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Retter bei Hitze und Regen

Sie wässern Bäume, pumpen Keller leer und befestigen Deiche – die Arbeit für das Technische Hilfswerk nimmt in Zeiten des Klimawandels eher zu. Das Hilfswerk sucht stetig Nachwuchs und geht dabei neue Wege. Zu Besuch bei einem Kurs für Anfänger im mecklenburg-vorpommerischen Ortsverband Stralsund

Von Hannes Vater

Unter praller Mittagssonne schneiden freiwillige Helfer dicke Stahlzäune und heben schwere Betonplatten an. Unterstützt durch technische Hilfsmittel, versteht sich. Obwohl keine Gefahr droht, Kinder und Kaffeetrinker um sie herumstehen, zeigen sie vollen Körpereinsatz und hohe Lernbereitschaft. Die Anwärter des Technischen Hilfswerks im Ortsverband Stralsund.

Es ist ein Samstag im Mai, der Start der neuen Grundausbildung. Lärm und Geruch rattern der Verbrennungsmotoren liegt in der Luft auf dem Gelände der Regionalstelle Neubrandenburg, gelegen an der Eichhorster Straße am Rand dieser Kleinstadt. Die Zivil- und Katastrophenschutzorganisation bildet ihren Nachwuchs aus.

Nach dem Frühstück wurden zunächst die blauen THW-Uniformen an die 24 Anwärter ausgeteilt. Dann gab es erst mal Unterricht. Im ersten Stock des Ortsverbands sitzen die Anwärter in einem Raum, einer Mischung aus Klassenzimmer und Kantine, und lauschen den Worten von Ausbilder Birger Queisler. Er doziert über Dinge wie ordnungsgemäßes Anlegen der Uniform, Bewegen von Lasten, Verhütung von Unfällen, Grundlagen der Bergung und Rettung und gibt medizinische Hinweise.

Queisler, ein Mann mit Kurzhaarfrisur, ist stellvertretender Leiter der Regionalstelle. Er arbeitet seine Powerpoint-Folien durch und schmückt den Vortrag mit Anekdoten und „Fun Facts“. „Impfverweigerer dürfen nicht an die Einsatzstelle“, sagt er. Die könnten aber in der Logistik arbeiten oder in den Ortsverbänden. Auch Helfer mit kleinen Schnittwunden oder größeren körperlichen Beeinträchtigungen dürften nicht zum Einsatz. Sie wären sonst eine Gefahr für andere Retter oder würden sich selbst gefährden. „Ansonsten gehen die noch selber drauf“, sagt der THW-Mann. „Dann musst du wieder einen Bergungstrupp schicken, um die wieder raus zu holen.“ Die Anwärter schmunzeln.

Die Grundausbildung im Technischen Hilfswerk besteht aus Theorie und Praxis. Die Theorie umfasst die Grundlagen von Zivil- und Katastrophenschutz, den Umgang mit Funkgeräten, erste Hilfe oder Brandschutz. In der praktischen Ausbildung lernen die Helfer handwerkliche Fähigkeiten wie etwa die Holz-, Gesteins- und Metallbearbeitung. Nach der Grundausbildung können sie sich in 16 Fachgruppen spezialisieren und für Auslands­einsätze qualifizieren.

Nach dem Mittagessen – es gibt Schnitzel mit Röstis und Salat – geht es raus an die Geräte. „Noch ist keiner abgehauen!“, sagt Queisler zufrieden. An acht Stationen wird der Umgang mit drei wichtigen Hilfsmitteln geübt: Schere, Spreizer und Hebekissen. Die Namen sind Programm: Die Schere schneidet Stahl wie Butter, der Spreizer kann fast alles auseinanderdrücken und die Hebekissen gibt es in verschiedenen Größen.

„Mit dem großen Kissen lässt sich auch ein Panzer problemlos anheben“, erzählt Queisler. Wie die Geräte angeschaltet werden, lernen die Anwärter auch: „Ihr habt ja Gefühl, ’ne?“ Queisler schlägt seine Faust mit voller Wucht in die Handfläche. „Das ist nicht drücken!“ Er demonstriert am Lichtschalter, wie es gemacht wird: „Einfach drücken“, bittet der THWler um Feinfühligkeit.

Die freiwilligen HelferInnen retten Menschen und bergen Sachgüter. Nach Erdbeben, Kriegen, Pandemien, Flut- oder Tsunami-Katastrophen agiert das THW in enger Zusammenarbeit mit Feuerwehr, Polizei und Sanitätern. Die Aufgaben sind vielfältig. Ortung, Einsatz von Hochleistungspumpen und erhaltende Infrastrukturmaßnahmen gehören ebenso dazu wie der Aufbau von Unterkünften für Geflüchtete, Stromerzeugung, Trinkwasseraufbereitung und die Eindämmung von Epidemien.

