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Die SPD nimmt sich erst einmal eine Auszeit

Urwahl? Doppelspitze? Früherer Parteitag? Die SPD will sich bis zum 24. Juni sortieren

„Die kommissarische Führung wird von allen akzeptiert“

Ralf Stegner, SPD-Vize

Die SPD lässt sich nach dem Rücktritt von Andrea Nahles Zeit. Bis Ende nächster Woche können alle Parteimitglieder Vorschläge ins Willy-Brandt-Haus schicken, wie es weitergehen soll. Am 24. Juni soll der Zeitplan stehen. Dann erst wird klar sein, ob die Parteibasis die nächste Spitze wählt und ob es vielleicht eine Doppelspitze sein wird – und ob der Parteitag vom Dezember vorgezogen wird. Dort wird die Halbzeitbilanz der Regierung debattiert – also der mögliche Ausstieg aus der Großen Koalition. Ein vorgezogener Parteitag wäre nach SPD-Satzung frühestens drei Monate nach Einberufung möglich, also Ende September.

Die SPD hat damit jede Menge offene Baustellen. Das Verfahren, das die kommissarische Parteispitze aus Thorsten Schäfer Gümbel, Malu Dreyer und Manuela Schwesig leitet, ist langwierig. Diese geräumige Terminplanung soll vorab den Verdacht zerstreuen, dass in Hinterzimmern die neue Machtverteilung ausgekungelt wird. Es sei, so der SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner zur taz, „selbstverständlich, dass wir nun die Partei an der Frage der neuen Führung und der Halbzeitbilanz beteiligen“. Die Bundestagsfraktion wird frühestens Ende Juni eine neue Führung haben, vielleicht auch erst im September. So lange führt der Außenpolitiker Rolf Mützenich dort die Geschäfte.

So läuft derzeit in der SPD eine medial befeuerte muntere Debatte, wie die neue Führung gekürt werden soll. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil kann sich eine Urwahl gut vorstellen, der SPD-Chef aus Sachsen, Martin Dulig, ebenso. Auch ob die SPD in der Großen Koalition bleiben soll, steht zur Diskussion. SPD-Rechte wie Johannes Kahrs wettern gegen das „Dauergenöle vom Rand“. Die Jusos in Brandenburg sind für den Ausstieg aus der Regierung und schnelle Neuwahlen; die Brandenburger SPD ist gegen Neuwahlen.

Die SPD scheint sich mindestens bis 24. Juni de facto drei Wochen Selbstbeschäftigung zu gönnen – im besseren Fall ist es die Klärung, was man nun will. Derzeit zeichnet sich ab, dass viele Sympathien für eine Urwahl der neuen Parteispitze hegen. Das Verfahren würde die neue Parteispitze mit möglichst viel Legitimation ausstatten. Allerdings ist der Weg dorthin kompliziert. Dass die Basis die Parteispitze wählt, ist im Parteiengesetz nicht vorgesehen. Für eine Urwahl bräuchte man eine wasserdichte juristische Konstruktion. Und klar ist: Wenn die SPD-Basis die Spitze wählt, dauert das bis weit in den Herbst hinein. Das Macht­vakuum in der SPD würde noch weiter verlängert. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt höhnte am Dienstag schon mal: „Man kann aus einer Koalition nicht austreten, wenn man keinen Parteivorsitzenden hat.“

Der Vorteil der Langsamkeit ist, dass es keinen raschen Coup gibt. Frank-Walter Steinmeier rettete nach der Wahlniederlage 2009 so seinen Job als Fraktionschef. Dafür gibt es nun eine Debatte auf dem Marktplatz. Und alles hängt mit allem zusammen: der Termin des Parteitags, die Kür der neuen Parteispitze, die verschiedenen möglichen Verfahren, wer antritt und wie lange die Große Koalition bleibt. Eine Debatte um das künftige Personal wird sich da schwer vermeiden lassen. Juso-Chef Kevin Kühnert warnte vor einer Personaldebatte: Es sei fatal, „zwei Tage nach der halben Implosion darüber zu reden, wer es jetzt als Nächstes werden kann“.

Parteivize Stegner sieht in der unsortierten Lage auch Positives: „Die kommissarische Führung wird von allen akzeptiert.“ Und: „Wir brauchen jetzt kein Basta, sondern Diskussionen über das Sozialstaatskonzept und das Thema Arbeit und Umwelt“. Bei Letzterem habe die SPD programmatischen Nachholbedarf.

Die moderate SPD-Linke will derzeit keine abstrakte Debatte um die Große Koalition ­führen. Sie will eher Munition sammeln für den Fall, dass Streit in der Regierung eskaliert. Man glaubt, bei der Grundrente, die populär ist, die die Union aber nur in Minimalvariante will, und dem Klimaschutzgesetz zwei Themen zu haben, die einen Ausstieg aus der Koalition plausibel darstellbar machen können.

Stefan Reinecke

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