Protest nicht den GegendemonstrantInnen anzukreiden. Denn sie waren immerhin da. Aber hier trat ein Problem zutage, das in der politischen Argumentation häufig unterschätzt wird: Müdigkeit macht sich breit.
Bereits seit einigen Jahren findet nunmehr fast wöchentlich irgendwo in der Republik mindestens ein Aufmarsch von Neonazis statt. Meistens handelt es sich um vielleicht 100 bis 200 rechte Nasen, die sich irgendwo sammeln und mal für ein rechtes Jugendzentrum marschieren, mal gegen Hartz IV, oder die irgendwelche Gedenktage für ihre rechte Propaganda umwidmen. Der Anlass für die Demonstration letzte Woche in Berlin war ein Anschlag auf eine Kneipe, in der Neonazis gerne verkehren. Sowohl die NPD als auch rechte Kameradschaften machen die linke Szene dafür verantwortlich, haben bei ihrem Aufmarsch 22 vermeintliche Antifas benannt, denen sie offen mit Vergeltung drohen.
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, hat bereits vor Jahren erzählt, wie leid sie es ist, Woche für Woche Gegenproteste zu organisieren. Wenn all diejenigen, die immer gegen ein Verbot der NPD plädieren, dies tun müssten, wüssten sie, welcher Aufwand dahinter stecke. Die Nazis zu ignorieren, sei ja wiederum auch keine Alternative.
So wie Kahane geht es vielen – und dieser Frust über die ständige anstrengende Mobilisierung ist nachvollziehbar. Aber was wäre stattdessen die Lösung? Vielleicht mehr und verbindliche staatliche Förderung für Anti-Rechts-Initiativen und mobile Beratungsteams und eine Polizei, die auch den Linken zumindest ihr Demonstrationsrecht zugesteht. Doch im Grunde gibt es keine Alternative dazu, auch weiterhin Woche für Woche zu Gegenprotesten zu mobilisieren. Eine dauerhafte Mühe, die Müdigkeit leider nicht zulässt.
■ Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen. Foto: W. Borrs
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