Unter den Neulingen sind heute fast alle Altersstufen vertreten. Die 18-jährige Wiebke Strzeletz kommt aus der Gegend, macht gerade ihr Abitur und ist in der FDP aktiv: „Ich wollte aber auch was Ehrenamtliches machen und mich nicht nur politisch engagieren“, sagt sie. In ihrem Ort hat das THW Flyer verteilt, um neue Helfer zu gewinnen. Wiebke fand die interessant. „Mein bester Freund ist in der Feuerwehr, daher weiß ich, was da so ungefähr abläuft. Das war nicht mein Fall.“ Die Arbeit des THW hat ihr mehr zugesagt. Bei einer Schnupperstunde in ihrem Ortsverband durfte sie schon Bagger fahren, nun ist sie hier in der Grundausbildung. „Wir greifen die Themen von heute noch mal im Ortsverband auf, aber ich hoffe, hier schon ein gutes Grundgerüst mitzunehmen.“

Die meisten Anwärter haben schon eine Vorstellung, was sie beim THW erwartet: „Wir sind hier ja dicht an der Oder. Ich denke, dass da ein paar Hochwassereinsätze kommen, wenn hier mal wieder so eine Sturmflut durchfegt“, sagt Roland Last. Auch Bäume von der Straße heben, Menschen bergen und Häuser vor dem Einsturz schützen könne dazugehören, sagt Last. Menschen zu helfen, findet der Mitvierziger „super“. Und er will ein Vorbild für seinen Sohn sein.

Das THW ist weltweit aktiv. Es gab Einsätze in Nepal, Irak, Jordanien, Äthiopien, den Philippinen, USA, Myanmar, Pakis­tan, Sri Lanka, Thailand und Iran, um nur ein paar Länder zu nennen. Die Zivil- und Katastrophenschutzorganisation ist dem Bundesinnenministerium unterstellt. Rund 80.000 ehrenamtliche HelferInnen sind in 668 Ortsverbänden organisiert.

In Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein werden bei Hochwasser die Deiche verteidigt und nach starken Regenfällen die Keller leer gepumpt. Und bei Waldbränden unterstützen die Pumpen des THW die Feuerwehr. Im Jahr 2018 mussten die Helfer die Infrastruktur aufrecht erhalten, als in Lübeck und Ostholstein der Strom ausfiel. Das Hilfswerk rechnet mit mehr Einsätzen im Infrastruktur-Bereich und baut derzeit eine neue Fachgruppe zur „Notinstandsetzung und Notversorgung“ auf.

Auch der Klimawandel macht sich in der Arbeit des THW bemerkbar. 2018 sorgten Stürme und Starkregen bundesweit für Einsätze. Insgesamt rund 70.000 Dienststunden leisteten THW-Kräfte infolge von Unwettern. Im Sommer steigerten Hitze und Trockenheit die Feuergefahr. Die Einsatzkräfte wässerten Bäume und verhinderten durch Belüftung das Umkippen von Seen.

Die Zahl der Helferinnen und Helfer, die sich im THW engagieren, ist seit Jahren relativ stabil. Gerade Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene mittleren Alters sorgen für einen steten Zulauf. Ende 2018 engagierten sich knapp 15.900 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 17 Jahren deutschlandweit in der THW-Jugend. 400 mehr als im Vorjahr. Um noch mehr Menschen zu gewinnen, sind Werbekampagnen geplant.

Die 24 Anwärter haben sich draußen in Dreiergruppen zusammengefunden. An acht Stationen wartet je ein Ausbilder auf sie. An der Schere-und-Spreizer-Station liegen Stahlzäune in THW-Blau, passend zu den Uniformen. „In Stralsund ist ’n Baum umgefallen. Das ist der Rest vom Zaun, haben wir zurechtgeschnitten“, sagt Queisler. „In der Prüfung gibt’s dann ein zölliges Rohr!“ Die Anwärter werden eingewiesen, dann wird fleißig geschnitten, gespreizt und gehoben.

Die Nachwuchsgewinnung lief beim THW schon mal besser. Zum 1. Juli 2011 hat die Bundesregierung sowohl die Wehrpflicht als auch die Freistellungen im Katastrophenschutz ausgesetzt. Seitdem habe sich in der Gesellschaft etwas verändert. „Demografischer Wandel, Arbeitsverdichtung bei guten Arbeitsmarktbedingungen, Zeitknappheit, Zuwanderung, Gesundheits- und Fitness-Bewusstsein und Digitalisierung wirken sich auf die Bereitschaft und die Möglichkeiten ehrenamtlichen Engagements aus“, teilt das Presseteam mit.

Früher rekrutierte das THW gut die Hälfte seiner Ehrenamtlichen über den Wehrersatzdienst. Das waren viele junge Männer, die aufs THW zukamen. Entsprechend hoch war bis 2013 der Anteil der 18- bis 25-Jährigen. Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht sind die THW-Mitgliedszahlen geringfügig gesunken. Der Schwerpunkt der stärksten Altersgruppe hat sich auf 26- bis 35-Jährige verschoben. Aktuelle Kampagnen zur Gewinnung neuer Kräfte zielen darauf ab, die Vorteile eines Engagements im THW zu verdeutlichen. Auch Frauen, Senioren und zugewanderte Menschen werden gezielt angesprochen.

Vorkenntnisse braucht man für die Ausbildung nicht. Alles, was man wissen muss, bekommt man im THW beigebracht. Die späteren Einsätze fordern von den Helfern noch etwas Flexibilität und Spontanität. Verlässlichkeit und gute Kameradschaft seien gefragt, so das Presseteam.

Am Ende des Tages sammeln sich die Gruppen wieder im Klassenzimmer. Es riecht nach Schweiß, die Anwärter sehen etwas geschafft, aber glücklich aus. Queisler lobt die Leute und verabschiedet sie. „War super!“, sagt Last. „Meinen Sohn hab’ich nächstes Wochenende wieder, vielleicht krieg ich ihn auch begeistert, dass er in der Jugend einsteigt.“ Am 21. September startet die nächste Grundausbildung für die nördlichen Ortsverbände in Schwerin. Das Technische Hilfswerk hofft auf rege Teilnahme.

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