: Genetische Auslese am Arbeitsplatz
Der Nationale Ethikrat plädiert für eine eingeschränkte Zulassung von Gentests bei Stellenbewerbern. Generell bestehe kein Unterschied zwischen Gentests und anderen Untersuchungen. Beamte sollen strenger beurteilt werden als Angestellte
VON WOLFGANG LÖHR
Bei der Auswahl von neuen Mitarbeitern sollen Arbeitgeber in bestimmten Fällen auch die genetische Konstitution des Bewerbers berücksichtigen dürfen. Das sieht eine gestern in Berlin vorgestellte Stellungnahme des Nationalen Ethikrates vor. Zwar plädiert der Ethikrat für eine Einschränkung der bestehenden Praxis. Seiner Ansicht nach sei es jedoch legitim, wenn ein Arbeitgeber „bei seiner Entscheidung über die Einstellung eines Bewerbers auch dessen Gesundheit berücksichtigt“.
Diese Position sei „ein Rückschritt um die Debatte um einen umfassenderen Schutz der Bürger und Bürgerinnen vor Diskriminierung aufgrund ihrer genetischen Konstitution“, kritisiert der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, die Empfehlungen des Ethikrates.
Generell sieht der Ethikrat keinen Unterschied zwischen Gentests und anderen medizinischen Untersuchungen, wie zum Beispiel Blutanalysen oder Krebstests, die eine Aussage über zukünftige Krankheitsausbrüche zulassen. Sie sollen daher auch gleich behandelt werden. Bei Einstellungsuntersuchungen gehe es auch darum, eine Balance zwischen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu finden. Fragen oder Untersuchungen, die sich auf das Risiko von später auftretenden Krankheiten beziehen, sollen daher nur dann zulässig sein, wenn sie mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 Prozent in absehbarer Zeit die Arbeitsfähigkeit des Bewerbers beeinträchtigen. „Wir denken dabei in Anlehnung an die tarifrechtlich festgelegte Probezeit an einen Zeitraum von etwa sechs Monaten“, erklärte die Vorsitzende des Ethikrates, Kristiane Weber-Hassemer. Sollte der Arzt auch Fragen stellen, die zum Beispiel Erbkrankheiten betreffen, die erst nach dieser Frist auftreten, „darf der Bewerber auch lügen“, so Weber-Hassemer.
Für Beamte soll nach den Vorstellungen des Ethikrates die Sechs-Monats-Frist, in der eine „Bestenauslese“ (Weber-Hassemer) stattfinden darf, nicht gelten. Hier sieht der Ethikrat einen Zeitraum von fünf Jahren vor. Zur Begründung wird angeführt, dass der Dienstherr, die öffentliche Hand, einen verbeamteten Mitarbeiter schließlich lebenslang versorgen müsse.
Faktisch bedeutet das – zumindest nach dem derzeitigen Stand der Technik – einen Ausschluss von genetischen Tests bei Einstellungsuntersuchungen. Denn kein Gentest ist so exakt, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit folgern kann, die Erbkrankheit werde in den nächsten Monaten ausbrechen. Man müsse aber, so das Ethikratsmitglied Regine Kollek, „die weiteren Entwicklungen bei den Gentests genau beobachten“.
Nicht unter diese Einschränkungen sollen Berufsgruppen fallen, die andere Menschen gefährden können. Piloten zum Beispiel oder Busfahrer. Bei ihnen sollen Untersuchungen auch erlaubt sein, die später auftretende Krankheiten betreffen. Ein Pilot könnte demnach auch danach untersucht werden, ob er zu Krampfanfällen neigt.
Auslöser für die Stellungnahme des Ethikrates war der Fall einer Lehrerin in Hessen. Sie hatte bei ihrer Untersuchung für die Verbeamtung dem Arzt wahrheitsgetreu mitgeteilt, dass ihr Vater an einer tödlichen Erbkrankheit, der Chorea Huntington, leidet. Obwohl die 36-Jährige als gesund eingestuft wurde und auch kein Nachweis dafür vorlag, dass sie Trägerin des krankheitsauslösenden Gens ist, verweigerte das Land Hessen ihre Verbeamtung. Erst vor Gericht bekam sie Recht. „Nach unseren Empfehlungen“, so betonte Weber-Hassemer, „hätte der Arzt die Information über den kranken Vater gar nicht erst verwerten dürfen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen