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Kampf ums Genmaterial

In „Verachtung“ verknüpft Jussi Adler-Olsen ein Verbrechen aus den Sechzigern mit aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen. Nun liegt die Filmadaption vor

Assistent Assad (Fares Fares) und Kommissar Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) Foto: NFP

Von Michael Meyns

So sieht europäische Kooperation aus: Da es besonders deutsche TV-Zuschauer sind, die nicht genug von nordischen Krimis bekommen können, hilft das ZDF bei der Finanzierung eines dänischen Krimis. Zusätzlicher Investor: die Filmförderung Hamburg/Schleswig-Holstein, weswegen der inzwischen vierte Teil der Verfilmungen von Jussi Adler-Olsens Krimireihe „Sonderdezernat Q“ auch in Hamburg und Umgebung gedreht wurde.

Damit hat es sich aber mit den deutschen Beziehungen, denn die Handlung des von Christoffer Boe inszenierten Krimis taucht tief in die dunkelsten Kapitel der dänischen Vergangenheit ein. In den sechziger Jahren wird Nete (Fanny Bornedal) in eine psychiatrische Anstalt auf der Ostseeinsel Sprogø eingewiesen. Ihr „Vergehen“: Sie ist in ihren Cousin verliebt. Das reichte seinerzeit, um als auffällig zu gelten, als sexuell überaktiv, als unerwünschtes Element, was der Oberarzt Curt Wad (El­liott Crosset Hove) und seine Helfer zum Anlass nehmen, Nete und viele andere Mädchen zu sterilisieren.

In der Gegenwart betreibt Wad (jetzt gespielt von Anders Hove) eine florierende Geburtsklinik, doch sein ehemaliger Anwalt und zwei Frauen sind nicht mehr am Leben. Ihre vertrockneten Leichen werden in einem versteckten Zimmer entdeckt und lösen die Ermittlungen des Sonderdezernats Q aus. Wie immer dauerhaft schlecht gelaunt, beginnt Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) also in der Vergangenheit zu graben, unterstützt von seinem Assistenten Hafez el-Assad (Fares Fares), der jedoch kurz vor dem Abschied steht. Die Spur der Ermittler führt bis nach Spanien, wo eine der ehemaligen Krankenschwestern der Anstalt lebt und aus der Ferne die Miete für die Wohnung zahlt, in der die Leichen gefunden wurden. Der Fall scheint klar, doch so unkompliziert geht es bei Adler-Olsen natürlich nicht ab.

Der Film handelt von einem Verbrechen in einer Psychiatrie auf Sprogø

Wie sein schon verstorbener schwedischer Krimi-Kollege Stieg Larsson hat auch Adler-Olsen viel mehr im Sinn, als nur einen spannenden Kriminalfall aufzurollen. Abgründe der jeweiligen Gesellschaft anzuprangern ist das Ziel beider Autoren, dort mittels der selbst vielfach missbrauchten Hackerin Lisbeth Salander, hier mit konventionelleren Figuren.

Die Herkunft von Hafez el-Assad spielt diesmal eine noch größere Rolle, die Versuche von Wad und seinen Unterstützern, die dänische Gesellschaft vor unliebsamem Genmaterial zu schützen, setzen sich fort. Nur das Ziel hat sich geändert: Auf Migranten haben sie es abgesehen, was „Verachtung“ zumindest im Ansatz einen erschreckend zeitgemäßen Touch gibt. Nur im Ansatz, denn ganz gelingt es Christoffer Boe und seinen Drehbuchautoren nicht, die auf zahlreichen Zeitebenen spielende ausufernde Handlung des über 500-seitigen Romans auf gut zwei Stunden Filmlänge zu komprimieren. Wenn da neben Rückblenden in die finsteren Machenschaften während der sechziger Jahre, der späten Rache einer Überlebenden, dem üblichen Geplänkel zwischen el-Assad und seiner Kollegin Rose (Johanne Louise Schmidt) auch noch von einer zeitgenössischen, den dänischen Rechten zugehörigen Gruppe von Euthanasiefanatikern erzählt werden soll, dann ist das ein bisschen zu viel. Was besonders deswegen schade ist, weil der Versuch ­Adler-Olsens, die tatsächlich wahre Geschichte der Verbrechen, die in der Psychiatrie auf Sprogø geschahen, mit dem auch in Dänemark zunehmend spürbaren Rechtsruck der Gesellschaft zu verknüpfen, radikal ist. Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, das wäre gerade in diesen Zeiten von besonderer Bedeutung. Doch dass dies leichter gesagt als getan ist, müssen nicht nur die Ermittler in diesem nordischen Krimi schmerzhaft erkennen.

„Verachtung“. Regie: Christoffer Boe. Mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares u. a. Dänemark/Deutschland 2018, 119 Min.

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